Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1883

      

8. Vortrag: Über die Keuschheit - Fortsetzung

Donnerstag Abend, 13. September 1883

Meine Kinder, ich will fortsetzen, was ich euch heute Vormittag sagte, und auch heute Abend wieder über die Keuschheit sprechen, weil es eine wesentliche Frage ist. Durch sie wird das Leben, der Ordensgeist in der Gemeinschaft bewahrt. Die meisten Ordensleute, die ihre Berufung verlieren, verlieren sie aus Mangel an Keuschheit. Ich sage nicht durch schlechte Führung, durch böse Neigungen, durch den Wunsch, böses zu tun, sondern durch Mangel an Keuschheit. Man liebte nicht, was man lieben sollte, und man liebte, was man nicht lieben sollte. Das Herz lässt drei Viertel von der Berufung verlieren und der Kopf den Rest. Es ist also die Beobachtung der Keuschheit ein sehr großer Punkt. Wie ist man dem Mangel an Keuschheit ausgesetzt? Auf vielen Weisen. Man fehlt dagegen, indem man sich zu sehr an eine der Schwestern hängt. Ohne Zweifel will ich nicht sagen, dass es unter euch diese weichen Anhänglichkeiten gibt, die nach Sinnlichkeit riechen. Wenn das eintritt und das kommt manchmal vor – ich sage jedoch nicht, dass es hier vorkommt – wenn es also eintritt, ist es der Verlust der Berufung. Es gibt immer eine von zwei, die der Versuchung, dem Wunsch, ihren Stand zu verlassen, unterliegt. Und die, welche die Schuldigere ist, ist nicht die einzige Schuldige, denn die Mitschwester, zu der sie diese Zuneigung hatte, hat sich nicht bemüht, diese zu sinnlichen Bande zu zerreißen, und sie hätte es machen müssen. Ich wiederhole es, meine Kinder, der Verlust der Berufung ist im Allgemeinen die Folge dieser Dinge. Man beklagt manchmal, dass man nichts mehr liebt, dass man nichts mehr versteht, dass man nichts mehr fühlt. Das kommt oft von dieser zu sinnlichen Zuneigung. Unser Herr hat gesagt: „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Selig, diejenigen, die diese Worte des Heilands verstehen und sie folglich üben. Was ist zu machen, wenn eine Mitschwester eine natürliche Zuneigung zu einer anderen empfindet? Es muss die, welche diese Neigung fühlt, es dem Beichtvater sagen, sie soll sich ihrer anklagen wie von etwas Schlechtem, das in ihr ist. Sie muss es der Oberin sagen, damit diese Anhilfe schafft. Wenn diese Schwester nichts sagt, muss die, welche Gegenstand dieser Zuneigung ist, es ihrem Beichtvater sagen. Wenn sie eine gute Nonne wäre, würde ich ihr raten, es zuerst der Oberin zu sagen, damit sie Abhilfe schafft, dass sie diese beiden Schwestern trennt, dass sie in ein anderes Haus, zu einer anderen Beschäftigung versetzt wird, wenn es notwendig ist. In vielen Gemeinschaften ist es eine große Wunde, eine Wunde, die nicht heilt. Bei uns ist das Gott sei Dank nicht der Fall. Um dem abzuhelfen – ich wiederhole es – muss man es dem anvertrauen, dem es zusteht, sagen, dass ihr scheinbar in einer Situation seid, die nicht gemäß dem Gesetz Gottes, euren Gelübden ist.
Es gibt noch die natürliche Zuneigung, die man zu einem Kind haben könnte. Es ist weniger üblich, aber es kann vorkommen, und es kommt leider vor, dass man in dieser Hinsicht tatsächlich gegen die Keuschheit fehlt. Es gibt da eine Ernüchterung des Geistes, etwas, das uns anwidert, das uns nicht gut macht. Das fühlt man wohl, mann muss es dann unterbrechen. Ihr werdet manchmal Leute treffen, die euch sagen werden: Man muss dieses Kind, dieses Mädchen wegschicken. O Nein! Man muss es nicht wegschicken, das wäre nicht mildtätig, es ist nicht der Grund. Würdet ihr es wegschicken, würde das beweisen, dass ich nicht den Ordensgeist habt. Man muss euch ganz sanft trennen. Gibt es kein Mittel, sein Herz zum lieben Gott zu erheben? Ihr habt Lust, Wein zu trinken, werdet ihr euch deshalb aufregen? Gewiss nicht! Ein Gefühl, ein Gedanke, eine Leidenschaft kommt über euch, man muss einen Akt der Gottesliebe machen, man muss mit großer Treue kämpfen. Wenn man zu einem Kind diese übertriebene Zuneigung fühlt, muss man sein Herz zum lieben Gott erheben, ihn dafür um Verzeihung bitten, seine Seele gut reinigen. Man hüte sich, jede Verrückung des Herzens ist schlecht, gefährlich, manchmal tödlich. Die Krankheiten des Herzens moralisch oder physisch sind gewöhnlich tödlich. Ich wiederhole es, es ist wahr für das Physische, es ist wahr für das Moralische. Man muss also die beiden Mittel ergreifen, die ich heute Vormittag angegeben habe: das Gebet und die Abtötung.
Kann eine Nonne eine zu fühlbare Neigung zu einer Person von draußen haben? Nein, sie kann es nicht. Eine Nonne soll nie eine weltliche Person als Freundin haben. Es ist der Verlust ihres Glücks, wenn nicht ihrer Berufung. Wenn euch eine Person Sympathie bezeugt, seid gut, seid herzlich zu ihr, betet für sie, aber habt ja keine Freundin in der Welt, selbst wenn es eine Heilige wäre. Liebt sie in Gott, es gibt nichts Besseres, aber hütet euch weiter zu gehen! Eine Schwester, die eine Freundin in der Welt hat, wird ihre Berufung verlieren, nicht in dem Sinn, dass sie gegen ihre Gelübde fehlt, sondern weil sie gegen das Wesen des Gelübdes fehlt und durch die Tatsache selbst gegen das Wesen ihrer Berufung. Warum das? Weil man mit einer Freundin über seine Zuneigungen, seine Angelegenheiten spricht, also sagt man sie nicht der Oberin, der Novizenmeisterin. Man hat nichts mehr für seine Gemeinschaft. Versteht man mich gut? Der liebe Gott ist in dieser Hinsicht äußerst heikel. Ich traf nie eine Nonne, die eine Freundin in der Welt hatte und eine gute Nonne war. Ich habe zahlreiche Beispiele zu diesem Thema. Unter anderem das einer Nonne, die ich kenne. Alle Kreuze fallen auf sie. In meinen Gedanken gibt es derzeit keine Person, die unglücklicher ist als sie; und dennoch hat sie vom lieben Gott viele Gnaden empfangen. Aber sie verliert sie, weil sie eine Freundin in der Welt hat.
Ich will auf dieses Thema nicht weiter eingehen. Bittet den lieben Gott, dass es hier nicht so ist, denn das würde sehr strenge Züchtigungen auf die Gemeinschaft anziehen. Warum das? Weil Gott sehr eifersüchtig ist. Er ist von einer feurigen Eifersucht, die alles verschlingt. Wenn ihr jemand außer ihn liebt und dennoch keine schlechte Nonne seid, wird er euch durch das Fegefeuer schicken, bis ihr bis zum letzten Jota alles getilgt habt. Ihr werdet ein unglückliches Leben haben, es wird ein ständiges Fegefeuer sein und euer Tod wird schrecklich sein, weil der liebe Gott auf das Herz der Nonne eifersüchtig ist. Seht, der heilige Franz von Sales sagt: „Man soll nur nach dem himmlischen Gemahl streben.“
Gibt es noch andere Gelegenheiten, wo uns der Dämon oder unsere Natur zu gefährlichen Zuneigungen bringt, die gegen unsere Gelübde sind? Ja, man kann sich zu sehr an seinen Beichtvater, an diese oder jene Person anhängen. Diese Anhänglichkeit ist nicht immer etwas Schlechtes an sich, aber es gibt einige Arten des Seines, eine gewisse Einheit der Gedanken, der Wünsche, die uns zusagt. Das ist schlecht, sehr schlecht. Wie soll man sich zu dem Beichtvater, den Priester verhalten? Man muss die Diener Gottes sehr schätzen. Durch sie empfangen wir den lieben Gott. Sie spenden ihn uns in der Heiligen Kommunion, in den Predigten. Haben wir große Achtung vor unserem Beichtvater, das ist in Ordnung, ich verbiete es nicht. Aber gebt Acht, hütet euch, dass neben das reine Gefühl für den lieben Gott nicht ein anderes Gefühl gleitet, das nicht gut ist.
Wir kann man erkennen, dass das, was man empfindet, schlecht ist? Das ist sehr leicht. Man erkennt es, wenn man mit einer gewissen Verwirrung, einer gewissen Rührung oder Emotion daran denkt. Warum tatsächlich diese Wirrnis, wenn eure Seele nur den lieben Gott sucht? Wenn euer Herz rein wäre, würde dieses Wort, das euch bewegt, eher ein gewissen Gefühl an Frieden und Sammlung entstehen lassen. Der liebe Gott ist nicht in dieser Wirrnis, ihr seid darin, ihr, Töchter Evas, Töchter eurer Sinne, eurer persönlichen Neigungen. Das ist ein unfehlbares Zeichen, niemand irrt sich da. Wenn es für den lieben Gott ist, erzeugt es keine Wirrnis und diese Zuneigungen, seien sie zu einer Oberin oder zu einer Gefährtin, einem Kind, einer weltlichen Person oder zum Beichtvater, wenn sie zu einem sinnlichen Gefühl der Ergötzung unseres Seins kommen, zu einem gewissen Gefühl, das in uns Ungewissheit, Unsicherheit erzeugt, ja, dann ist es schlecht, das ist die Leidenschaft, denn die Leidenschaft erzeugt die Traurigkeit, das Schmachten der Seele, die Selbstsuche. Das ist der Tod des frommen Lebens.
Die Fantasie überkommt euch. Ruft die Namen Jesu, Mariens und Josefs an, lenkt euch durch etwas ab, das euch davon wegbringt, so strebt man nur nach dem himmlischen Gemahl.
Wenn man eine Versuchung hat, die ermüdet, müsst ihr die Mittel ergreifen, die ich euch gebe: das Gebet, die Abtötung. Und wenn man kein Gefühl hat, nicht beten kann, muss man Buße tun, die Geißel nehmen, ein Opfer bringen, einen Verzicht leisten, eine gute Demütigung vor der ganzen Gemeinschaft erdulden, und ihr werdet die Hilfe fühlen, ihr werdet euch befreit fühlen. Bei diesen Dingen soll man sich nicht selbst führen, denn dann verliert man seinen Weg. Wenn man in sich selbst, in seinen Willen verliebt ist, lässt einem der Stolz den Kopf verlieren. In solchen Fällen sucht man seine Mühe, seine Verpflichtung, und man macht, was befohlen wird, demütig und einfach. Da beeilt sich der liebe Gott uns zu Hilfe zu kommen, uns zu helfen.
Ich komme auf das zurück, was ich euch schon gesagt habe und wiederhole, dass sich die Seelen, die diese Neigungen haben, abtöten müssen. Man darf die Abtötung nicht den strengen Ordensgemeinschaften wie den Karmelitinnen oder Trappistinnen überlassen. Ihr müsst euren Anteil an Kasteiungen annehmen, um eure Fantasie, eure schlechten Neigungen zu zähmen. Man sagt, dass der heilige Franz von Sales nicht streng war. Doch er nahm einen guten Teil an Abtötungen auf sich. In Gesellschaft aß er wie alle, aber wenn er allein war, legte er sich die härtesten Abtötungen auf. Sein Bruder, der gewöhnlich Zeuge seines Lebens war, sagte, dass er mehr abgetötet war als ein Kartäuser oder ein Trappist.
Meine Kinder, lasst dieses Unkraut nicht in euren Herzen wachsen. Reißt es aus! Wenn es nachwächst, reißt es wieder aus. Wenn es neuerlich nachwächst, sagt es eurem Beichtvater und ihr werdet erleichtert sein, es wird euch geholfen sein.
Es ist eine große Verpflichtung, sein Herz für unseren Herrn zu bewahren. Man darf es nicht zu allen möglichen Neigungen, Willen, Eindrücken gehen lassen. Das große mittel, die Versuchung zu besiegen, ist, euch dem Beichtvater zu öffnen. Keine Illusionen, ich beschwöre euch! Man fühlt so gut, wenn das Gefühl, das man empfindet, nicht von Gott kommt. Entzündet Feuer im Kamin, es hat keinen Geruch. Entzündet eine Kerze, das riecht nicht. Entzündet mit dieser eine andere, man riecht noch immer nichts. Ihr könnt so viele entzünden, wie ihr wollt, man wird nichts riechen. Aber nehmt Schwefel zum Anzünden und sogleich wird man den Schwefel riechen. Seht zu, dass eure Zuneigung sehr rein ist, und prüft, ob euer Herz nicht doch nach dem Schwefel der Hölle riecht. Prüft das gut, meine Kinder.
Wir werden unsere Herrn bitten, uns verständlich zu machen, wie wichtig es ist, unser Herz für ihn zu bewahren, die Eifersucht Gottes nicht zu erregen, um uns nicht seinen Zorn zuzuziehen, denn sie ist schrecklich, sagt die Heilige Schrift (Ez 25,17).