Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1883

      

11. Vortrag: Über den Geist unserer Berufung - Fortsetzung

Samstag Vormittag, 15. September 1883

Meine Kinder, ich beharre auf dem, was ich euch gestern Abend sagte, weil es der besondere Charakter der Kongregation ist. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis und Schwester Marie-Geneviève vor allem, die beim lieben Gott unsere Angelegenheit vertrat, die uns in Gott und seinen Willen für uns sah, drückten mir gegenüber die Hoffnung und sogar die Gewissheit aus, dass man bei den Oblatinnen den wahren Geist des heiligen Franz von Sales finden würde. Wie oft sagte mir die Gute Mutter nach ihren intimen Gesprächen mit unserem Herrn: „Das geschieht ganz im Sinne des Heilands, er wird es bewirken, an Ihnen ist es, dies den Seelen mitzuteilen. Sie werden der Kanal sein, durch den alle diese Gnaden fließen, um zu erneuern, um ein neues Leben zu geben.“ Das ist das Ziel eurer Gründung, meine Kinder. Wenn ihr aufgenommen wurdet, so genau deswegen, aufgrund der Worte, die ich hörte, der Befehle, die ich empfing. Wenn die Gute Mutter, wenn meine Schwester Marie-Geneviève beauftragt wurden, der Welt die großen Dinge mitzuteilen, die sie vom lieben Gott empfingen, und wenn wir beauftragt sind, sie durch uns zu verbreiten, da könnt ihr sehen, wozu uns das verpflichtet.
Während der Exerzitien unseres Patres habe ich ihnen dies gesagt. Sie haben es gut verstanden, sie gingen mit ihrem ganzen Herzen, ihrer ganzen Seele daran. Sie geben sich ganz diesem übernatürlichen Werk des Heilands hin. Ihr seid nicht hier, um irgendetwas zu sein: Wäscherin, Schneiderin, Köchin, Lehrerin, das ist nicht euer Amt. Ohne Zweifel seid ihr das, aber ihr seid es nur, um zur Hauptsache zu gelangen: den Seelen den Heiland zu geben. Ihr werdet mir sagen: „Aber es ist meine Aufgabe, den Haushalt zu machen, zu kochen; sie gestattet mir nicht, Einfluss auf die Seelen zu nehmen; ich beschäftige mich mit niedrigeren Dingen …“ Irrt euch nicht! Auf einem Schiff trägt jeder zum allgemeinen Wohl bei, jene, die bei den Seilen beschäftigt sind, wie diejenigen, die es lenken. Unsere Schwestern, die von England zum Kap (Südafrika) gingen, wissen es wohl. Dienen die einfachen Matrosen allen? Ja, ohne sie würde das Schiff nicht fahren. Nun, so ist es auch in der Gemeinschaft, und ich werde euch noch mehr sagen. Die mit den niedrigsten Arbeiten beschäftigt sind, die für rein materielle Dinge verwendet werden, können den Seelen ebenso wirksam helfen wie die, die sich mit dem Apostolat beschäftigen. Der heilige Franz von Assisi wollte nicht, dass die Laienbrüder lesen lernen. Warum? Weil sie nur dadurch nur besser und heiliger sind. Schwester Marie-Geneviève war Küchenhilfe, sie hatte gewiss die niedrigste Beschäftigung, sie schälte das Gemüse, und dennoch hatte sie der liebe Gott auserwählt, um ihr seinen Willen kundzutun. Die Gute Mutter nannte sie „ihre Sehende“. Und jedes Mal, wenn sie etwas wissen wollte, ging sie zu meiner Schwester Marie-Geneviève. Ich glaube, wenn wir das verstehen, wird es eine große Veränderung geben, und die, die sich nicht ändern, werden die sein, die nicht genug verstanden haben, was ich sage, weil sei ihren Willen nicht ganz eingesetzt haben.
Wir stehen schon lange an der Tür des Hauses unseres Heilands. Wir müssen endlich bei ihm eintreten. So lange ihr das nicht gemacht habt, werde ich euch nicht in Ruhe lassen. Ich kann es nicht und will es nicht und ich darf es nicht. So lange mich der liebe Gott noch atmen lässt, werde ich nicht aufhören, es euch zu wiederholen. Versteht also, warum ihr hier seid, warum euch der liebe Gott gerufen hat.
Da ist eine Barmherzige Schwester, da eine Bon-Secours-Schwester. Sie erfüllen ihre Pflicht, in dem sie Kranke pflegen. Eine Karmelitin erfüllt ihre Pflicht, in dem sie fastet. Und ihr werdet eure nicht erfüllen, wenn ihr nicht den Weg beschreitet, den ich euch angebe. Sehr zu welcher Treue, zu welcher Genauigkeit euch das verpflichtet, zu welcher Achtung für die Ordensregel, zu welch innerer Sammlung uns das veranlasst. Achtet gut darauf. Während der Exerzitien für die Oblaten hab ich den Patres ihre Pflichten gegenüber den Jugendlichen aufgezeigt, und ich habe den Brüdern die Sorgfalt gezeigt, die sie den materiellen Dingen entgegenbringen müssen. Lassen wir uns wie sie von diesen Gedanken durchdringen und sie ganz in unser Leben integrieren. Wenn man das tut, stellt das eine große Vertrautheit zwischen dem Heiland und der Seele her. Es gibt einige unter euch, die Angst vor ihm haben und sich ihm nicht zu nähern wagen, und andere, die nie zu ihm sprechen, weil sie es nicht können oder ihn nicht genug lieben. Man muss machen, was unserer Gute Mutter machte. Sie war ständig bei ihm, sie bat ihn um Rat und um Kraft zu handeln, sie war bei ihm, wenn sie etwas zu machen hatte, sie zog ihn innerliche zu Rate. Wir sind geschaffen, um dieses Leben zu leben. Sie sagte mir, dass man den Gnaden des Heilands entsprechen müsse, dass man sie an die Seelen verteilen müsse. Wem steht es zu, das zu tun? Den Oblatinnen.
Man darf sich nicht angewöhnen, den Heiland nur von weitem, aus der Entfernung zu sehen. Ihr liebt ihn nicht genug, ihr bittet ihn nicht, wie ihr sollt. Ihr sprecht Gebete, aber das genügt nicht für euch. Wir müssen zum Heiland sprechen, ihr dürft euch nicht damit zufrieden geben, Gebete herzusagen, sondern man muss innerlich beten. Wenn man bei jemand ist, den man gern hat, spricht man nicht groß von Zuneigung, aber man hat diese Zuneigung im Herzen, man fühlt sie, man schenkt sie. Gewöhnt euch daran, den Heiland nicht wie einen Fremden zu behandeln, ihn nicht aus der Ferne zu betrachten. Ihr seid von ihm, aus seinem Haus. Er ist durch die Heilige Kommunion bei euch. Warum sprecht ihr nicht fünfzig Mal, hundert Mal am Tag mit ihm? Das müsste euch doch leicht fallen. Ihr habt soeben gebeichtet, ihr seid gereinigt, warum dankt ihr ihm nicht, warum seid ihr nicht bei ihm? Ihr kocht, warum seid ihr nicht in seiner Gesellschaft? Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagte: „Der Schöpfergott wollte, dass die geschaffenen Dinge die Instrumente sind, die Segen und Heiligung in die Seelen bringen.“ Das ist nicht nur ein frommer Gedanke, den ich euch von ihr eingebe, meine Kinder, das soll eure Lebensregel sein. Möge euer ganzes Leben und all eure Übungen nur eurer Vereinigung mit Gott dienen.
Betrachtet also den Heiland nicht wie einen Fremden, atmet nie ohne ihn, arbeitet nicht ohne ihn, geht nicht ohne ihn, leidet nicht ohne ihn. Das ist eure Berufung und nichts anderes. Man unterrichtet, weil man unterrichten muss, man beschäftigt sich mit der Wäsche, der Kleidung, weil man sich anziehen muss, man kocht, weil man essen muss, aber nicht dazu wurden wir geschaffen und in die Welt gesetzt, sondern um den Willen Gottes zu tun, um dies in seiner Gesellschaft, in seiner heiligen Liebe zu machen. Das müssen wir tun. Das ist die Grundlage des Geistes der Kongregation. Spiritus est qui vivificat – Es ist der Geist, der uns lebendig macht. Und dieser Geist, der uns belebt, ist es, beim Heiland zu sein, ihn nachzuahmen, um zu handeln, wie er selbst gehandelt hätte. Dieser Geist ist der Grund, in der Kongregation zu sein, sonst nichts. Unser Geist ist der, den ich euch angebe, es ist in der Vertrautheit des Heilands zu sein bei allem, was wir tagsüber zu machen haben, vor allem in unseren Beziehungen zum Nächsten, zu unseren Mitschwestern. Es ist dieser Geist, der uns belebt. Ich bitte unseren Herrn, er möge euch verstehen lassen, warum ihr berufen seid und wozu ihr berufen seid. Amen.