4. Vortrag: Die Gewissenserforschung über den Tagesablauf der Oblatin
Dienstag Abend, 21. September 1880
Meine Kinder, ich bin gegen meinen Willen ein wenig verspätet, vielleicht hat es euch ermüdet, auf mich zu warten. Aber es soll euch trösten, dass wir vor allem durch das Leiden Verdienste erwerben. Das andere gibt uns der liebe Gott. Wenn wir gut beten, schenkt uns der liebe Gott die Gabe des Gebetes. Wenn wir eine Tugend haben, so schenkt sie uns der liebe Gott. Wenn wir etwas Gutes haben, so kommt es nicht von uns. Es gibt nur zwei Dinge, die uns gehören: die Sünde und das Leiden. Ich habe es euch schon gesagt, ich wiederhole es euch, um es eurem Geist einzuprägen.
Wenn man den großen Friedhof von Genua besucht, sieht man sehr schöne Gräber, viele wahrlich wunderbare Marmorstatuen. Der Künstler belebte den Ausdruck der klagenden Frauen und Männer, die er darstellte. Inmitten all dieser Denkmäler sieht man einen Mann, der auf einem Grab meditiert, auf dem diese Worte geschrieben sind: „Ich habe heute nur, was ich gegeben habe, was ich gelitten habe.“ Das ist sehr richtig. Wir haben tatsächlich vor dem lieben Gott nur, was wir ihm gegeben haben. Es gehört uns nichts. Was wir haben, haben wir von Gott erhalten. Allein das Leide gehört uns. Das Leide überragt an Wert viele Opfer, weil wir es, um es zu ertragen, es auf unseren Charakter, unsere Gesundheit, sogar auf unser Leben nehmen. Es tun mir also eure kleinen Mühen der Exerzitien nicht leid, weil alles, das Leid verursacht, Stoff der Belohnung ist. Merkt es euch gut. Da dies gesagt ist, setzen wir unsere Gewissenserforschung fort. In diesem Licht werden wir die Dinge besser sehen.
Überblicken wir die Übungen des Tages, zuerst die Übung des Aufstehens. War unser erster Gedanke der des Direktoriums? Wie haben wir unsere Morgenübung gemacht? Haben wir uns mit den Gedanken, den Gefühlen angekleidet, die uns angegeben werden, oder haben wir andere gefasst? Haben wir uns bescheiden gekleidet, mit einem Gefühl der Dankbarkeit für den liebe Gott, der uns unser Bett, unsere Kleidung gegeben hat?
Die Betrachtung. Machen wir sie genau, ernsthaft? Wenn wir sie nicht gut machen, hat man uns nicht gelehrt, sie zu machen? Nein. Hat uns der liebe Gott nie etwas gegeben? O, nein. Gewiss hat er sich bei uns nicht verspätet. Wenn wir befreit sind, die Betrachtung am Morgen zu machen, haben wir sie im Laufe des Tages nachgeholt? Wenn wir sie nicht machen konnten, hielten wir uns dem lieben Gott verpflichtet für diesen Ausfall aufzukommen und ihm den ganzen Tag lang Gesellschaft zu leisten? Und dennoch sagt der heilige Franz von Sales: „Die Betrachtung ist das Leben unserer Seele, das tägliche Brot.“
Die heilige Messe. Hören wir sie gemäß unserem Direktorium? Wie verhalten wir uns dabei? Ist es nicht Gleichgültigkeit? Welche Früchte nehmen wir daraus mit? Befolgen wir getreu die Gedanken des Direktoriums vom Anfang bis zum Evangelium, vom Sanctus bis zur Kelcherhebung, von der Erhebung bis zum Ende der Messe? Die Messe ist die Quelle, aus der wir für den Rest des Tages schöpfen. Wir brauchen die Messe sehr. Wir sind so elend, so trocken, so arm, und da ist der Gott aller Heiligkeit da, der sich für uns opfert.
Habt ihr im Laufe des Tages bei der Arbeit in der Küche oder im Klassenzimmer eure Beschäftigung nach dem Geist des Direktoriums ausgeführt? Habt ihr für das euch Anvertraute gesorgt? Seht, was ihr vernachlässigt habt, und seht, wie oft ihr aus Eigenliebe, aus Liebe für euer eigenes Wohlbefinden gehandelt habt.
Ich komme zur Zeit der Erholung. Wir habt ihr sie gemacht? Habt ihr sie herzlich gemacht? Seid ihr dabei nicht eurem Charakter und euren Launen gefolgt? Ward ihr achtsam, gehorsam? Habt ihr gemacht, was die Ordensregel, das Direktorium sagt? Ihr denkt vielleicht: „Das ist viel!“ Ohne Zweifel, aber wenn ihr all das gut macht, sammelt ihr Pfennige, oder eher ihr häuft Silber und Gold an, und ihr kauft den Himmel. Erforscht euch also und fragt euch: „Bin ich in der Zeit der Erholung sanftmütig und gütig zu allen unseren Mitschwestern? Bin ich nicht ungebührlich verletzt wegen einer Zurechtweisung, einem Hinweis von meiner Oberin, einer Bemerkung von einer Mitschwester?“ Die Zeit der Erholung ist wichtig. Der Pater Superior einer Ordensgemeinschaft sagte mir: „Ich brauche keine schriftliche Berichterstattung, um meine Mönche zu kennen. Ich gehe fünf- oder sechsmal zur Erholung und ich kann jedem die Note für seine Heiligsprechung geben.“ Tatsächlich zeigen sich da die verschiedenen Launen. Man kann die Tugend einer Nonne daraus beurteilen, wie sie sich in der Zeit der Erholung verhält.
Kommen wir jetzt zu einem sehr wichtigen Kapitel: dem Schweigen. Ihr fastet nicht, meine Kinder, aber ihr müsst an Worten fasten. Ihr müsst den ganzen Tag das Schweigen halten. Der heilige Franz von Sales ist nicht streng. Er gestattet die Zeit der Erholung und einige Worte während des Tages aus Gründen der Nächstenliebe. Wenn ihr unnötige Gespräche führt, müsst ihr euch dessen anklagen und um eine gute Buße bitten. Sagt mit dem Propheten: „Meine Kraft wird im Schweigen und in der Hoffnung sein.“ Eine Nonne, die das Schweigen nicht hält, setzt sich schweren Gefahren aus. Sie läuft Gefahr, ihre Berufung zu verlieren. Und ich möchte mich nicht um das Heil derer kümmern, die ihre Berufung verliert. Man muss sich also der Fehler gegen das Schweigen besonders sorgfältig anklagen.
Sehen wir noch, wie ihr das Stundengebet betet. Betet ihr wirklich aufmerksam? Lasst ihr euch nicht zu leicht davon befreien? Ist es für euch nicht eine Last, deren ihr euch entledigen möchtet?
Eure Gewissenserforschungen. Habt ihr sie gemacht, wie es aufgegeben ist? Wenn eure Beichten nichts für euren Fortschritt sind, so ist das, weil ihr euch nicht genügend erforscht habt, dass ihr eure Gewissenserforschung nicht gut macht. In der am Abend muss man sich ein wenig über die Einzelheiten der schwereren Fehler bewusst werden, die man begangen haben kann. Zum Beispiel: „Ich habe in der Zeit der Erholung gegen jene Mitschwester gefehlt. Sie konnte es bemerkt haben. Es ist das zweite Mal, dass ich seit meiner letzten Beichte gegen die Nächstenliebe gefehlt habe. Ich fehlte gegen mehrere Empfehlungen des Gehorsams. Heute habe ich in dieser Hinsicht zwei Fehler bemerkt. Vor drei Tagen habe ich gebeichtet, ich habe schon jeden Tag deren zwei oder drei bemerkt, das ist so viel.“ Wenn man es so macht, erinnert man sich, wie oft man gefehlt hat.
Wir habt ihr die Abendübung gemacht? Habt ihr die Lektüre vom Punkt der Betrachtung gut gehört? Habt ihr darauf geachtet, euch daran zu erinnern, oder habt ihr wenigstens einen Gedanken gefasst, der Ersatz bieten kann und euch im Gefühl der Gegenwart Gottes unterstützt? Habt ihr beim Niederlegen alle diese unnötigen Gedanken vermieden, diese Abweichungen des Geistes, die die Seele ohne Großmut, ohne Leben lassen? Habt ihr einen Akt der Liebe gemacht, habt ihr unseren Herrn gesagt, dass ihr unter seinem Blick einschlaft?
Erinnert euch wohl an den Gedanken des heiligen Franz von Sales zu eurem Thema. Er vergleicht euch nicht mit dem Adler, dem Wahrzeichen der Höhe der Gedanken und der Größe der Werke, mit dem Adler, der einen Augenblick auf die Erde kommt, um seine Nahrung zu holen und sich dann sehr hoch in die Lüfte erhebt. Er vergleicht euch nicht mit dem Löwen, dem Bild der Kraft und des Mutes, der Gestalt des Missionars, der seine Stimme in der ganzen Welt hören lässt. Er vergleicht euch mit der Biene, die sich auf die Blume setzt, um ihre kleine Honignahrung aufzunehmen. Während des Tages sammelt sie Honig von hundert, von tausend Pflanzen und kehrt dann in den Stock zurück, um ihren Honig abzugeben. Ihr müsst darauf achten, von jeder Übung des Tages den Honig aufzunehmen, der sich durch die Übung des Direktoriums darin befindet.
Ihr müsst also wie die klugen und braven Bienen handeln und jeden Augenblick eures Tages Honig sammeln, auf jedem der Dinge, die ihr macht. Ihr werdet sagen: „Das verlangt Zeit.“ Vergesst nicht, was die Biene machen würde, wenn sie faul wäre. Anstatt Honig zu sammeln, würde sie den Honig verzehren, der schon im Stock ist, und wenn der Winter käme, wäre sie ohne Nahrung und würde verhungern. Würdet ihr eine oder zwei Übungen gut machen und die anderen versäumen, habt ihr am Ende des Tages kaum Verdienste erworben. Ihr habt euren Honig verzehrt. Ein Tag wird kommen, wo ein kälteres Bett euch aufnehmen wird, als das, in das ihr euch täglich legt. Was wird dann aus euch werden, wenn ihr dem lieben Gott nichts vorzuzeigen habt, wenn ihr keinen Verdienst erworben habt? Die Tür eures Grabes wird sich zur Ewigkeit hin öffnen, ihr werdet vor dem lieben Gott erscheinen, und eure Hände werden leer sein! Macht also eine ernste Gewissenserforschung mit dem aufrichtigen Bedauern für die Vergangenheit und mit guten Vorsätzen für die Zukunft. Amen.