Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1880

      

10. Vortrag: Über den guten Geist

Freitag Abend, 24. September 1880

Meine Kinder, heute Abend wäre es ein Gebet, das wir anstatt eines Vortrages sprechen müssten, denn worüber ich jetzt zu euch sprechen muss, ist eher die Wirkung einer Gnade Gottes in uns als das Ergebnis der Bemühungen unseres Willens. Ich will über den Ordensgeist, den guten Geist, sprechen. Ist der Ordensgeist, ist der gute Geist etwas sehr Gewöhnliches? Nein, er ist äußerst selten. Erschreckt nicht. Man hat ihn, wenn der liebe Gott ihn schenkt. Aber gibt es viele, die ihn im Laufe der Zeit natürlich haben? Nein, es gibt sehr wenige, die haben, was ich den guten Geist nenne, das heißt, einen geraden, einfachen Geist, der nicht von Personen und Dingen verlangt, was ihnen nicht gegeben ist, der in den Geschöpfen keine Vollkommenheit sucht, die nur im lieben Gott selbst ist. Der liebe Gott vervollkommnet die Seelen, aber nur kleinweise, in dem Augenblick, der für ihr Wohl notwendig ist.
Ist der gute Geist gegenüber den Oberen gewöhnlich, natürlich? Nein, er ist vor allem die Wirkung einer Gnade Gottes. Es gibt natürlich gute, aufrichtige, angenehme Geister, die die Personen, bei denen sie sich befinden, glücklich machen, die den Teil der Dinge machen können, die die Autorität der Oberinnen achten. Wenn sie nicht immer das Gute finden, zeigen sie es nicht. Gibt es viele, die diesen guten Geist von Natur aus haben? Nein, aber im Ordensleben besitzen ihn die meisten als Wirkung der Gnade Gottes. Eines der wichtigsten Mittel, um ihn zu erhalten, ist das Gebet, ein ausdauerndes und glühendes Gebet. Wir Kinder des heiligen Franz von Sales werden ihn vor allem erhalten, in dem wir unser Direktorium üben, unsere persönlichen Ideen abtöten, wenn wir das machen, werden wir immer zu guten Geist gelangen.
Meine Kinder, ihr lebt unter einer Ordensregel, die gut ist. Ich habe es euch während dieser Exerzitien gesagt. Ich habe euch gesagt, dass das gut gemacht Noviziat das Paradies ist. Das Ordensleben ist der Himmel, wenn man das Direktorium übt. Wenn man guten Geist haben will, wird man möglichst genau machen, was dort angegeben ist. Die Ordensregel verlangt von euch das Beste, macht es. Wenn ihr krank seid, ist es offensichtlich, dass ihr Dispensen braucht, aber habt Acht, der gute Geist fürchtet die Dispensen. Ihr glaubt zu müde, zu krank zu sein, um zur Stunde der Ordensregel aufstehen zu können, macht es nicht. Aber bemerkt, wenn man guten Geist hat, macht man alles, was man kann, um Dispensen nicht zu brauchen. Es gibt Widerspruchsgeister, seltsame Personen, die immer an der Ordensregel herumnörgeln müssen. Sie sind nur glücklich, wenn sie Dispensen erhalten. Ich glaube, dass als Tatsache der Dispensen man verlangen muss, die Ordensregel vollkommener zu erfüllen. Würde es in der Ordensregel fünfzig Artikel geben und man jeden Tag um eine Dispens bitten, wäre in weniger als zwei Monaten nichts mehr da, ihr könnt euch also wohl fühlen! Dieser Geist ist ein Quergeist! Der gute Geist fürchtet die Dispensen und verlangt so wenige wie möglich. Und übrigens: wenn ihr eine notwendige Dispens verlangt wie ein wenig später aufstehen, weil ihr zu sehr unter der Kälte leidet, ist es sicher, dass diese Dispens nicht bis zum August wird dauern können.
Meine Kinder, ich bin aus Prinzip und Temperament ein Feind der Dispensen. Dennoch wirft man mit vor, immer ja zu sagen. Das ist wahr. Aber ich sage ja, wenn ich nicht anders kann, wenn ich durch muss. Die Regel sagt, gerade zu gehen, und ihr sagt: „Ich möchte in eine andere Richtung gehen, ich möchte die Erlaubnis bekommen, so oder so zu gehen.“ Das ist lächerlich, das ist niederträchtig! Das ist sicher nicht das Mittel, um die Gnade Gottes zu erlangen. Ich glaube, das sich in diesem Punkt die meisten von euch erforschen müssen. Die Erlaubnis, die ich Ihnen gebe, meine gute Schwester, ist, von morgend bis abends Ihre Ordensregel zu üben. O, was ist das für eine gute Erlaubnis! Das erinnert mich an eine Antwort, die mir der gute P. Théodore gab. Ich war im Seminar der einzige, der das römische Brevier betete. Am Donnerstag ist das Stundengebet unendlich. Ich sehe, dass die viel beschäftigten Priester ermächtigt sind, es mit dem Stundengebet des heiligen Sakraments auszutauschen. Ich gehe zu Herrn Théodore: „Mein Vater, könnte ich das Stundengebet des heiligen Sakraments beten?“ – „O!“, sagte er, „allen ist es erlaubt. Wenn Sie wollen, können Sie mit dem Stundengebet vom Donnerstag beginnen, und dann beten Sie das andere.“ Das ist die Dispens von P. Théodore.
Meine Kinder, achtet gut darauf, nicht leichtfertig um Erlaubnisse zu bitten. Aber wenn ihr zwei Aufgaben habt, die euch gleichzeitig fordern, z. B. das Stundengebet und der Unterricht, braucht ihr notwendigerweise die Dispens vom Stundengebet. Das ist etwas anderes. Das ist keine einfache Erlaubnis, man sagt euch einfach: „Macht das, weil es angebrachter ist.“ Und der Beweis ist, dass an dem Tag, an dem der Unterricht aufhört, die Erlaubnis ebenfalls aufhört. Ihr seid im Gewissen verpflichtet, die Ordensregel zu üben. Versteht wohl den guten Geist, den Geist der Ordensregel.
Man muss auch den guten Geist, den Geist der Ordensregel in Bezug auf den Gehorsam zu den Oberinnen verstehen. Da ist z. B. eure Hausoberin, die euch eine Erlaubnis verweigert. Ohne Zweifel habt ihr das Recht, euch an die Generaloberin zu wenden, um sie zu erhalten, aber ihr seid verpflichtet, den Grund der Ablehnung zu sagen, die euch zuteil wurde. Bei den Oblaten verbietet die Ordensregel in einem solchen Fall, den Generaloberen um eine Erlaubnis zu bitten, ohne zu sagen: „Dieser Pater hat mir das verboten, können Sie es mir erlauben?“ Und das ist eine sehr weise Maßnahme, sonst würden sich gewisse Charaktere ermächtigt halten, kleine, wenig rechtmäßige Ränge zu schmieden, in dem sie sich bald an den einen, bald an den anderen wenden, um sicherer zu erhalten, was sie sich wünschen … Sucht nicht, dem zu entkommen, das euch etwas kostet, meine Kinder, unterwerft euch, wenn man euch etwas verbietet, weil es der Wille Gottes ist.
Üben wir also den guten Geist bei unseren Beziehungen zu unseren Oberinnen, in dem wir uns nicht gestatten, ihre Handlungsweise zu beurteilen und nicht die eine um das bitten, was die andere verweigert hat.
Der gute Geist gegenüber den Gleichgestellten besteht darin, der einen oder der anderen die Achtung der Oberin nicht zu nehmen, in dem ihr über ihre Fehler sprecht. Wenn ihr zu ihren Lastern dies oder das erzählt, das verschwiegen werden sollte, sät ihr Zwietracht, habt ihr nicht den lieben Gott bei euch. Wenn es aus Eigenliebe ist, ist es unwürdig. Wenn es aus Tratschsucht ist, erniedrigt ihr euch, ähnelt ihr den Pförtnerinnen, die, das sie nichts Besseres zu tun haben, ihren Nachbarinnen alles erzählen, was sie gesehen und gehört haben und gehen alle Stockwerke des Hauses durch vom ersten bis zum siebten Stock. Ihr gebt euch dieser Art hin, in dem ihr die verschiedenen Stockwerke eurer Niederlassung überdenkt. Das ist nicht schöner, sondern sogar hässlicher! Hütet eure Zunge, eure Lippen. Das ist ein schwerer Fehler, dieser Mangel an Urteilskraft, der sich in unbedachten Worten mit der einen oder der anderen zeigt.
Wir werden also den guten Geist haben, indem wir keine unnötigen Dispensen verlangen. Den guten Geist gegenüber der Oberin, indem wir nie widersprechen, was sie beschließt, denn das ist gegen den Geist der Ordensregel; der gute Geist gegenüber den Mitschwestern, unseren Gleichgestellten, unseren Gefährtinnen, indem wir ihnen nie ein Ärgernis geben, indem wir über die eine oder die andere schlecht sprechen, weil es unser seliger Vater [Franz von Sales] verbietet. Und wenn man es macht, macht man sich tatsächlich schuldig. Es ist das Zeichen einer niedrigen und gemeinen Erziehung und wird vom lieben Gott immer bestraft.
Ich hätte noch Vieles über den guten Geist zu sagen, aber ich höre auf. Ihr werdet über diese Worte vor dem lieben Gott nachdenken. Wohlan! Unser Herr ruht so oft auf euren Lippen! Wie? Eure Zunge hat den Heiland empfangen, und ihr sprecht Worte aus, die gegen die Nächstenliebe sind! Aber welcher Geist wohnt in euch und atmet Zwietracht? Habt Acht! Ich weiß wohl, dass man sagt: „Ich hatte einen wirren Kopf!“ Aber das ist keine genügende Entschuldigung.
Eine wahrhaft gute Nonne ist so schön! Sie ist das Abbild der heiligen Jungfrau. Die heiligen Kirchenväter zeichneten uns ihr Bild an verschiedenen Stellen ihrer Schriften. Sie sagen, ihr Gesicht sei ein Gemisch aus Größe, Sanftmut und Einfachheit. Ihr Blick sei sanft wie der der Taube. In ihren Worten herrschte die größte Würde; ihr Schritt war ebenso leicht wie würdevoll. Alles an ihr war heilig und rein, aber liebenswert und leicht. Sie war so vollendet, dass die Engel sagte, wenn sie sie anschauten: „Wer ist diese, die sich so schön aus der Wüste erhebt? Es ist die Geliebte des Herrn.“ Sie müssen auch von euch sagen können: „Wer ist diese, die sich so schön aus der Wüste des Ordenslebens erhebt? Ist es nicht die, die ihrer Mutter ähnlich ist?“ Dieser Vergleich der treuen Seele mit der heiligen Jungfrau ist nicht übertrieben. Ohne Zweifel sind wir in uns selbst nichts. Und dennoch … hat unser Herr nicht gesagt: „Diejenigen, die den Willen Gottes tun, sind meine Mutter und meine Schwester“? (Mk 3,35). Er liebt sie wie die, welche er auf Erden am meisten liebte, wie seine Mutter. Er liebt sie mit einer unendlichen Liebe.
Versteht, meine Kinder, die Notwendigkeit eurer Seinsweise der eures himmlischen Vorbilds anzugleichen. Sie gefällt dem lieben Gott und wird euch seine Liebe verdienen. Gleicht ihr dem Bild, das wir soeben entworfen haben? Wenn ihr ihm gleicht, seid ihr sehr glücklich, denn dann wird Gott von euch wie von Abraham sagen: „Ich habe sie gerufen und mit Segen überschüttet.“ Amen.