5. Vortrag: Die Oblatinnen sollen fleißig arbeiten und studieren nach dem Beispiel der hl. Hieronymus
Donnerstagvormittag, 30.09.1875
Heute, meine Kinder, feiern wir das Fest eines großen Kirchenlehrers: des hl. Hieronymus. Dieser Heilige erhielt von Gott ganz besondere Erleuchtungen für die großen Arbeiten, denen er sein Leben widmete, und derentwegen ihm die Kirche in die Reihe ihrer Lehrer stellte. Ich ergreife die Gelegenheit, um euch einige Worte über die Wissenschaft zu sagen, die eine Nonne haben soll.
Eine Nonne soll Wissen haben. Sie muss vieles wissen. Sie, die stets bei Gott sein soll, muss sich mit ihm unterhalten können. Sie, die beauftragt ist, die anderen durch die Art zu sein und zu handeln, durch ihre Beziehungen zum Nächsten, durch ihr ganzes Verhalten zu erbauen, muss wissen, was sie als Nonne zu machen hat. Um ihr Ordensleben einzuhalten, muss sie auf dem Laufenden sein, was sie selbst zu machen hat, um ein Ordensleben zu führen. Diejenigen, die andere unterweisen sollen, müssen viel wissen. Um eine Sache gut zu lehren, muss man sie kennen, im Vorhinein studieren. Diejenige, die nicht damit betraut ist, sich um andere zu kümmern, erfüllt ein anderes Amt. Sie muss wissen, was sie in ihrer Beschäftigung zu machen hat, sie muss sich darüber Rechenschaft ablegen. Es ist das Unglück dieses Jahrhunderts, sich nicht bemühen zu wollen, die Dinge nicht vertiefen zu wollen. Es gibt eine Trägheit des Geistes, die macht, dass man nicht arbeitet. Man muss diese Trägheit des Geistes bekämpfen!
Meine Kinder, man muss nicht nur im Unterricht wissend sein. Die, welche in der Küche ist, soll ihre ganze Sorgfalt, den ganzen Eifer von Martha, als sie unseren Herrn empfing, anwenden. Sie soll sie um ihre Klugheit bitten, mit ihr ihre Arbeit machen, als ob es für unseren Herrn wäre. Sie möge für ihn, mit ihm denken und arbeiten. Es möge sich jede bemühen zu lernen, um ihren Auftrag gut auszuführen.
Diejenigen, die die anderen unterweisen sollen, müssen ihren Geist nähren. Sie müssen studieren, sich Rechenschaft ablegen, vorbereiten, was sie unterrichten müssen. Sie müssen sich zuerst gründliches Wissen aneignen, bevor sie es den anderen vermitteln.
Ihr seht es, es gibt für jede von euch eine Wissenschaft oder mehrere Wissenschaften zu besitzen. Um das Ordensleben zu führen, muss man seine Regel und sein Direktorium kennen, man muss schon gut wissen, was man üben soll. Um zu unterrichten, muss man gut wissen, was man zu erklären hat.
Das Ordensleben ist gewiss ein sehr eingenommenes Leben. Eine Nonne, die nicht weiß, was sie zu machen hat, die nicht lernt, fällt auf sich zurück, beschäftigt sich nur mit sich selbst, sucht sich in allem und wird eine nutzlose Nonne. Es muss also jede die Pflichten ihrer Beschäftigung kennen und sich in besonderer Weise darum bemühen.
Meine Kinder, ich will euch diese Dinge klar darlegen, damit ihr heute, am Fest eines großen Lehrers sein, weil wir alle die anderen zu unterweisen haben.
Die, die in der Küche ist, muss ihren Gehilfinnen gut verständlich machen, was sie machen müssen. Dafür muss sie es selbst wissen und ein Beispiel für die geringsten Dinge der Regel geben. Ebenso für die Kleidung: diejenigen, die damit betraut ist, muss sich bemühen zu wissen, wie sie es anpacken soll, um sie gemäß der Beobachtung der Ordensregel gut zu machen. Seht die hl. (Johanna Franziska) v. Chantal: in allen ihren Schriften, in ihren Antworten geht sie auf die geringsten Einzelheiten ein. So muss jede lernen zu machen, was in allem, womit sie betraut ist, notwendig ist. Man muss den Hl. Geist um die Gnade bitten, seine Beschäftigung, was immer es auch sei, gut ausführen zu können. Jede muss sich ihrem Amt mit einem großen Ordensgeist befleißigen, sie auszuführen, wie der liebe Gott es von ihr verlangt. Der Verstand, der nicht angewendet wird, stumpft ab und wird nutzlos.
Vor drei Tagen ist ein Landpfarrer gekommen, der mich fragte, ob ich ihm nicht Nonnen für seine Pfarrei geben möchte. Ich habe ihm geantwortet, dass wir es im Augenblick nicht könnten. Dieser Priester hat mir gesagt: „Ich möchte keine Schwestern haben.“ Und ich sagte zu ihm: „Was verstehen Sie unter Schwestern?“ Er antwortete darauf: „Ich will keineswegs“, sagte er, „Schwestern, die sich an ihren Haushalt machen, und die weder Eifer noch Tatkraft haben. Ich will sehr eifrige, sehr ergebene Nonnen. Aber diese guten Mädchen, die sich um ihre kleinen Angelegenheiten kümmern, die sich mit allem beschäftigen, was sie brauchen, das sind keine Nonnen.“
Tatsächlich sind Nonnen, die ihren Geist nicht beschäftigen, die ihren Verstand nicht arbeiten lassen, schließlich nur Haushaltsmädchen. Das kommt von der Trägheit des Geistes. Man muss wohl den lieben Gott bitten, die Wissenschaft zu bekommen, die wir brauchen. Es muss eine Oblatin des hl. Franz von Sales ein Mädchen des Studiums sein, ihren Geist mit den kleinsten Dingen beschäftigen. Seht den hl. Franz von Sales und die hl. (Johanna Franziska) von Chantal an, wie sie sich beschäftigen! Sie waren sehr aktiv, überlegten und arbeiteten immer! Macht es wie sie, meine lieben Kinder. Das Leben einer Oblatin soll wesentlich beschäftigt sein. Die Trägheit des Verstandes, die Trägheit des Geistes bewirkt, dass man wie ein Rad ist, das sich dreht und nichts hervorbringt.
Bittet wohl den hl. Hieronymus um seinen Geist der Aktivität und der intelligenten Arbeit. Wir finden in ihm ein so schönes Beispiel! Er hat Beträchtliches geschrieben. Und wie viele Reisen hat er nicht nach Palästina gemacht, um genaue Notizen über die Länder zu machen, in denen unser Herr gewohnt hat! Er übersetzte die Hl. Schrift aus dem Hebräischen ins Lateinische und dabei schreckte er vor langen Jahren schwerer und mühevoller Arbeit nicht zurück. Er machte viele Reisen sowohl nach Jerusalem als auch nach Nazareth, um seine Arbeit gut zu vervollständigen. Dieser große Heilige hatte eine solche Frömmigkeit zum Jesuskind, dass er sich nahe der Grotte von Bethlehem niederließ und er bat, dort begraben zu werden. Jetzt wird die hl. Krippe nach Rom, nach Santa Maria Maggiore gebracht, und nahe dabei befindet sich das des hl. Hieronymus. Gott ließ nicht zu, der das Jesuskind so sehr geliebt hatte, von der Krippe getrennt wird, und sein Körper ruht bei dieser Krippe, die er so oft in der Fülle seines Glaubens verehrt hatte. Bitten wir den hl. Hieronymus um seinen Geist der Arbeit und des Studierens.
Meine Kinder, hört gut zu: möge, was ich euch sage, nicht bei einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinausgehen, möge keines meiner Worte auf die Erde fallen, möge keines meiner Worte fruchtlos sein. Möge jede sich bemühen, Nutzen daraus zu ziehen, und wenn es notwendig ist, soll jede ihr kleines Exerzitienheft haben: sie soll aufschreiben, woran sie denkt, was sie zu vergessen fürchtet.
Bittet also den hl. Hieronymus, da wir ja sein Fest feiern. Er war eine der größten Leuchten der Kirche. Ich mache euch keine Betrachtungen über das Hervorragende seines Lebens, über sein tiefes Wissen, mit dem er sich beschäftigte. Aber ich wende sein Leben auf eures an, damit jede von euch darin ein Vorbild eine Ermutigung findet. Bittet ihn, er möge euch das Licht und den Geschmack erlangen, um euch zu bilden, ich sage nicht, in der menschlichen Wissenschaft, wohl aber in der religiösen!
Die aktiven, beschäftigten Seelen empfinden nicht dieses Sehnen, diese Abneigungen, diese manchmal so erdrückenden Qualen. Sie verstehen es, ihre Zeit nützlich für sich selbst und für die anderen zu verwenden. Sie beschäftigen ihren Geist und ihre Vorstellungskraft mit nützlichen und notwendigen Dingen. Ja, meine Kinder, Gott ist Verstand und Geist, und er teilt sich den beschäftigten Verständigen mit. Der Geist, der arbeitet, ist dem lieben Gott angenehm. Also sind wir nützlich, weil jeder Geist, der arbeitet, nützlich ist. Der Geist, der nicht arbeitet, ist Gott und den anderen verachtenswert, er interessiert sich für nichts.
Wir werden dem hl. Hieronymus sagen, er möge uns umgeben an das zu denken, was wir machen müssen. Das hl. Evangelium sagt uns von dem kleinen Jesuskind, dass es jeden Tag an Weisheit und Gnade vor Gott und den Menschen zunahm. Bitten wir ihn um diese Gnade für unseren Geist.
Oh Jesus, gib uns die Liebe zum Studium und zu den Dingen, die wir machen müssen. Oh kleines Jesuskind, ich begebe mich an deine Krippe, die ich mich mit so viel Glück in Santa Maria Maggiore besuchte, wo die Frömmigkeit und die Liebe so viel wunderbares vereinten! Oh, ich verehre dich, Krippe von meinem Jesus, bei der ich niederknie, über der die Engel das „Gloria in excelsis Deo“ anstimmten. Ich verehre euch, oh, ihr drei kleinen Bretter, die ihr das Jesuskind getragen habt, und ich bitte euch, uns das Licht, den guten Willen und den Frieden zu schenken. Ehre sei Gott im höchsten Himmel und Friede auf Erden den Menschen guten Willens! Ebenso, meine liebe Kinder, werde ich euch sagen: „Friede auf Erden denen, die guten Willens sind.“ Amen.