Exerzitienvorträge für die Oblatinnen Februar 1874

      

2. Vortrag: Die verschiedenen Arten, Exerzitien zu machen

Dienstagvormittag, 10.02.1874

Meine Kinder, wir sind in Exerzitien. Wie soll eine Oblatin ihre Exerzitien machen? Bestehen für sie die Exerzitien hauptsächlich aus äußerlichen Übungen? Soll sie lange Lesungen, lange Betrachtungen, großartige Überlegungen machen? Oh, nein… Warum würde die Oblatin vieles in den Büchern suchen, wenn sie unseren Herrn bei sich hat? Hat sie nicht alles, wenn sie ihn besitzt, genügt es ihr nicht, sich mit ihm unterhalten zu können, ihm alles sagen zu können, was sie ihm zu sagen hat?

Bestehen die Exerzitien aus großen geistigen Tröstungen zu haben? Nein. Man muss sie machen, wie sie der hl. Franz von Sales machte, als er zu den Kartäusern ging, wo man noch jetzt mit großer Verehrung sich an die Plätze erinnert, die er durch seine Anwesenheit heiligte. Ihr müsst unserem seligen Vater in eurem Äußeren und in eurem Inneren ähnlich sein, da ihr ja seine Töchter seid. Eine Tochter soll ihrem Vater ähnlich sein, sonst scheint sie nicht Teil der Familie zu sein. Euer Äußeres soll wie das des hl. Franz v. Sales sein: würdig, edel, ruhig, einfach, sanft, fest, gut. Ja, es soll würdig sein wie seines! Hört das wohl, meine lieben Kinder, merkt es euch gut: es möge immer Würde in euch sein.

Jetzt zu eurem Inneren: es soll auch dem des hl. Franz von Sales gleichen. Wie machte er seine Exerzitien? Sein Geist war nicht getrübt durch die eifrige Suche nach geistigen Tröstungen. Er wollte nur, was der liebe Gott wollte. Sagt unserem Herrn nach seinem Beispiel: „Ich komme in die Exerzitien, weil man mich hineingestellt hat, weil du willst, dass ich dort bin. Ich komme hin, Herr, um bei dir auszuruhen, um meinem Geist Erholung zu gewähren, um mein Herz zu stärken. Ich komme zu dir, weil mich gerufen hast. Du hast zu mir gesagt: ‚Kommt, und ich bin gekommen! Ich komme wie deine Apostel, wenn sie müde von ihren Arbeiten zurückkamen, von evangelisierenden Leuten, denen sie dein Wort gebracht hatten, nachdem sie Verachtung, Widersprüche, schlechte Behandlung erlitten hatten, sagtest du ihnen.‘ Kommt mit mir an einen verlassenen Ort, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Wie glücklich waren sie dann, bei dir zu sein! Auch wir, Herr, kommen wie sie, um bei dir auszuruhen.“

Meine Kinder, die erste Art, die Exerzitien zu machen, ist also, dass ihr euch beim lieben Gott aufhaltet und ihm sagt: „Ich bin sehr unwürdig bei Dir, in Deiner Nähe zu sein. Aber ich will dort bleiben, weil ich Dich liebem Herr, und Dich immer lieben will.“ Wenn es euch nun passiert, dass ihr Furcht empfindet, eine gewisse Unsicherheit, was unser Herr für euch ist, denkt, dass auch die Apostel Unsicherheiten dafür empfanden, was unser Herr für sie war. Sie empfanden Angst, dass es ihnen nicht gelingen würde, alles zu machen, was der Heiland ihnen sagte, sie hatten Mühe zu glauben. Wenn ihr euch also furchtsam versucht fühlt, wenn ihr zerstreut, mit euch selbst beschäftigt seid, sagt unserem guten Meister: „Oh Herr, da denke ich an mich, ich ließ mich von dir ablenken! Ich komme zu Dir zurück, ich will Dich nicht mehr verlassen.“ Unterhaltet euch so mit unserem Herrn, meine Kinder.

Oder macht auch eure Exerzitien in Nazareth. Oh, wie ist es gut in diesem hl. Haus! Ich habe es selbst empfunden während der wenigen Stunden, die ich dort verbrachte. Wie gut müssen sich die hl. Jungfrau und der hl. Josef gut gefühlt haben, so bei unserem Herrn zu wohnen, wie glücklich müssen sie gewesen sein, alle seine Handlungen zu sehen, alle seine Worte zu hören! Oh, wie wäre es gut, immer in diesem hl. Haus von Loretto zu leben vor allem dort zu sterben.

Die zweite Art Exerzitien zu machen, ist unserem Herrn in die Wüste zu folgen, wo er vierzig Tage blieb. Er verbrachte diese Zeit in der Einsamkeit, empfand nur Abscheu, Leid, Dürre, Trockenheit, Unannehmlichkeit und nahm keine Nahrung zu sich. Er litt Hunger und Durst: er schien vom Vater verlassen zu sein. Er hat alle widerwärtigen Dinge empfunden! Es heißt, dass dann Engel kamen, um ihn zu bedienen, aber die Engel kamen erst zum Schluss. Wenn ihr also Abscheu, Dürre, Unannehmlichkeit empfindet, wenn euch Gebet schwer fällt. Wenn unser Herr euch nichts sagt. Wenn ihr mutlos seid oder zu euren Übungen mit Anstrengung gehen müsst, glaubt nicht, dass ihr eure Exerzitien schlecht macht: diese Exerzitien sind vielleicht die besten. Nicht, dass ich es nicht gut finde, eine Stunde des Trostes bei unserem Herrn zu verbringen, bei ihm zu sein. Oh, nein. Aber es ist gut, seine Exerzitien in der Trockenheit zu machen, wenn unser Herr uns dort will. Man macht sie so aus Liebe zu ihm. Es ist sehr gut ihn zu sehen, ihn zu hören. Aber es ist noch besser, für ihn zu leiden!

Die dritte Art, die Exerzitien zu machen, ist auf Kalvaria zu folgen. Man empfindet dann große Abneigung und Ängste, das Herz wird sozusagen gemartert. Diese dritte Art, dem Heiland zu folgen, ist etwas Seltenes, Außergewöhnliches, das nicht oft vorkommt. Da das Leben der Oblatin dem unseres Herrn ähnlich sein soll, trifft man auf diesem Seelenzustand nicht häufig in seinem Leben. Sie fühlt das wohl manchmal, von Zeit zu Zeit aber nicht oft. Ich wiederhole es, es ist etwas Außergewöhnliches. Diese Heimsuchungen werden einer Seele geschickt, um sie sich selbst sterben zu lassen oder sie auf den Tod vorzubereiten. Der liebe Gott hat seine Pläne, die wir nicht kennen. Aber noch einmal, darauf stößt man nicht oft. Unser Herr litt am Ölberg und auf seinem schmerzhaften Weg von Kalvaria nur einen Tag lang. Er blieb nur drei Stunden ans Kreuz geheftet. Aber während dieser Augenblicke betete er unaufhörlich! Er sagte seinem Vater während seiner Agonie in Gethsemane: „Vater, wenn es möglich ist, möge dieser Kelch an mir vorübergehen. Doch dein Wille geschehe und nicht meiner.“ Und auf dem Kreuz, nachdem er gesagt hatte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ rief er aus, indem er seinen letzten Atemzug tat: „Es ist vollbracht.“ – „Mein Vater, in deine Hände lege ich meinem Geist.“ – Meine Kinder ich sage euch vielleicht Dinge, die für euch zu stark sind? …

Herr, unter den Seelen, die dir gehören, gibt es welche, die vielleicht sehr untreu waren, und alle sind sehr krank, sehr schwach, aber ihr Wille gehört Dir. Sie alle wollen dir ganz gehören. Du bist bei uns, Herr, wir wissen, dass du bei uns, in unserer Mitte bist. Wir haben als Führer, als Gründer, als Leiter den hl. Franz von Sales. Wir werden alles machen, was er uns sagen wird. Wir müssen unserem Vater ähnlich sein, und der hl. Franz von Sales ist all das für uns. Wie wären wir nicht sicher, seinen Willen zu erfüllen, zu machen, was ihm am liebsten ist? Wie würden wir nicht wissen, dass er bei uns ist, da er uns selbst gezeigt hat, dass du bei uns bist. Denn, Herr, ließest du uns hier nicht deine Gegenwart fühlen, indem du auf die Fürsprache dieses seligen Vaters im vergangenen Jahr zur gleichen Stunde die augenblickliche, wunderbare Heilung meiner Sr. Louise-Emmanuel bewirktest? Du hast dadurch sehr gut gezeigt, dass du in diesem Haus bist! Durch die Gnade, die du uns gewährtest, haben wir dich hier gesehen. Wir brauchten keine Beweise deiner Gegenwart, und dennoch haben wir diesen und noch viele andere! Oh, Herr, du bist wohl unser Emmanuel! Die Seelen deiner Gemahlinnen sind dir ganz nahe und du bist ganz nahe bei ihnen. Nicht, dass sie in Tugenden nahe bei dir sind, aber du bist ihnen durch deine Liebe ganz nahe. Blieb also immer in ihrer Mitte, Herr!

Während eurer ersten Betrachtung, meine lieben Töchter, demütigt euch wohl vor dem lieben Gott, sagt ihm, dass ihr versteht, wie unwürdig ihr seid, vor ihm zu erscheinen. Haltet euch klein und gesammelt bei unserem Herrn, legt ihm eure Bedürfnisse dar, sprecht zu ihm und hört, was er eurem Herzen sagen wird.

In der zweiten Betrachtung werdet ihr euch wieder gut bei ihm halten, versuchen euch von euch von euren Fehlern zu reinigen, zu euch zurückkehren und alle eure Nachlässigkeiten verachten, alles, was in euch sein Herz traurig machte.

Während der dritten Betrachtung werdet ihr euch immer bei unserem göttlichen Meister halten, viele geistige Kommunionen machen. Ihr werdet ihm sagen, dass er in euch kommen und für immer dort bleiben möge!

Als der Heiland nach seiner Auferstehung inmitten seiner Apostel erschien, fehlte einer: das war der hl. Thomas. Die anderen Jünger sagten ihm also: „Wir haben den Herrn gesehen“. Aber er antwortete ihnen: „Wenn ich meine Finger nicht in die Stellen der Nägel und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ Als acht Tage danach die Apostel wieder im Abendmahlsaal waren und der hl. Thomas bei ihnen war, kam Jesus wieder in ihre Mitte und sagte zum hl. Thomas, wobei er ihm seine Wunden zeigte: „Gib deine Hand her, lege sie in meine Seite. Und sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ – „Nun“, sagte der hl. Thomas zu unserem Herrn diese wunderbaren Worte: „Mein Herr und mein Gott!“ Nun erkennt auch ihr, meine lieben Kinder unseren Herrn und sagt zu ihm: „Mein Herr und mein Gott! Ja, du bist hier!“

Oh, behaltet gut den ganzen Tag in eurer Seele dieses Wort des hl. Thomas: „Mein Gott und mein Gott!“ Denkt daran, erwägt es. Überlegt alles, was ich euch gesagt habe und bittet unseren Herrn, er möge kommen, um alles mit euch zu machen, er möge euch denken, sprechen und handeln lassen.

Amen.