1. Vortrag: Wichtigkeit der Exerzitien – Notwendigkeit des wahren Ordenslebens
Montagvormittag, 09.02.1874:
Meine Kinder, wir beginnen heute die Übungen der Exerzitien. Das heißt nicht, dass sich die Exerzitien aus vielen Übungen zusammensetzen sollen. Denn für eine Oblatin sind die Exerzitien eher eine Einsamkeit mit dem lieben Gott, wie die hl. (Johanna Franziska) v. Chantal sagt, heißt Exerzitien machen, jede Art von Sorgen, jeden Gedanken, jeden Wunsch, jedes geistige Streben zu verlassen, um sich nur noch mit dem lieben Gott zu beschäftigen, d.h., seine Seele zu sammeln, und sie ganz nahe bei ihm zu halten, um ihm zuzuhören.
Diese Exerzitien, die wir beginnen, sind etwas sehr Ernstes und sehr Wichtiges, besonders für die unter euch, die das hl. Gewand nehmen oder Profess machen werden. Das ist äußerst ernst, weil es wesentlich ist, dass wir gut beginnen wegen all derer, die dann kommen werden. Der kleine Strauch, der auf einem Berg wächst und seine Wurzeln in die Spalten eines Felsens treibt, wächst sehr schwer. Er bleibt ganz mickerig und verkümmert. Dies gilt auch für euch, meine lieben Kinder, wenn ihr nicht gut beginnt, werden die, welche nach euch kommen, es nicht besser machen, als ihr es gemacht haben werdet.
Ich wiederhole also, was ihr machen werdet, ist etwas äußerst Ernstes: es geht darum, euch ganz dem lieben Gott zu schenken. Was ihr machen werdet, ist für euch der Beginn eures Ordenslebens. Ihr müsst wahrhaftig Nonnen, ganz Nonnen sein. Das heißt nicht, dass ihr sogleich vollkommen sein müsst, oh, nein… Aber wenn euer Herz für unseren Herrn kalt ist, wenn ihr in euch nicht die Glut der Frömmigkeit spürt, und wenn ihr nicht in der Lage seid, alles zu erfüllen, was euch vorgeschrieben wird, werdet ihr besser daran tun, anderswo zu wohnen. Aber bleibt nicht unter demselben Dach wie die Seelen, die sich dem lieben Gott schenken wollen, um ihm wahrhaftig zu gehören. Wozu würde es dienen, dass ihr ein anderes Gewand tragt als jedermann, wenn ihr bleiben solltet, was ihr seid? Ebenso wäre es gut, gekleidet zu sein wie jedermann.
Oh, meine lieben Töchter, ihr müsst wahre Oblatinnen sein. Seht, ich habe einen Horror von Nonnen, die vom Orden nur das Gewand haben. Ebenso gut könnten sie die Gewänder der Welt behalten. Warum nehmen sie den Platz der Seelen ein, die in die Gemeinschaft kommen, um heilig zu werden, um das Leben der Engel zu leben?
Was ich euch sage, ist von größter Wichtigkeit. Ihr müsst euch dem lieben Gott durch eine völlige Beobachtung der Regel schenken. Prüft gut, was ihr machen könnt. Es geht nicht darum, die Verpflichtungen des Ordenslebens auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Dinge des lieben Gottes behandelt man nicht leichtfertig. Nehmen wir die ernsten Dinge, die uns im Noviziat gesagt werden, nicht auf die leichte Schulter. Wir halten sie für streng, aber sie werden uns noch nicht streng genug gesagt. Seht also die Verpflichtungen, die uns das Ordensleben auferlegt. Seht, welche eure Pflichten, euch selbst, dem lieben Gott und den Nächsten gegenüber sind.
Um mich der Worte der hl. Schrift zu bedienen und um, wie unser guter Meister zu sprechen, werde ich von den Vergleichen, die er im Evangelium gibt, den vom Schafstall nehmen. Der Schafstall ist für Lämmer gemacht. Der Hirte lässt dort keine unreinen, keine wilden Tiere zu. Es ist hier das Gleiche, es bedarf in eurem Schafstall nur guter, kleiner Lämmer.
Warum seid ihr von unserem Herrn berufen, warum seid ihr ganz nahe seinem Herzen gestellt, wenn nicht, um ihm ganz zu gehören, indem ihr wahre Nonnen seid? Euer Leben besteht daraus, ihm überallhin zu folgen, ihm zu folgen, indem ihr mit großem Eifer für das Heil der Seelen arbeitet. Erinnert euch, was euch Msgr. Mermillod hier in dieser Kapelle, auf dem Platz, wo ich bin, sagte: dass ihr die Hilfskräfte des Klerus sein sollt. Ja, ihr seid durch eure Berufung gerufen, viel Gutes in der hl. Kirche zu wirken. Ihr müsst den Seelen durch euer Gutes tun, indem ihr ihnen Nahrung gebt, die sie brauchen, nach der sie dürsten, denn sie brauchen diese Nahrung, die das Wort Gottes ist, und dürsten nach ihr. Ihr sollt das Gute in der Kirche nicht nur durch das Wort, die Unterweisung tun, sondern vor allem durch euer Beispiel, eure Tugenden, eure Heiligkeit. Seht wohl, was zu machen ihr verpflichtet seid. All das wurde euch während eures Noviziates gezeigt. Aber vielleicht genügt das noch nicht, ihr müsst alle eure Pflichten kennen: deshalb zeigen wir sie euch, um eure Seelen zu erleuchten und gut zu nähren.
Meine Kinder, während eurer Exerzitien werdet ihr jeden Tag drei Mal das „Veni creator“ (Anm.: „Komm, Schöpfer Geist…“ [GGB-Nr.: 351]) beten und drei Betrachtungen zu je einer halben Stunde machen:
Heute, am ersten Tag der Exerzitien, der sehr wichtig ist, werdet ihr eure erste Betrachtung machen und euch bei unserem Herrn halten, der durch seine Gnade in eurem Herzen gegenwärtig ist, gewärtig durch seine geistige Gegenwart, gegenwärtig durch seine wirkliche Gegenwart in seinem Tabernakel der Liebe, tatsächlich gegenwärtig in euch durch die hl. Kommunion, die ihr soeben empfangen habt. Ihr werdet ihm sagen, dass ihr sehr unwürdig seid, in seiner Gegenwart zu sein, aber dass ihr zu ihm kommt, damit er euch seine Salbung gibt, dass ihr kommt, um euch vorzubereiten, seinem Wort zu lauschen, ihm nahe zu sein.
In der zweiten Betrachtung werdet ihr euch sehr vor dem lieben Gott demütigen für eure Nachlässigkeiten in seinem Dienst, für das, was ihr für ihn nicht gemacht habt, für das, was ihr ihm nicht gegeben habt.
Die dritte Betrachtung werdet ihr machen, indem ihr euch für eure Sünden demütigt. Ihr werdet euch bei unserem in seinem Tabernakel gegenwärtigen Herrn aufhalten, ihr werdet ihn um Verzeihung bitten und ihm auch eure Liebe für sein hl. Sakrament bezeugen.
Die Erholung am Abend werdet ihr alle gemeinsam verbringen, aber mit einer Zurückhaltung, die die Sammlung der Exerzitien fühlt. Die Stille wird auch besser zu beobachten sein. Ihr werdet auf den lieben Gott hören, ihr werdet seinem Wort lauschen, denn der liebe Gott spricht. Ja, vor allem während der Exerzitien lässt sich der liebe Gott am Grund des treuen Herzens hören. Dass es so sei, meine Kinder. Amen.