08. Ansprache vom Mittwoch, dem 21.07.1886, in der Kapelle des Kleinen Kollegs aus Anlass der Aufnahme uns Noviziat und der Abreise der Patres Fromentin und Paul Rougelot nach Südafrika.
Thema: Hand in Hand mit dem Erlöser.
Liebe Kinder, die Zeremonie dieses Abends hat einen besonderen Charakter. Wir setzen euretwegen den Zeitpunkt der Aufnahme ins Noviziat etwas früher an. Diese Aufnahme und die Abreise nach einer fernen und mühseligen Mission scheint anzudeuten, dass wir reichlich hurtig in unseren Unternehmungen voranschreiten. Es scheint doch: Wenn man jemanden so weit fortschickt, muss man unter jenen auswählen, die bereits viel gelitten und einen Teil ihres Wesens aufgezehrt haben, um sich auf eine so große Tat vorzubereiten. Also unter den Veteranen des Priestertums und des Ordensstandes, unter jenen, die alles nötige Licht der Wissenschaft erworben haben, damit sie ausgebildete Gewohnheiten und die nötige Energie besitzen, um Verbannung, Anstrengung, Not und Elend ertragen zu können. Und siehe da, heute geschieht genau das Gegenteil von all dem.
Das kommt daher, dass wir unser Vertrauen nicht auf menschliche Mittel setzen, sondern auf Gott allein. Wenn wir euch aussenden, meine Kinder, dann lassen wir, euer Novizenmeister, eure Mitbrüder und eure Patres euch nicht als Waisen zurück. Ihr geht dort in dieses ferne Land unter den Augen Gottes, des hl. Franz v. Sales und der Guten Mutter. Ihr seid noch Kinder. Sie werden euch auf dem rechten Weg führen, wie der Prophet sagt, und euch an der rechten Hand halten. Umso besser, meine Kinder, wenn wir unser Vertrauen nicht auf euch setzen können. Dann haben wir eben umso stärkeres Vertrauen zu Gott. Wir bauen nicht auf euer Wissen, nicht auf euer Können, nicht einmal auf eure Frömmigkeit. Wir vertrauen einzig und allein auf Gott. Er wird euch alles geben, was euch mangelt. Er wird alles Fehlende ersetzen. Fasst darum Mut! Möge dieser Mut für immer euer Herz beleben. Wir gehen voran und wissen nicht, wohin. Es tut aber gut, voranzugehen, weil wir ja nicht uns selbst überlassen bleiben, sondern immer zusammen mit unserem Erlöser schaffen.
Morgen, meine Kinder, braucht ihr einen Führer, eine Stütze, und das wird für euch der Erlöser sein. Er wird genau die Stütze sein, wie ihr sie braucht, das versichere ich euch. Gebt genau acht auf die Worte, die er zu euch sagt. Er wird euch wie ein Novizenmeister zureden, sein Wort wird ernst, manches Mal auch streng sein, aber es wird treffend und gütig sein, was ihr da zu hören bekommt.
Das äußere Wort wird euch gewiss fehlen, ihr vernehmt nur noch ein inneres. Der Hauch des Herrn ist so leicht, so delikat, sagt der Prophet. Er war auf dem Berg Horeb damals, der Prophet Elias: Er hört einen schrecklichen Lärm: Es ist nicht der Herr. Der Herr ist nicht im Lärm. Da schießt eine verzehrende Feuerflamme vorbei: Der Herr ist auch nicht im Feuer. Nach dem Feuer lässt sich ein leichter Windhauch vernehmen, wie ein Hauch, der unmerklich der menschlichen Brust entweicht: Das ist der Herr. Und Elias bedeckt sein Gesicht mit seinem Mantel und hört zu in Anbetung und Sammlung, denn das war der Herr!
Seid also treu, dass auch ihr den Hauch des Herrn nicht überhört. Es will mir scheinen, meine lieben Kinder, wenn ihr auf dem Boden Afrikas dahingeht, wird euch alles von Gott sprechen, und in allem, was ihr dort unternehmt, wird in eurem Herzen ein so tiefes Schweigen von den Einsiedlern, den Ordensleuten, die sich dem Eremitendasein verschreiben. Das verlange ich auch von euch, meine Kinder. Ihr braucht es tausendmal mehr als die Trappisten und die Kartäuser. Denn dieser Hauch Gottes ist euch nötiger und unersetzlicher als ihnen.
Entäußert euch euer selbst und eurer Persönlichkeit, lebt nur noch vom Direktorium, von den Gedanken unseres hl. Stifters und der Guten Mutter. Die anderen Missionare leisten großartige Dinge. Tut nichts dergleichen! Haltet euch bloß aufs Innigste vereint mit dem Erlöser durch euer Direktorium. Bemüht euch, die Spuren seiner Füße nicht zu verlieren. Er wird alles machen!
Das ist die Mission, die Sendung, die ich euch übergebe. Geht zu dieser Erde Afrikas… Ihr werdet sicher keine Wundertaten vollbringen, noch erstaunliche Gründungen vornehmen… Nein, mit dem Herrn zusammen sende ich euch in dieses unwirtliche Land. Lebt in Gemeinschaft mit ihm, mögen eure Herzen für ihn schlagen, sich mit seiner Liebe durchtränken und im Einklang mit seinem Herzen leben! Ich sage es noch einmal: Er wird alles machen.
Beherzigt das wohl in eurer Einsamkeit. Es wird wie in Scethe und in der Thebais sein. Diese hl. Mönche hörten keine anderen Geräusche als den Windhauch, den Schrei der Vögel und der wilden Tiere. Das aufmerksame Ohr dieser Ordensleute vernahm aber auch die Geräusche des Himmels und die Unterhaltungen der Engel. Sie sprachen mit Gott. Tut dasselbe, meine Kinder. Inmitten der Beschäftigungen und Lasten eures Seelsorgedienstes überhört nicht den Hauch Gottes und folgt ihm treu.
Das ist eure Sendung. Wenn ihr dann sprecht und die Kinder unterrichtet, wenn ihr Klugheit mit Liebe paaren müsst, wird Gott euch erleuchten. Und ihr werdet das tun, was er euch ins Ohr geflüstert hat… Ihr werdet nichts daran abändern und nichts von euch dazu mischen. Geht mit diesem Gepäck, geht mit unserem hl. Stifter, mit eurem Direktorium, mit der Guten Mutter Maria Salesia, mit uns hier. Denn wir lassen euch nicht im Stich.
Ihr werdet immer als die Ersten in unverbrüchlicher Liebe in unserer Erinnerung, in unserem Memento und in unseren Gebeten leben. Wir werden mit euch zusammen leben. Und haben wir die Zeit, Gott noch etwas anderes zu opfern, dann wollen wir wie Hiob warten, bis all unsere Kinder da sind und die Familie vollzählig beisammen ist, bevor wir das Gastmahl beginnen, Gott das Opfer darbringen und jeder seinen Anteil erhält. Und euer Anteil wird euch groß und überreichlich zugemessen werden.
Meine Kinder, ihr geht in eine schwierige Mission. Der Teufel hat sein Unkraut auf den Acker des Familienvaters gesät. Lasst es wachsen bis zum Tag der Ernte, wenn die Knechte das Unkraut vom Weizen trennen. Lasst ruhig protestieren und schreien. Die Tage werden vergehen, und man wird gut erkennen, wo die Wahrheit ist. Seid geduldig. Tretet mit Klugheit in die Hitze des Kampfes ein. Bleibt gütig und fest! Legt euch nicht mit den Menschen an, sondern stellt euch unter den Blick Gottes.
Meine Kinder, tragt zu unseren Patres und Schwestern dort die Gewissheit, dass wir nicht zwei Herzen bilden, sondern ein einziges, ein einzige Seele! Unsere Gebete sind eins, unser Leben eins. Wir wollen keinen anderen Lebensorden als den ihren.
Möge der Erlöser Jesus, dessen Klopfzeichen ihr antwortet, indem ihr diesen ersten Schritt ins Ordensleben tut, über euren Geist jene Kraft und jenen göttlichen Reiz ausbreiten, der von ihm ausging, als er am See Genezareth die Massen um sich scharte und zu ihnen sprach. Möge er selbst euer Sprachrohr, euer Wort, der Klang eurer Stimme sein. Er möge sich voll und ganz mit euch identifizieren! Herr, wo bist du vorübergegangen? Zeige mir die Spur deiner Schritte auf diesem unfruchtbaren Boden Afrikas, zu dem wir jetzt aufbrechen. Ich soll ja dein anderes Ich werden… Geh du vor mir her! Sagt die Gute Mutter nicht, man würde in uns den Erlöser von neuem über die Erde gehen sehen?
Herr, du bist es doch, der in mir diesem Volk in Afrika erscheinen soll. Wandle mich so, dass man nur dich in mir erkenne, so dass alle dich lieben und zu dir kommen… So, meine Freunde, sollen Oblaten des hl. Franz v. Sales in den Missionen arbeiten. Wir haben nicht zwei verschiedene Arten zu arbeiten, sondern nur dieses eine. Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde, und ich tue desgleichen… Worin bestand denn die Arbeit des Erlösers? In der Arbeit des Häuschens von Nazareth, in seinen apostolischen Mühen inmitten der Menschen von Judäa, dazu heute seine Tätigkeit im Himmel, Jesu Schaffen geschieht allezeit in Vereinigung mit dem rastlosen Tätigsein Gottvaters und der heiligsten Dreifaltigkeit.
Und das ist es, meine Freunde, was auch wir jeder tun müssen. Und das dehnt den Horizont unserer Bemühungen und unseres irdischen Lebens weit aus: Der Vater wirkt bis zu dieser Stunde, und ich tue desgleichen. Das ist es, was auch wir tun müssen. Das glauben wir, das is unsere Lehrweisheit. Wir tun nichts anderes hier auf Erden. Und im Himmel fahren wir damit fort und singen ewig das Lob Gottes… Hier unten ist unser Arbeiten klein, erbärmlich, ein Stückwerk. Da drunten in Afrika werden ihr Sand formen, werdet ihr Ziegel unter den heißen Strahlen der Sonne und im Schweiß eures Angesichtes brennen müssen. Ihr werdet die Last des Tages und der Hitze tragen und, was schlimmer ist, die Prüfungen der Widersprüche von Seiten der Menschen ertragen müssen… Arbeitet darum mit unserem Herrn zusammen, dann wird all euer Mühen bereits ein Hymnus des ewigen Himmels sein, denn für Gott ist es dasselbe.
Für euch wird das erste das sichere Unterpfand des zweiten sein, wird der Beginn der ewigen Erfüllung und Vollendung sein.
Merkt euch gut das Wort, das ich euch heute Abend sage, es wird ja das Glück eures Apostolates begründen. Es beginne, wachse und vollende sich im Glück der Ewigkeit im selben Geist, in Zusammen mit dem Erlöser.
Zieht fort mit dem Segen des Herrn Jesus, mit dem Segen eurer Mitbrüder und aller unserer Patres. Ihr seid dort unten sicherer, den Willen Gottes zu finden und werdet Gott dort eher begegnen als hier. Ihr werdet mehr Schutz und Stützung erfahren und könnt vertrauensvoller dem letzten Tag entgegensehen. Denn dann wird der Herr, mit dem zusammen ihr so innig verkehrt habt, kommen und euch sagen: Kommt! Und ihr werdet bei ihm einkehren als wahre Oblaten, die das Antlitz ihres angebeteten Meisters entdecken, dem sie auf Erden gedient haben, ohne ihn zu kennen.
Mein Gott, werdet ihr ihm sagen, du gehörst ganz uns, wir kennen dich, wir lieben dich, denn du hast uns an Kindes Statt angenommen und gegen dein Herz gedrückt. Wir haben keinen anderen Anteil erhalten wollen. Wir haben allein von deinem Gnadenhauch leben wollen. Amen. Amen.
