Ansprachen

      

07. Ansprache am 28.04.1886: Im Noviziat.

Thema: Berufung und Treue zum Direktorium.

Meine Kinder, ich möchte, dass die wenige Worte, die ich jetzt an euch richte, sich tief euren Seelen einprägen, damit ihr darin den Schatz findet, auf den ihr euch verlassen könnt, die notwendige Antwort für sehr viele Umstände des Lebens.

Zu allen Zeiten war der Ordensstand für jene, die sich ihm weihten, eine wichtige Angelegenheit. In allen Orden und in allen Religionen lauerten zu allen Zeiten Gefahren, Klippen und schwere Kämpfe, um den Beruf zu bewahren. Heute aber sind die Gefahren größer, die Versuchungen stärker und spitzfindiger denn je.

Die Welt freilich macht wenig Unterschied zwischen den verschiedenen Berufen. Sie sieht es ein bisschen so, wie ein Gewürzkrämer, der ohne weiteres Konditor werden kann. Welch ein Unterschied besteht da schon? …

Das ist auch auf einem anderen Gebiet der Eindruck vieler junger Kleriker. Nehmt einen jungen Mann, der gekommen ist, um Ordensmann zu werden. Er hat einen echten Beruf. Eines schönen Tages aber hängt er seinen Beruf an den Nagel, aus Laune, aus Feigheit vor den Schwierigkeiten. Was riskiert er dabei schon? Er riskiert nichts als sein Heil, nichts mehr und nichts weniger. Es ist fast unmöglich, in der Welt draußen gerettet zu werden, wenn man Priester- oder Ordensstand berufen ist. Die Theologen sagen zwar, dies sei metaphysisch nicht unmöglich, sie müssten jedoch hinzufügen, dass man, um dahin zu gelangen, wie durch Feuer und Wasser gehen muss.

Sagt auch nicht, wie es kürzlich eine Postulantin der Oblatinnen tat, die an ihren Beichtvater in der Welt schrieb, ich habe gesagt, alle Novizinnen, die nicht ausharrten, kämen in die Hölle. Versteht wohl, was ich sage: Wer einen Priester- oder Ordensberuf hat und nicht ausharrt, stellt das Werk seines Heiles mächtig in Frage.

Man tritt in eine Ordensgemeinschaft, in ein Noviziat, in ein Priesterseminar ein und geht eines Tages wieder fort ohne triftigen Grund…Ich behaupte nicht, man werde deswegen verdammt, sondern im Gegenteil, wenn man sich bezüglich seiner Berufung wirklich getäuscht hat, wenn kluge Berater einem bestätigen, was man selber schon vermutet hat, dass es nämlich besser sei zu gehen, dann muss man auch gehen! Dazu ist aber eine vorherige Gewissensprüfung nötig und zwar eine ernste. Wir brauchen Gewissheit. Und Gott ist getreu. Wenn man ihn darum bittet, gibt er uns diese Sicherheit.

Die Berufung beruht auf einer tiefen Überzeugung, einem sicheren Tatbestand. Wir haben den Ruf Gottes vernommen, der uns nicht im Stich lässt, selbst wenn uns im Augenblick die Versuchung hindert, die Stimme Gottes aktuell zu vernehmen.
Wie die Berufung bewahren?

Es gibt nur ein einziges Mittel hierfür: Die Treue zur Ordensdisziplin, die wir durch unsere Gelübde bekräftigen oder durch unseren Eintritt ins Noviziat versprechen.

Worin besteht die Ordensdisziplin, die Observanz? In unserem Direktorium. Seien wir ihm treu, dann wird uns das Direktorium offenbaren, ob wir berufen sind oder nicht. Lassen wir uns mit vollen Segeln und mit all unseren Kräften auf das Direktorium ein. Ihr wollt ein Gebäude errichten. Legt zuerst das Fundament.

Selbst während der Ferien sollt ihr das Direktorium beobachten, meine Kinder. Nehmt bei all eurem Tun, in der Mission, in der Klasse, bei der Handarbeit immer die Gedanken an den Tod, die Gute Meinung, den Gedanken einer jeden speziellen Übung. Tut das jederzeit, gleich wo ihr seid, was ihr tut, ob ihr müde seid oder frisch, hier wie am Kap der Guten Hoffnung oder in Brasilien. Seid immer in Lebensgemeinschaft mit dem Direktorium.

Zu meinen Patres am Kap kann ich mich nur beglückwünschen. Der Pater B. schickt mir seine „Rechenschaft“ und klagt sich an, manchmal seine Abtötung bei Tisch vergessen zu haben, die armen Patres! Vergessen sich abzutöten, wenn sie nur Schleim zu essen haben und selbst der anwidert!

Mit dem Direktorium zusammen seid ihr nie allein, sondern immer in Gesellschaft unseres Herrn. Mit ihm sprecht ihr, ihm vertraut ihr eure Sorgen und Nöte an. „Wo warst du, Herr? – Bei dir war ich, ich habe dich nicht verlassen, sondern sah dir zu in deinem Kampf.“ Das Direktorium war es, das die Gute Mutter so geheiligt hat, dass aus ihr dieses große Wunder an Heiligkeit geworden ist. Das verdankt sie dem Leben nach dem Direktorium, dessen treue Schülerin, ergebene und unzertrennliche Freundin sie allzeit war. Messt in euren Gewissenserforschungen zur Beichte der genauen Beobachtung des Direktoriums große Bedeutung bei. Klagt euch in der Beichte an, wenn ihr es an Treue fehlen ließet. Werft euch diese Fehler noch ernster vor, als hättet ihr gegen ein Gebot Gottes gesündigt. Ich spreche hier vor, als hättet ihr gegen ein Gebot Gottes gesündigt. Ich spreche hier natürlich nicht von bedeutenden Verstößen, und ich hoffe sehr, dass ihr mit der Gnade Gottes derartige Sünden über alles meidet. Ich meine hier vielmehr die kleinen geläufigen Fehler. Glaubt mir, diese Verstöße sind in ihren Folgen für uns weniger schwerwiegend als die Fehler gegen das Direktorium. Eine Untreue dem Direktorium gegenüber ist mehr als ein Fehler. Sie ist Quelle einer Unzahl von Fehlern und Nachlässigkeiten, ja Ursache des Untergangs der Gottesliebe in unserem Herzen, eine Quelle von Erbärmlichkeiten ohne Zahl.

Bereut es darum von ganzem Herzen, wenn es euch passiert, dass ihr gegen das Direktorium verstoßt. Gebt die Umstände genau in euren Beichten an und erweckt darüber einen ganz aufrichtigen Akt der Reue. Seid Oblaten! Das ist euer Ehrentitel, eure Aufgabe, euer Stand. Was macht aber jemanden zum Oblaten? Das Direktorium. Bedenkt, dass ihr mit ihm alles habt, fasst es in jeden eurer täglichen Handlungen, in jeder Beichte besonders ins Auge. Alles liegt darin beschlossen, absolut alles!

Meine Kinder, fasst frohen Mut! Die Gegenwart kann euch wirklich Mut machen: Wir haben schöne Beispiele vor uns in unseren Mitbrüdern in Südafrika und in Brasilien. Sie haben schwere Strapazen zu ertragen, große Opfer zu bringen. Wir profitieren davon, da unter Brüdern ja alles gemeinsam ist. Gott segnet uns ihretwegen. Unsere Patres in diesen beiden Missionsgebieten widmen sich den dortigen Kindern, erziehen sie zu einem geordneten und frommen Leben. Diese kleinen Wilden werden religiös durchformt, der Atem Gottes weht da.
Was die Zukunft betrifft, kennt sie Gott allein. Und ich kenne sie ebenfalls ein bisschen. Ohne Zweifel wird sich unser Werk entfalten, die Wirkungen der Liebe des Erlösers werden in diesem Werk immer spürbarer werden.

Wir bereiten große Dinge vor. Legen wir vorher die Fundamente sehr tief in den Boden, damit das Gebäude einen unerschütterlichen Halt findet. Der gute Gott verlangt von unserer kleinen Genossenschaft reichlich große Dinge. Je kleiner, bescheidener und treuer ihre Mitglieder aber sind, umso Größeres kann Gott durch sie wirken. Steigt darum so tief hinab wie ihr nur immer könnt, damit die Fundamente ganz fest verankert sind.

Meine Kinder, ich kann euch nur zurufen: Treue und Demut! Ich beanspruche heute etwas eure Zeit. Aber ich spreche und sehe euch ja nicht jeden Tag. Unter uns: Werdet gütiger und liebevoller. Lernt die verschiedenen Launen eurer Mitbrüder, ihre Neigungen und Ansichten ertragen. Zeigt Entgegenkommen und Einfachheit. Andere ertragen ist etwas Großes! Ihr aber sollt noch weiter gehen: Stützt einander, helft euch gegenseitig beim Gehen und Emporsteigen zu Gott!

Wir wollen den Vorsatz ganz fest fassen, in großer Treue, Demut und Nächstenliebe zu leben. Bitten wir unsere Schutzpatronin, die Gute Mutter, um ihre Hilfe!