Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1880

      

12. Vortrag: Über die Frömmigkeit

Samstag Abend, 25. September 1880

Meine Kinder, die Themen, die uns in diesen Tagen beschäftigen, sind, wie ihr wisst, sehr ernst. Sie sollen nicht nur den Gegenstand eurer Betrachtung während dieser Exerzitien sein, sie sollen die Grundlage für euer ganzes Leben bilden. Es muss alles, was ich euch sagte, eure unwandelbare Regel für alle Tage eures Lebens sein.
Für heute Abend bleibt mir, euch zu sagen, dass eine Oblatin fromm sein muss. Ihr werdet mir sagen: „Aber, mein Vater, das ist für Nonnen selbstverständlich!“ Ja, aber das geht nicht, ohne es auch zu machen. Der heilige Franz von Sales wollte, dass seine Töchter fromm sind, nicht mit einer fantastischen Frömmigkeit, sondern mit einer einfachen, freundlichen. Er will keine einfältigen Töchter, aber er will, dass man fromm ist, dass man das Allerheiligste, die heilige Jungfrau, die heiligen Engel und die Heiligen verehrt, die uns ganz besonders beschützen. Er verlangt, dass sich die Frömmigkeit durch etwas Mildes, Einfaches, Zartes zeigt, und dass man, wenn man sich einer Nonne nähert, etwas wie den Duft der Frömmigkeit riecht.
Schauen wir heute Abend, ob es für uns nicht etwas in Bezug auf die Frömmigkeit zu machen gibt. Wie verhält sich jene, die dem Herzen folgt, um den Herrn im Allerheiligsten zu finden? Wie ist die, welche kommt, um die heilige Jungfrau zu verehren? Wie ist die, welche die heiligen Schutzpatrone und die Engel wie Freund liebt? Unser seliger Vater [Franz von Sales] gab der Heimsuchung als Wappen ein von zwei Pfeilen durchbohrtes Herz. Er wollte, dass seine Töchter eine große Verehrung zum Heiligsten Herzen haben. Sehr seine Verehrung des Jesuskindes, sehr die Briefe, die er am Neujahrstag schrieb. Wie viel Schönes und Anmutiges schreibt er darüber! Welche Verehrung hatte er für die heilige Jungfrau! Welch schöne Mariengebete schrieb er! Schon in seiner Jungend weiht er sich ihr und macht zu ihren Füßen das Gelübde der Keuschheit. Und wie gern betete er unseren Herrn im Allerheiligsten Sakrament des Altares an! Wie war er fromm! Wenn man etwas Schweres zu behandeln hatte, empfahl er, die Schutzengel um Hilfe zu bitten. Er selbst schickte seinen Schutzengel zu den Personen, mit denen er zu tun hatte. Wenn er in ein Dorf kam, grüßte er die Heiligen und Schutzengel dieses Ortes. Sehr, wie seine Frömmigkeit nicht untätig war! Er nahm oft Zuflucht zu seinen heiligen Schutzpatronen. Wenn er von ihnen sprach, war er unerschöpflich, und er machte es mit so viel Eifer, er bat sie mit so viel Vertrauen!
Machen wir es auch so? Wenig, sehr wenig! Wir sind ein wenig wir die Leute unseres Jahrhunderts. Wir sprechen die angegebenen Gebete, aber wer liebt dieses Gebet der Heiligen? Ihr sagt: „Ich habe nur eine Verehrung, die Verehrung des Allerheiligsten.“ Wenn euer Herz von Morgens bis Abends unserem Herrn gehört, verlangt die heilige Jungfrau nicht mehr, sind die Heiligen sehr zufrieden, betrachten euch die Engel bei eurem Tun und segnen euch. Ich versichere euch, dass eine Seele, die so zu unserem Herrn geht, die keine andere Sehnsucht hat, als in seiner vertrauten Gegenwart zu sein, auf diesem Weg bleiben kann, der sehr sanft und sehr gut ist. Aber ich fürchte sehr, dass diejenigen, die sagen: „Ich habe nur die Verehrung für unseren Herrn“, diese überhaupt nicht haben; denn ich sage euch, dass es sehr außergewöhnlich wäre, dass ihr sie habt, ohne auch die Verehrung der heiligen Jungfrau und der Heiligen zu haben. Meine Kinder, verehrt sehr das Allerheiligste Sakrament des Altares, das Heiligste Herz, und wenn das Fest eines Heiligen ist, ehrt auch ihn, bittet ihn vertrauensvoll. Der heilige Franz von Sales wünscht es, da er uns im Direktorium empfiehlt, während der Stille zu den Heiligen zu beten.
Möge in eurem äußeren Verhalten die Ruhe, die Sammlung der Frömmigkeit spürbar sein, möge in eurer Seinsweise eine Haltung erkennbar sein, die Frömmigkeit atmet. Werdet ihr das aus euch selbst heraus machen? Wird man euch immer wieder darauf aufmerksam machen müssen? Hoffentlich nicht. Wenn ihr ehrfürchtig seid, werdet ihr etwas haben, das die Seelen anzieht, durchdringt. Habt diese Würde der Heiligkeit, die bewirkt, dass die Personen, mit denen ihr in Beziehung seid, glücklich sind, es mit einer Nonne zu tun zu haben, deren äußeres Verhalten Frömmigkeit atmet.
Meine Kinder, wenn ihr in eurem Herzen tatsächlich die Frömmigkeit habt, wird sie nach Außen ausstrahlen. Ich mache euch keinen Vorwurf, aber warum wäre da nicht etwas Frömmeres in eurer Haltung, wenn ihr der Heiligen Messe beiwohnt? Der Herr ist da mit euch. Wir kommt es, dass euer Gesicht nichts ausdrückt, dass euer Äußeres nicht mehr sagt, als wenn ihr irgendwo wäret? Ihr seid also nicht von dieser himmlischen Atmosphäre durchdrungen, die die betende und anbetende Person umgibt. Wie kommt es, dass ihr noch nicht mehr vom Gefühl der Gegenwart Gottes bestimmt seid? Wisst ihr nicht, dass euch die Engel umgeben? Und wie werdet ihr euch ihrer Blicke erfreuen können, wenn euer Äußeres nicht gesammelt ist, da sie nicht sehen, was in eurer Seele vorgeht? Euer Schutzengel kennt von euren Gedanken nur, was Gott ihm zeigt und was ihr ihn erkennen lassen wollt. Gott allein kennt euer Innerstes. Während der Messe umgeben die Engel zu Tausenden den Altar. Es ist wie eine Wallfahrt, die sie machen. Sie sind glücklich, sich zu euch zu gesellen. Sie verstehen die ganze göttliche Größe des Heiligen Messopfers, und wenn sie uns sehr gesammelt sehen, freuen sie sich sehr darüber. Aber noch einmal, welche Erbauung werden sie von euch empfangen, wenn es nicht die äußere Erbauung ist? Der heilige Paulus will, dass sich die Frauen in der Kirche den Kopf verschleiern, damit sie ihre Blicke nicht nach links und rechts wenden und den Engeln das Schauspiel einer gesammelten Haltung geben, die ihnen gefällt und Gottes Segen anzieht.
Ich wiederhole es, meine Kinder, es muss auch euer Äußeres auf die Personen, die euch sehen, einen guten Eindruck machen. Welchen Einfluss werdet ihr auf die Kinder haben, mit denen ihr euch beschäftigt, und ihr keine Haltung habt, die zu Gott trägt? Wenn eure Haltung, die Stellung eurer Hände, der Ausdruck eures Gesichtes nicht sagen, dass euer Herz durchdrungen ist, so habt ihr nichts von Gott in euch. Versteht es wohl, zur göttlichen Liebe trägt nicht etwas Geschraubtes, Geziertes, sondern etwas, das sich unbewusst in unserem ganzen Sein widerspiegelt. Bei der Heiligen Messe habt ihr nicht viele Zeremonien zu machen, aber macht sie fromm. Wenn ihr euch beim Confiteor [Schuldbekenntnis] an die Brust klopft, macht es mit aufrichtiger Reue. Wenn ihr euch bei der Erhebung von Wein und Brot verneigt, macht mit tiefer Achtung einen Akt der Anbetung. Möge eure gesammelte Haltung Ausdruck eurer Frömmigkeit sein. Bitten den lieben Gott, eure Seelen und euren Körper zu heiligen. Dann werdet ihr die Aufmerksamkeit und die Frömmigkeit haben, die das Heilige Opfer verlangt, dem ihr beiwohnen müsst mit dieser äußeren Haltung, die für die Personen, die euch umgeben, eine gute Erbauung ist.
Meine Kinder, eure Frömmigkeit muss lauter sprechen als sie es tut. Nehmt das nicht als einen Vorwurf, sondern als eine Bitte, die ich an euch richte wie der heilige Paulus, als er zu den ersten Gläubigen sagte: „ich ermahne euch angesichts der Freundlichkeit und Güte Christi.“ (2 Kor 10,1). Er sagt nicht durch sein Leiden, durch seine Tränen, sondern durch seine Freundlichkeit und Güte, durch sein Äußeres, durch seinen Blick, durch die Gesamtheit seiner Person, durch ihn selbst. Ah! Wenn er euch erschiene, wenn ihr ihn sehen könntet, beurteilt den Eindruck, den ihr von ihm hättet! Ich sage also zu euch wie der heilige Paulus: Im Namen unseres Herrn, dessen, das er war, als er seinen Aposteln erschien, durch seine Art zu sein, zu beten, zu sprechen, durch seinen Blick, durch den ganzen Ausdruck seines Gesichtes, mit einem Wort durch ihn, ich beschwöre euch, gemäß dem Ausdruck desselben Apostels, „den Wohlgeruch Christi“ (2 Kor 2,15) überall hinzutragen. Es musste der heilige Paulus vom Eindruck, den der einzige Anblick unseres Herrn auf ihn machte, sehr durchdrungen gewesen sein, um so zu schreiben!
Meine Kinder, wenn wir gut ausüben, was uns gesagt wurde, werden unsere Exerzitien gut gewesen sein. Der liebe Gott wird uns seine Gaben und Erleuchtungen in dem Maße unseren Bemühungen zuteilen, um wahre Kinder unseres seligen Vaters [Franz von Sales] zu werden.
Ich bitte unseren Herrn, er möge euch selbst segnen, dass nicht ich, sondern er die Heilige Hostie erhebt. Euer Glaube wird ihn bereit machen, euch mit seinen Gnaden zu überhäufen. Das wird übrigens nicht das erste Mal sein, dass er hierherkommen wird, um Wunderbares zu bewirken. Er wird wieder kommen, und dieser Besucht wird die Krönung eurer Exerzitien sein, die wie ich sicher bin, hervorragend waren. Amen.

Gott sei gebenedeit.