56. Ansprache zur Profess der Patres Kubski und Dennis Fages, sowie zum Noviziatseintritt der Patres Mahoney und Bodier, am 20.09.1897.
Unsere Berufung erfordert viel Kraft und Mut. Der hl. Franz v. Sales sagt sehr oft in seinen geistlichen Gesprächen und Briefen: Man muss großen Mut haben! Der hl. Stifter will damit sagen, unsere Berufung verlangt mehr als gewöhnliche Kraft und durchschnittlichen Mut. Gewiss kann man in gewissen Umständen über eine Willensenergie und eine Charakterstärke, vielleicht ganz einfach über einen Kraftakt der Tugend verfügen, dass wir eine Schwierigkeit überwinden und einen Sieg erreichen können. Für uns genügt das aber nicht. In unserer ganzen Art zu kämpfen, in unserer „Strategie“ werden derlei Kraftakte für gewöhnlich nicht gemacht. Ich behaupte noch mehr: Sie sind für uns nicht einmal empfehlenswert. Ich will es näher erklären.
Der hohe Mut, den der hl. Franz v. Sales von uns verlangt, ist kein zufälliger, keine momentane Anstrengung, ist nicht die Hochleistung eines Augenblicks. Er will vielmehr, dass wir uns gewohnheitsmäßig mutig und tapfer verhalten, mutig im Glauben, mutig in der Tugendübung, mutig in der Pflichterfüllung. Unser Mut soll uns somit ständig begleiten. Diese Energie sollte uns in jeder Schwierigkeit, kleiner oder größer, beschwingen. Das ist eben unsere Art, vorzugehen, und diese Art sollte uns zu jeder Zeit im Kampf zur Verfügung stehen.
Ja, wir müssen voller Mut sein, weist unser Leben doch unaufhörlich Kämpfe auf, die jeden Augenblick von uns verlangen, dass wir uns selber zurückstellen, auf uns selbst verzichten, um Gott an unsere Stelle zu rücken. Das ist hart und bitter, sich nie etwas zuzugestehen, sich immer hintanzustellen, wenn etwas Gutes zu empfangen, etwas Ehrenvolles zu leisten ist, um den Platz wem zu lassen? Dem Erlöser natürlich.
Jedes Mal, wenn wir uns nicht an die erste Stelle rücken, wenn wir den besten Platz ablehnen, um ihn dem Zuständigen einzuräumen, rückt der Erlöser an den Platz, den wir ihm überlassen. Diese beständige Übung bedeutet einen echten Kampf. Und das ist hart, nie sich selbst zu leben, immer das eigene Ich zurückzusetzen. Aber, meine Freunde, das ist unser Leben. Und darum bedürfen wir eines starken Mutes…
Es versteht sich von selbst: wenn wir nicht aus eigener Kraft handeln, sondern Gott den Vortritt lassen, indem wir uns selber auslöschen, uns selber sterben, bringen uns alle Schwierigkeiten und Opfer ihrerseits sehr kostbare Gnaden ein. In den Leiden, Kämpfen und Mühen des Verzichtes verlässt man sich auf den, dem dies alles von Rechts wegen zusteht und schöpft somit die notwendige Kraft beim Erlöser… Das ist die Wohltat unserer Berufung: Gott ist mit uns! Das erfordert freilich eine große Treue im Verzichten!
Wir müssen zu umso mehr Kampf bereit sein, als wir ja dazu berufen sind, uns mit Gott vereinigt zu halten. In unserem Institut gibt es vielleicht mehr Schwierigkeiten als in irgendeinem anderen, weil der Weg, den wir einschlagen und der uns direkt zu Gott führt, zwangsläufig von viel mehr Hindernissen und Feinden gesäumt ist.
Seht nur, seit wie kurzer Zeit wir erst existieren, und doch hat unsere Ordensgemeinschaft schon schreckliche Angriffe abwehren müssen. Wie viel Kämpfe, Fallstricke und böser Wille umgeben uns doch! Diese schweren Kämpfe sind gleichwohl in der Ordnung der Vorsehung für jene notwendig, die Gott besonders nahe kommen sollen. „Filii, accedens ad servitutem Dei, praepara animam ad tentationem.“ (Anm.: „Mein Sohn, wenn du zum Dienste Gottes dich entschließest, halte dich bereit für Versuchungen.“). Jeder von uns hat seine Kämpfe und Gefechte zu bestehen… Der große Kampf, sagt der hl. Bernhard, der bewirkt, dass ein Soldat stirbt, noch bevor er verwundet wurde, besteht für uns in Dunkelheiten, Mutlosigkeiten und Verwirrungen, die uns den klaren Blick rauben und uns alles Licht und alle Stützen für den gesunkenen Mut entziehen. Das ist der Soldat, der stirbt, noch ehe er auch nur verwundet wurde. Dieser Kampf hat aber reiche Verdienste aufzuweisen, denn einen härteren, wie auch verdienstlicheren Kampf gibt es nicht. Solch einen Kampf hatte die Gute Mutter zu bestehen, der ihr fast den Beruf gekostet hätte. Lest nur nach in ihrer Lebensbeschreibung… Da ist eine starke Energie des Verstandes und des Glaubens von Nöten. Da heißt es sich mit der ganzen Kraft des Herzens und der Arme an Jesus klammern. Da müssen wir ihn bestürmen mit dem Ruf des Petrus: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du allein hast Worte ewigen Lebens.
Und solch einen Mut brauchen wir gerade in der Stunde, in der wir jetzt leben, eine unheilvolle Stunde wie nie zuvor. Da hat man sich gut einreden, man müsse sich nur recht in Acht nehmen, dann habe man nichts zu befürchten. Das wäre ungefähr das gleiche als würde man sagen, bei einer Epidemie, die die Luft verpestet, und alle um uns herum krank macht, genüge es, einige Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Denn sämtliche Vorsichtsmaßnahmen können nicht verhindern, dass eines Tages die verpestete Luft in die Lungen dringt, das Gift in die Venen einschleicht und in für sie günstigen Umständen den Tod herbeiführt.
Die Atmosphäre einer verdorbenen Welt umgibt uns, ihre Lehren benebeln uns. Und wir atmen diese Pestluft ein und nehmen davon ständig mehr oder weniger viel in uns auf. Diese Einatmung aber macht uns krank, schwächt und ertötet unsere Lebensenergie. Wir leiden, sehen nicht mehr klar, können nicht mehr voranschreiten und uns nicht mehr bewegen. Tun das nicht ein bisschen auch die Dinge und Menschen unserer Umgebung? Spüren wir nicht den schlechten Einfluss der Lehren, Studien und Arbeiten auf uns? Wird im Letzeren nicht alles um uns her vom Teufel angeführt? Man beruft sich auf die Wissenschaften, die Geschäfte, die Bedürfnisse der Natur und ihre Forderungen, und unter diesem Deckmantel dringt in uns jenes Ich-weiß-nicht-was ein, dessen Einfluss wir vielleicht nicht unmittelbar verspüren, das aber gleichwohl das Gift in unsere Venen impft, und darin kreisen lässt… Um dem zu widerstehen, heißt es tapfer und großmütig sein. In die Gedanken, Meinungen und Studien darf nichts Einlass gewährt werden, das auch nur im Geringsten der Lehre der hl. Kirche widerspricht. Nichts, was auch nur in Etwa den Lehren unseres seligen Vaters, des hl. Franz v. Sales zuwiderläuft. Nichts, was die Lehren der Guten Mutter Maria Salesia schwächt. Wir lehnen alles ab, was nicht niedergeschrieben ist (in unseren Dokumenten) oder wenigstens was nicht mit ihnen übereinstimmt.
Glaubt ihr etwa, es erfordere nicht große Seelenstärke, dass man aufrecht stehen bleibt, nicht umgeworfen wird, oder wenigstens nicht seinen festen Stand verliert und wankend wird, dass diese Wahrheiten für keinen Sohn des hl. Franz v. Sales ihren Glanz verlieren?
Es bedarf somit einer großen und energischen Treue, einer Vorausschau auch. Wir dürfen nicht ein biegsames Schilfrohr werden, „arundinem vento agitatam“ (Anm.: „Ein Schilfrohr, das vom Winde hin- und hergebogen wird.“), keine verunsicherte, verkümmerte Seele, die nicht mehr empfindet, nicht versteht, sich nach rechts und links dreht, ohne sich über die rechte Richtung klar zu sein. Um das Lehrgut, das uns anvertraut ist, die Gabe, die uns geschenkt wurde, rein und ungeschmälert zu erhalten, darf man kein Mann mit beweglichem Willen und wankendem Charakter sein. Es bedarf eines Willens, der sich nicht durch jede neue Idee entflammen lässt oder der alle alten Wahrheiten überholt abtut. Die uns z.Z. umgebenden Lehren und Einflüsse sind schlecht, und was uns da zu tun obliegt, ist nicht leicht zu verwirklichen.
Seht nur, was sich an den offiziellen Lyzeen (staatliche französische Gymnasien) tut: in Theorie und Praxis herrscht dort nur allzu oft Atheismus… Was soll dort die Lehre des Evangeliums anfangen? Wie wird da der Seelsorger aufgenommen, der Prediger, den Gott verkündet? Der Lehrer, der diese jungen Geister zum Guten lenken will, diese Willen, die bereits bösartig geworden sin? Was ist angesichts solcher Widerstände zu tun? Glaubt ihr ja nicht, man müsse sich hier vor Mutlosigkeit fürchten? Glaubt ihr, da könne man sein Leben verbringen, ohne sich schwach und frustriert vorzukommen? … Ihr sehr, wie recht unser hl. Stifter hatte, wenn er uns zuruft: Habt festen Mut!
Wir wollen jetzt schon und ganz ernstlich den Vorsatz fassen, stark und großmütig zu sein, was immer später über uns kommen mag. Tapfer und stark ist man aber, wenn man das bleibt, wozu Gott uns gemacht hat, wozu die Lehren des Noviziates uns erzogen haben.
Bittet darum die Gute Mutter um diese Seelenstärke, die bei ihr eine der hervorstechenden Gaben war. Sie war von einer unvergleichlichen Güte, doch immer, wenn es um Gott, den Willen Gottes, die Lehre des Evangeliums, die hl. Kirche, die klösterliche Observanz, die hl. Regel ging, war sie eine „eherne Säule“ („columna aenea“). Da wurde keine falsche Darstellung, Erklärung, Milderung, der Wahrheit oder der Pflicht, geduldet. In dieser Hinsicht bewies sie eine unvergleichliche Energie. Und das galt für alles, was ihr Gott anvertraut hatte. An dem Tag, wo es z.B. beschlossen war, dass die Oblaten gegründet werden sollten, kamen Personen von hoher Autorität und Ansehen, aufgeschreckt von dem Gedanken dieser Gründung und dem Beginn der Bauarbeiten für St. Bernhard, ins Sprechzimmer und trugen alle möglichen Einwände vor, vernünftige und berechtigte Bedenken von Weltmenschen. Die Gute Mutter hörte sie an, verabschiedete sie dann kurz mit den Worten: „Sie werden Gott nicht dazu bewegen können, seine Absichten zu ändern.“
Bittet darum die Gute Mutter um diesen hohen Mut, diese Seelenstärke. In der Hl. Schrift findet sich vielleicht kein Wort so oft wiederholt wie das Wort „fortitudo“ (Anm.: „Stärke, Starkmut, Tapferkeit.“). Die Oblaten brauchen Mut und Seelenstärke ebenso wie Güte und Liebe, und im gleichen Grade. „Fortitudo et dacor indumentum eius.“ (Anm.: „Starkmut und Anmut sind sein Kleid.“). Es bedarf aller Zeichen und Willenskraft und Energie, und gleichzeitig in unseren Beziehungen zum Nächsten und zu unserer ganzen Umgebung des Charmes der Liebe, der Güte und der Einfachheit, also all dessen, was Franz v. Sales den „ganzen Heiland“ nennt: Erlöser in seiner Seelenstärke und Macht, Erlöser aber auch in seiner unbegrenzten Liebe. Das ist es, was ich euch wünsche. Amen.
