45. Ansprache zum Noviziatseintritt des Patres Jaquier und zur Profess des Paters Mahoney, am 24.02.1896.
Meine Freunde, ich erinnere mich, dass ich in der ersten Zeit, wo ich Seelsorger der Heimsuchung war, immer sehr überrascht war über die Werke des Zeremoniales: Da macht man die Schwester aufmerksam, dass sie durch viele Mühen und Heimsuchungen gehen müssen, mutig den Kampf zu bestehen, der sie erwartet. Ich sagte mir: Franz v. Sales wird gewusst haben, was er sagte. Aber welche Prüfungen sollen diese guten Schwestern schließlich zu bestehen haben? … Sie leben im Schutz ihres Klosters, sind weit entfernt von den Versuchungen der Welt, befinden sich unter der ganz mütterlichen Leitung ihrer Oberin, und sind umgeben von eifrigen und großmütigen Seelen! … Was haben sie da zu tun? Ganz einfach zu gehorchen, zu betrachten, und pünktlich der Stimme der Glocke zu folgen… Ich sagte mir: Vielleicht hat hier der hl. Stifter einfach eine Redeformel übernommen… Ich wusste damals noch nicht, dass man, um ein echter Ordensmann, eine echte Ordensfrau, zu werden, schwere Kämpfe zu bestehen hat, auf die man sich vorbereiten muss. Ich sah nur das Äußere, das Kloster mit seinem Frieden, sah nur die hohe Mauer, die sie gegen Einbrüche von außen abschirmt, sah nur, wie die Friede nach allen Seiten ausstrahlt.
Ich verstand nicht, wie man in der Heimsuchung von Kämpfen sprechen kann. Seitdem habe ich dazu gelernt. Ich begriff, dass besonders das Noviziat eine Arena ist, wo man sich mit starkem Mut und großer Energie zum Kampf rüsten muss, dass ein Alltagsmut, ein Zufallsmut dafür nicht genügen kann. Ich habe beim Anblick der Schwestern ihre hohe Tugend schätzen gelernt. Seitdem habe ich die Heimsuchung als eine Pforte des Himmels auf Erden betrachtet.
Mehr noch als Heimsuchungsschwestern haben mich zwei Kartäuser aufgeklärt. Denn der Orden der Kartäuser nähert sich in Punkto Geist der Heimsuchung am meisten. Franz v. Sales hatte die Kartäuser sehr gern. Gern erholt er sich in ihrer Einsamkeit, Dort wehte der Hauch des Hl. Geistes über ihn hin und trieb ihn an, zur Ehre Gottes und der hl. Kirche etwas Neues in Angriff zu nehmen. Dort hatte ich zwei Freunde, die vor kurzem gestorben sind. Zunächst den P. Raymund. Letzten Juli suchte ich ihn auf, um ihn zu grüßen. Da erfuhr ich, dass er seit acht Tagen tot war. Man führte mich ins Innere des Klosters, neben den Grabhügel, der schon ganz eingesunken war. Denn die Kartäuser bekommen keinen Sarg. Man legt sie auf ein einfaches Brett, senkt die Kapuze über ihr Gesicht und wirft etwas Erde auf den leblosen Körper. Der Eindruck, den ich empfand beim Anblick des frisch aufgeworfenen Hügels, der bereits so wie die älteren Gräber eingesunken war, lässt sich nicht beschreiben. Der mich begleitende Mönch sagte mir: „Seit bald 57 Jahren lebte P. Raymund hier, er hat sich selbst nie widersprochen in seiner Hingabe. Das war ein stolzer Novize. Die Novizenmeister sprechen heute noch von ihm…“
Ich erinnere mich, dass ich den Pater während seines Noviziats besucht habe. Er sagte mir damals: Die Einsamkeit ist schön nur aus der Ferne. Sie ist schön in der Phantasie und im Herzen. Da, hatte man mir gesagt, kann man Gott lieben mit der ganzen Glut eines Herzens, das lieben möchte. Ist man aber in dieser Einsamkeit drin, zwischen vier kalten Mauern, die dir nichts mehr zu sagen haben, die dich völlig allein lassen, scheint es dir, dass selbst die Engel dich verlassen… Es kommt dir der Gedanke, deine Berufung liege nicht hier, du seist für anderes geschaffen, du habest dich hier dich hier lebend eingegraben in dieser kalten, unfruchtbaren Erde, statt dass du anderswo etwas für die Kirche leistest.
Ja, das war hart. Und das dauerte weit über das Noviziat hinaus. Alle Tage hatte er mehrere Jahre hindurch eine schreckliche Migräne. Das Übel war so heftig, dass er keinen anderen Ausweg wusste, als seinen Kopf fünf Minuten lang unter das eisige Wasser der Quelle zu halten.
Das war ein Novize, meine Freunde, der fast sechzig Jahre lang die Erbauung in alle Klöster trug, die das Glück hatten, ihn zu sehen. Er hat diese ganze Jugend, die zu ihm kam, gestützt und mit Leben erfüllt, um bei ihm Mut zu holen, die Lektionen der Buße zu erlernen und auf ihren Schultern die Last unseres Herrn zu tragen.
Dann hatte ich dort noch einen anderen Freund, den P. Normand, den ich zuerst in der Kartause von Bosserville, dann in der Großen Kartause besuchte, wo er Novizenmeister war. Als er noch in Bosserville Novize war, sagte er zu mir: „O, Sie haben mir einen bösen Rat gegeben, als Sie mir rieten, hier einzutreten. Sie wollten, dass ich das Leben der Bekenner führe, ich habe aber das Leben der Martyrer hier gefunden.“ Er sagte mir das lachend. „Aber Sie sehen doch gut aus“, antwortete ich, „es scheint gar nicht, dass das Martyrerleben Sie so bedrückt…“ „Weil ich an meinem Beruf über alles hänge“, gab er zur Antwort.
„Dabei erlebte ich“, fuhr er fort, „seit zwei Jahren keine einzige Minute, ohne ein wahres Martyrium an Leib und Seele zu leiden. Meine Füße sind geschwollen, meine Hände (von einem Tumor) aufgebläht, meine Züge zerstört. Der Arzt sagte mir: ‚Herr Pater, hier haben Sie kein Glück, ich rate Ihnen, wieder auszutreten.‘ Ein anderer Arzt meinte: ‚Ehrlich gesagt, Sie können hier nicht bleiben, hier finden Sie den Tod, das dürfen Sie nicht machen.‘ Als diese beiden mir das gesagt hatten, ging ich in meine Zelle und betete: ‚Herr, wie gut du bist!‘ Ich dachte an meine übernommenen Verpflichtungen und gelobte: ‚Herr, ich will hier bis zu meinem Tod ausharren. Ich gehe nicht fort, und müsste ich neunzig Jahre alt werden, ich bleibe dir treu.‘“
Diese Leiden kamen dem P. Normand nicht nur von den Strengheiten und den Härten des Ordenslebens, das er übernommen hatte, sondern auch von seinen inneren Kämpfen, den Versuchungen der Mutlosigkeit sowie von jenen Gedanken, die ihm beständig durch den Kopf gingen: Im Großen Seminar war ich der erste meines Kurses, bestimmt allen anderen überlegen… Für mich sprachen meine Redegewandtheit, mein Äußeres (er war ein blendend aussehbarer Mensch), und das schließe ich mich hier nun ein in eine Zelle, wo mich niemand mehr sieht und hört. Ich habe mich lebend begraben, und wie lange soll das dauern, dieses Begräbnis? Ich weiß es nicht, Herr, aber ich sage „Ja“ zu allem…
Was haben diese zwei Männer geleistet? In allen Kartäuserklöstern, durch die sie kamen, haben sie den ersten Eifer wieder entflammt, haben einen unvergleichlichen Geist des Glaubens an die Wirksamkeit der Mittel des Ordenslebens, an die übernatürlichen Mittel weitergegeben. Sie haben in allen Herzen ihrer Umgebung den Mut verbreitet, der inneren Widerstände und Widerwillen gegen das tägliche Einerlei Herr zu werden.
Meine Freunde, seht den hl. Bernhard an: wenn ihr die Zeit findet, sein Leben zu lesen, sein Leben zu lesen, stellt ihr all die persönlichen Kämpfe und Versuchungen seiner Novizen, all ihre Schwierigkeiten, Unfähigkeiten, Kreuzigungen. Dann versteht ihr, dass man durch all das hindurch muss, will man ein guter und heiliger Ordensmann werden… Und nur dann kann man jener dichte Baum werden, von dem die Schrift spricht, in dessen Blätterwerk und Geäst viele Vögel eine Zuflucht und eine Ruhe finden können, die sie anderswo vergeblich suchen.
Unsere Lebensweise ist dabei wirklich nicht so streng wie bei den Kartäusern. Meine Freunde, ich sage euch nicht, dasselbe zu tun wie P. Normand, P. Raymund oder der hl. Bernhard… Da seht ihr den Weg vorgezeichnet. Wenn man aber vor einer kleinen Schwierigkeit, vor einem kleinen Wörtchen, das man unterdrücken, der Sammlung, die man wahren, einem kleinen Zwang, den man sich antun soll, die Flucht ergreift… Daran müsst ihr immer denken, meine Freunde!
Der hl. Stifter hat somit durchaus recht, wenn er den Seelen, die ins Kloster gehen, rät, sich mit großem Mut darauf vorzubereiten, die Kämpfe und Mühen innerer wie äußerer Art zu ertragen. Mit der Guten Mutter heißt es da sagen: Ich will als ein entschlossener Mensch leben, ich gebe nicht nach, sondern nehme alles auf mich, was Gott mir schicken wird, und zwar mit allen Kraft meiner Willenskraft, und der ganzen Tatkraft meiner Seele… Das ist dann Leben, das wahre Leben für eine große Zahl von Seelen!
Wie heißt die Schlussfolgerung von all dem?
Ihr, die ihr die ersten Gnaden des Ordenslebens empfangen werdet, erinnert euch an die Beispiele, die ich euch genannt habe. Vergleicht euer Leben, eure Tage, lest das Tagebuch eurer Seele durch und stellt es dem gegenüber, was ich euch eben gesagt habe. Vergleicht euch mit den Kartäusern, deren Geschichte ich euch erzählt habe. Dann überlegt und urteilt und fasst die entsprechenden Vorsätze. Und Sie, mein lieber Freund, die Sie das Glück haben, Ihre Gelübde abzulegen, begreifen Sie Ihre Sendung gut! Sie sind Engländer. Schwebt das Erbarmen Gottes nicht sichtbar über Ihrem Land? Auf eine Art und Weise, die keinen Zweifel an den göttlichen Absichten zulässt? Fragen Sie jene, die sich auskennen in Ihrem Heimatland, unsere Patres, die Schwestern, Sie werden Ihnen sagen, dass viele dieser Seelen, die noch in den Finsternissen der Irrlehre befangen sind, verstehen, dass sie Licht benötigen. Es gibt dort gute Seelen, ehrliche Seelen, die ihre Augen der ganzen Wahrheit öffnen möchten und glücklich wären, wenn man sie ihnen brächte. Sie haben ein Bedürfnis danach, einen wahren Hunger und Dunst. Dieser Gedanke beherrscht all ihr Denken und Handeln, ihr Sinnen und Trachten. Außerdem leben dort viele Seelen in der Unschuld ihrer Unwissenheit und einer ersten falschen Erziehung. In der Unwissenheit der Finsternis, die sie meist gar nicht ahnen, und inmitten einer Umgebung, von der sie sich nicht freimachen können… Das Erbarmen Gottes wird darum größer sein als ihr Elend. Die Gute Mutter pflegte zu sagen: „Die Erbsünde hat den Verstand viel mehr angegriffen als den Willen…“ Die Verwundung des Verstandes schließt aber an sich noch keine Sünde ein, ist vielmehr ein Unglück, das es gutzumachen gilt, das aber für den Unglücklichen keine Schande bedeutet, die man ihm vorwerfen könnte.
Sie werden also morgen in Ihrer Heimat zu arbeiten beginnen, mein lieber Freund, in Ihrer Muttersprache, inmitten Ihrer Mitbürger. Gehen Sie im Namen der Guten Mutter Maria Salesia, im Namen des hl. Franz v. Sales, im Namen der hl. Kirche, im Namen des hl. Vaters. Er liebt Sie, unser Hl. Vater Papst Leo XIII., und sandte uns noch diese Tage einen ganz besonderen Segen… Gehen Sie in all diesen gesegneten Namen, in all diesen allmächtigen Namen und arbeiten Sie am Heil Ihrer Brüder. Arbeiten Sie bereits von jetzt an, dem 1. Jahr Ihrer priesterlichen Vorbereitung, mit Ihren Gebeten und Ihrer Treue zu den Gnaden Gottes. Gehen Sie zartfühlend mit Gott um und machen Sie sich unvermittelt an die Arbeit. Seien Sie großmütig, und tun Sie alles, was die hl. Regel von Ihnen verlangt, alle Übungen des Ordenslebens. Leisten Sie Gehorsam in Demut, Einfachheit und Selbstlosigkeit. Und Gott wird Sie anschauen und lieben. Und er wird alles erhören, um was Sie ihn für Ihre Brüder und Ihre Heimat anflehen. Er wird Ihre Gebete gern anhören und einen guten Teil davon mit Sicherheit erhören.
Sie sind mehr als viele andere verpflichtet, mein lieber Freund, ein guter Ordensmann zu werden. Sind Sie doch der erste Oblate, der aus England kommt, der erste, dem Gott diese Gnade erteilt, der erste Bote des „Weges“ der Guten Mutter. Sie werden als der erste den Geist unseren seligen Vaters und seine Lehre, die so viele Seelen brauchen, nach England tragen.
„Sanctificamini qui fertis vasa Domini.“ (Anm.: „Heiligt euch, die ihr die Gefäße des Herrn tragt.“): heiligen Sie sich also, der Sie in Ihren Herzen, Worten und Händen die kostbare Gabe dieser Gnaden Gottes, diese ganz himmlische Lehre, diese entzückenden Wahrheiten tragen, die das Lehrgut des hl. Franz v. Sales ausmachen. Wie müssen Ihre Hände zu diesem Zwecke rein, wie müssen Ihre Worte heilig sein, damit alles, was Sie unternehmen, seine Wirksamkeit mit sich trage! …
Wir aber wollen innig darum beten! Wir werden Gott bitten, er möge diese Erstlingsfrüchte segnen, wie er die ersten Apostel der „Insel der Heiligen“ gesegnet hat. Wir werden ihn bitten, Ihrem Seelsorgedienst einige der Gnaden zu gewähren, die er diesen ersten Aposteln zugeteilt hat. Sie sind so überreich, dass ein Papst einem englischen König, der ihn um Reliquien bat, die Antwort zukommen ließ: „Bücken Sie sich und sammeln Sie den Staub Ihrer Insel auf, dann haben Sie genug Reliquien. Denn dieser Staub ist getränkt vom Blut Ihrer Martyrer!“ Diese Gnade ist aber nicht tot, sie lebt noch. Jedenfalls sind Sie Ihrerseits damit beauftragt, sie zu neuem Leben zu erwecken.
Verstehen Sie, mein teurer Freund, wie treu Sie da sein müssen. Tragen Sie den Wohlgeruch Ihres Noviziates sowie alle Gnaden und Segnungen des heiligen Standes, den Sie heute übernehmen, dorthin.
