Exerzitienvorträge 1897 (September)

      

2. Vortrag: Versuchungen des Oblaten.

Machen wir gute Exerzitien. Ihre Wirkungen stehen außer Zweifel. Überkommen Versuchungen, Trockenheiten und Widerwille während dieser Tage unsere Seele, so ist das kein schlechtes Zeichen. Werden wir versucht, so behalten wir sie ganz vereinigt mit dem Heiland, gegen sein Herz gedrückt. Die Einkehrtage werden dadurch umso vorteilhafter für uns werden. Setzen wir unser ganz Herz daran, sie gut zu machen, indem wir genauestens die Bedingungen der Exerzitien erfüllen und uns an die Abhängigkeit eines jeden Augenblicks gewöhnen.

Mir scheint, man täuscht sich allzu häufig in Bezug auf die Exerzitien. Man macht gern daraus eine Arena von Gladiatoren, erhitzt seinen Kopf durch mehr oder weniger erhabene Gedanken, mehr oder weniger merkwürdige Ideen… Ist das zu tadeln? Nicht unbedingt, weil jedes Werk, in guter Absicht vollbracht, im Grunde Lob verdient. Um darüber recht zu urteilen, muss man Ende, Ziel und Zweck bedenken, Exerzitien solcher Art verwirren die Seele… Bisweilen erlebt sie infolge solcher Exerzitien beklagenswerte Fälle, sobald sie diese heftigen und übersteigerten Übungen beendet hat. Darum scheint es mir, die salesianische Methode anzuwenden, die auch die Methode der Guten Mutter Maria Salesia war: Sich hüten, von den täglichen Verpflichtungen abzuweichen, die Seele zu einer Aktivität stimulieren, die unsere Kräfte übersteigt.

„Aber“, sagt ihr mir, „das ist doch zu wenig, das kostet ja nichts…“ Jawohl, aber das Martyrium bleibt immer Martyrium. Ob man euch mit einem Schwertstreich enthauptet oder euch ganz allmählich tötet, sterben tut ihr in jedem Fall. Statt schwere Abtötung eine Woche lang zu vollbringen, machen wir Oblaten kleine, aber unaufhörliche. Ich zögere nicht zu behaupten, dass der vom hl. Stifter angezeigte Weg mehr kreuzigt als der Weg der großen Bußübungen. Ihr fastet und geißelt euch, das ist schön und gut. Ihr könnt aber derlei Gewaltakte nicht ohne Unterlass auf euch nehmen. Bei uns hingegen besteht das Leben aus einer ununterbrochenen Reihe von großmütigen und bußfertigen Akten. Meine lieben Freunde, unser Leben ist gespickt mit Möglichkeiten der Buße, der Sühne und Abzahlung vergangener Sünden. Vor wie langer Zeit schon hat der Dulder Hiob geklagt: „Militia es vita hominis super terram.“ (Anm.: „Ein Kriegsdienst ist das Menschen Leben auf Erden.“). Das ist zwar auf alle Menschen anwendbar, gilt aber in besonderer Weise für uns. Müssen wir nicht jederzeit unser Gewehr geschultert tragen? Stehen wir mit unserem Direktorium und unseren Satzungen nicht unaufhörlich in einem Kettenpanzer? Vom ersten Augenblick des Tages an ist unsere Freiheit gefesselt, stehen wir beständig gegen unsere angeborene Trägheit, unsere Gedanken und Neigungen ankämpfen? Wahrlich ein echter Krieg und Kriegsdienst! Und ständigem Kampf: Er hatte anzugehen gegen eine große Heftigkeit seinem Nächsten gegenüber die Zügel schießen lassen konnte. Hat er viel dagegen unternommen? Man kann sagen, ja, ohne Unterbrechung. Fiel ihm das leicht? Franz v. Sales fastet vielleicht wenig, nimmt aber nie eine Mahlzeit zu sich, ohne sich dabei irgendwie abzutöten. Er ließ sich überhaupt nie gehen, und nahm, ob allein oder in Gesellschaft, eine bescheidene, ehrfurchtsvolle Haltung ein, die seiner Natur Gewalt antat… Glaubt ihr, das sei eine Kleinigkeit? Welcher Weg verlangt denn die meiste Abtötung? Der der Trappisten oder der Kapuziner oder der seine? Ich glaube, der letztere: „Militia est.“ (Anm.: „Es ist ein Kriegsdienst.“). Wir haben also jeden Augenblick einen Kampf zu bestehen.

Und jetzt möchte ich euch etwas sagen: Hört gut zu, hört gerade hier gut zu: Die Oblaten haben meiner Ansicht nach mehr Versuchungen zu bestehen als die anderen Ordensleute. „Fili, accedens ad servitutem Dei, praepara animam tuam ad tentationem.“ (Anm.: „Mein Sohn, wenn du zum Dienst Gottes dich entschließest, bereite deine Seele auf Versuchungen vor.“). Warum das? Weil er Gott näher kommen will…
(Anm.: „Hier weist der französische Text gravierende Mängel auf.“).

Da ist zuerst die Versuchung gegen die klösterliche Berufung. Sie bedrängt stärker und häufiger als jede andere Versuchung. Man fühlt sich von Ängsten und Finsternissen wie eingeschnürt. Das ist kein Schiffsbruch, wo man noch einen Balken, eine Rettungsplanke ergreifen kann. In dieser Versuchung fehlt jede Planke, sie findet keinen Grund und Boden, wie im Meer… Und warum das? Weil Gott uns zu einer größeren, zu einer innigeren Zweisamkeit mit ihm und zu einer größeren Reinheit ruft… Darum müssen wir auf diese Versuchung gegen unsere Berufung gefasst sein. Sie klopft an alle Türen, sucht aller Willen zu erschüttern, aller Verstand zu verdunkeln.

Nochmal, warum diese Versuchung gegen unsere Berufung? Weil der Punkt, den wir erreichen sollen, der Grad an Intimität und Einigung mit dem Heiland, den wir erstreben, verlangt, dass Gott uns durch eine sehr enge Pforte gehen lässt. Wird einer unserer Mitbrüder auf diese Weise versucht und verliert den Mut, dann verdient er immer unser Mitleid. Ihm müssen wir große Liebe beweisen, müssen viel für ihn beten, denn seine Lage ist schmerzlich. Er kann sich an nichts festhalten, um sich zu retten. Mutlosigkeit überzieht seine Seele und verdunkelt alles. Das ist die schwerste Versuchung. Sie kommt über alle, den einen mehr, den anderen weniger.

Was tun? „Domine salva nos, perimus.“ (Anm.: „Herr, rette uns, wir gehen zugrunde.“). „Herr, wo warst Du?“ – „Ich war da und habe deinen Willen gestärkt. Ich war in deinem Herzen…“ Wenn wir also unsere Berufung lieben, dann halten wir uns bereit. Und sollte der Sturm auch über die Maßen toben, lassen wir die kleine Barke nicht im Stich, wo wir zusammen mit dem Herrn dahinsegeln. Er schläft zwar, aber schreien wir nur sehr laut, um ihn aufzuwecken.

Wenn wir unsere Berufung lieben… Diese Liebe wird aber nur der treuen Übung der Regel gewährt. Wenn ihr Gott die Treue haltet, wird auch er sie euch halten. Und seine Treue wird umso stärker sein, als eure Treue großmütig ist.

Zuerst also kommt die Versuchung gegen unsere Berufung. Aber auch gegen den Glauben werden wir versucht, gegen den Glauben an die wesentlichen Wahrheiten. Gegen die Versuchungen heißt es entschlossen vorgehen, weil dieses Unkraut den guten Samen zu ersticken droht. Diese Versuchungen haben einen ganz besonderen Charakter. Die Gute Mutter sagte, das seien Krankheiten, die der Teufel im Gehirn keimen lässt. Und der Beweis dafür ist die Tatsache, dass sie oft sogar Einfluss auf die körperliche Gesundheit haben…

Sodann folgen die Versuchungen der Sinnlichkeit, des Fleisches, wegen ihrer Bildhaftigkeit und Eindrucksfähigkeit lebhafter als die anderen. Diese Versuchung strahlt aus und überschwemmt alles, die Sinne, den Leib und die Seele, den Willen, die Phantasie und das Herz, all unsere Fähigkeiten. Man befindet sich  da wie inmitten einer Schwefelwolke, die unsere Sinne täuscht und uns den Weg verlieren lässt. Sie tobt umso heftiger, als wir uns ja vorgenommen haben, reiner und keuscher zu leben und zu einer innigeren Vereinigung mit dem Herrn zu gelangen… Der Teufel fürchtet unseren Ordensgeist und umgarnt uns mit vermehrten Prüfungen und Schwierigkeiten. Denn in der Tat, meine Freunde, was uns da alles passiert ist mit unseren Jugendwerken, ging nicht alles auf natürliche Weise zu… Man sagt, der Teufel habe dem hl. Stifter besonders stark zugesetzt, als er die „Abhandlung von der Gotteslieb“ schrieb, und ich selbst hätte nie derartige Plackereien für möglich gehalten…

Doch das wir hier unter uns sind, kann ich es euch ja sagen. Folgendes ist mir zugestoßen, als man mich aus der Heimsuchung hinauswarf. (Anm.: „P. Brisson spielt hier vermutlich auf den 19. Juli 1884 an, als Bischof Cortet ihm die Seelsorge in der Heimsuchung verbot.“). In dem Augenblick, als ich den Beichtstuhl, in dem ich die Beichte gehört hatte, verließ, und gerade die Kapelle verlassen wollte, hörte ich ein unerklärliches, durchdringendes, wahrhaft infernalisches Geräusch, das von der Mitte des Altares ausging und sich nach der Sitte des Chorgitters richtete, dann folgte ein teuflisches Gelächter… Die Windenschwestern hörten es nicht nur, sie fühlten sich sogar von der Erde empor geschleudert. Das konnte also nicht das Produkt meiner Einbildung sein, da ich in diesem Augenblick an nichts dachte, was meine Einbildungskraft erregen konnte… Das mag man erklären wie man will. Doch es passt genau zu dem, was ich euch da heute Abend gerade vortrage: Der Teufel macht unglaubliche Anstrengungen, um das Gute zu zerstören, das wir durch die Lehre der Guten Mutter wirken können. Darum dürfen wir uns nicht wundern, dass alle, die in diesem Sinn arbeiten, die heftigsten Versuchungen zu bestehen haben. Unser Leben ist also auch in diesem Sinne eine militia, ein Kriegsdienst.

Wenn Versuchungen also einsetzen, darf man nicht erschrecken. Ergreift eure Verteidigungswaffe und kämpft wenn ihr könnt. Könnt ihr es nicht, dann ergreift die Flucht und versteckt euch hinter die Wehrmauern.

Die den Oblaten vorbehaltenen Versuchungen sind die heftigsten. Warum dann also Oblate werden? Wäre anderes nicht besser? Hört den Dulder Hiob: „Et rursus post tenebras spero lucem.“ (Anm.: „Nach der Finsternis hoffe ich von neuem auf Licht.“). Tun wir wie er, und bitten wir, dass Licht der Finsternis folge. Nachdem er gesagt hat: „Militia es vita hominis super terram.“ (Anm.: „Kriegsdienst ist das Leben des Menschen auf Erden.“), fährt er fort: „Et sicut dies mercenarii dies eius.“ (Anm.: „Und wie die Tage eines Tagelöhners sind seine Tage.“). Ohne Zweifel steht am Anfang der Kampf (militia), aber danach kommt der Lohn: Der Tagelöhner verdient ja täglich seinen Lebensunterhalt. So verdienen wir auf diese Weise unseren Unterhalt. Da der Kampf hitziger war, fällt auch der Lohn reichlicher aus. Vergessen wir nicht, dass der kleinste Verzicht, der kleinste Gedanke des Direktoriums seinen Lohn verdient. Die Engel Gottes schreiben es ins Buch des Lebens. Unsere härtesten Kämpfe erwerben uns ein Anrecht auf einen Lohn ohne Grenzen. Und die Belohnung besteht darin, dass Gott uns die Gnade einer kraftvollen Einwirkung auf die Seele schenkt. Was ihr ausgebt in diesen müheseligen Kämpfen, wird euch ersetzt als Kraft und Macht über die Seelen, um sie zu rühren und zu Gott zu führen. Durch diese Anstrengung eines jeden Tages und des ganzen Tagewerks hindurch erwerben wir das Talent, das uns die Erde und den Himmel erkauft. Hier herrscht also etwas wie ein Wirtschaftssystem, indem sich dieselben Gesetze wiederfinden, die auch die finanziellen Probleme lösen. Hier haben wir tatsächlich eine Sparkasse zur Verfügung. Der Pfennig, den wir hineinwerfen, ist nicht verloren. Er vervielfacht sich vielmehr. Und mit dem so erworbenen Geld könnt ihr all das erkaufen, was ihr erwerben wollt. Könnt Seelen gewinnen und den Himmel dazu…

Begreifen wir gut diese Lehre vom Kampf. Je mehr wir uns diese Sehweise zu Eigen machen, umso mehr Gnaden gewinnen wir. Der hl. Paulus sagt: „Mihi vivere Christus est, et mori lucrum.“ (Anm.: „Christus ist mir Leben, Sterben ist mir Gewinn.“). Wir können ebenso von uns sagen, unser Leben gehört Christus, und uns selber sterben, uns abtöten, das bringt uns einen immensen Reichtum ein. Machen wir uns Mut mit dieser Lehre. Welch ein reicher Gegenstand zur Betrachtung und zum Einsatz. Erbitten wir die nötige Einsicht in all diese Dinge vom hl. Stifter, der hl. Mutter Chantal, von der Guten Mutter, die mir so oftmals wiederholt hat, was ich euch da vortrage.