2. Vortrag: Über die Notwendigkeit, sehr fromm zu sein
Mittwoch Abend, 1. September 1886
Meine Kinder, habt viel Mut während der Exerzitien. Die Hitze ist erdrückend, die Übungen folgen knapp aufeinander. Außerhalb seiner Gewohnheiten, seiner täglichen Beschäftigungen gibt es viele Arten zu erleiden. Daran knüpft sich die Wohltat der Exerzitien an, unsere Heiligung, je nachdem, was wir ertragen müssen und wie wir es erdulden. Seien wir also während der Exerzitien stark und großmütig. Der heilige Franz von Sales wollte, dass man einen großmütigen Charakter hat, viel Energie. Unsere Gute Mutter Marie de Sales Chappuis, die Schwester Paul-Séraphine gehörten zu diesen durchdrungenen Seelen. So habe ich sie immer gesehen, so muss man sein. Wenn man diesen Charakteren nicht ähnlich ist, verstehe ich nichts mehr, weiß ich nicht, was man ist. Deshalb, meine Kinder, muss man sehr mutig, sehr großzügig, sehr abgetötet in seinen Vorhaben, in seiner ganzen Seinsweise sein. Eine Nonne muss sich immer selbst vergessen, sie darf nie bei sich selbst sein.
Ich wünsche mir, dass ihr wahre Nonnen seid. Prüft euch gut. Sagt euch: „Würde man mich als Vorbild für eine Nonne nehmen, meine Gedanken, meine Neigungen, meine Abtötungen, meine Ansichten aufschreiben und mir alles schriftlich zeigen, könnte ich dann sagen: Das ist eine Nonne?“ Und seht, wo ihr seid. Ihr müsst wirklich nonnen sein, damit man schreiben kann, was ihr macht, und wenn man es liest, sehen und verstehen kann, wie man sein muss, um Nonne zu sein. Nehmt euch nun euren heiligen Stand zu Herzen und wollte nicht einfach wie irgendeine Person sein, sondern wünscht euch, den besonderen Charakter einer Nonne zu haben.
Diesen Charakter trägt man innen, nicht äußerlich. Sind wir gute Nonnen unserer Gesinnung, unserer Werke, unserer Beziehungen zu den Nächsten? Sind wir bei unseren Neigungen mit dem Schlechtesten zufrieden, mit dem das Schlechteste gemacht ist? Üben wir bei unseren Mahlzeiten wohl die Abtötung des Speisesaals? Man muss sie immer positiv oder negativ machen. Meine Kinder, ihr müsst es auf euch nehmen können, oder ihr seid keine Nonnen, sondern Ordensschwestern, die sich von den Personen der Welt nur durch ihre Kleidung unterscheiden. Und der liebe Gott verlangt etwas anderes von euch. Als wir, die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis und ich, euch gründeten, wollten wir wahre Nonnen gründen, weil es der Wille Gottes ist, dass ihr so seid. Er hat es ausdrücklich so gesagt. Ihr fühlt wohl, dass der liebe Gott mit euch diese Absicht hat. „Aber, mein Vater, es ist hart, sich nicht einmal beklagen zu können.“ Ich sage nicht, dass man sich nicht beklagen könne, ich will, dass man sich nicht zueinander beklagt. Sagt alles unserer Mutter Generaloberin, der Hausoberin, geht voll Vertrauen und Einfachheit zu ihnen, aber bleibt da. Sprecht nicht unter euch über die Kleidung, die Nahrung, was euch Freude machen würde und was man euch nicht gibt. Meine Kinder, ich möchte keine Ordensschwester, die über diese Fragen sprechen würde, die sich darüber beklagen würde, denn es gibt sicher etwas, das nicht allen Temperamenten entspricht. Ist das der Fall, dann sage man es demütig unserer Mutter Generaloberin oder der Hausoberin. Da keine von Ihnen ein Raubtier ist, habt ihr nichts zu fürchten, wenn ihr fragt. Wenn man euch jedoch sagt, so noch weiterzumachen, wird man ohne weitere Überlegungen auch so weitermachen müssen.
Meine Kinder, wenn der liebe Gott mit seinen Engeln kommen wird, um euch zu richten, werden die Engel sagen, wenn sie uns sehen: „Herr, wer ist diese Person? Ist es eine Frau der Welt, eine Arbeiterin, die sich ihr Brot im Schweiße des Angesichts verdient?“ „Aber nein, es ist eine Nonne.“ „Herr, welches sind ihre Werke? Wo ist ihr Ordenscharakter? Wir sehen ihn nicht.“ Nun werden sich die Engel das Gesicht verhüllen und sagen: „Was sollen wir mit dieser Seele machen?“ Das ist sehr ernst, meine Kinder. Ohne Zweifel hoffe ich sehr, dass es unter euch nie um Fragen des Essens gehen wird, oder Klagen geben wird, die auf eine sinnliche Natur hinweisen würden, beschäftigt mit sich, die nur an sich denkt, getragen von Dingen, die in der Versammlung der Heiligen zu nennen der heilige Paulus verbietet. Aber es kann eine Ungeniertheit geben, die bewirkt, dass man sich gehen lässt, dass man nicht mehr das Leben unseres Herrn lebt.
Meine Kinder, als ich eure Satzungen noch einmal mit dem Gedanken las, sie in Rom genehmigen zu lassen, fragte ich mich: „Übt man im Institut genügend Abtötung? In der Heimsuchung nehmen die, die ganz der Ordensregel folgen, nur zwei Mahlzeiten am Tag ein. Außer den üblichen Fastengeboten der Kirche gibt es noch die der Ordensregel. Die Geißelung ist vorgeschrieben. Der Gehorsam ist sehr streng. Wir werden Rat holen und diese Fragen behandeln. Man darf nicht vor dem lieben Gott erscheinen wie irgendwer. Man muss euch als Kinder des heiligen Franz von Sales erkennen. Im Noviziat der Heimsuchung gibt es besondere Praktiken, in allen Ordensgemeinschaften trainiert man die Novizen für die Abtötung. Bei den Kartäusern gibt man ihnen ein Gericht der Buße, das ist etwas Bitteres oder Geschmackloses, das für die Gesundheit nicht schlecht, für den Geschmack aber abscheulich ist. Der Kardinal Thomas-Marie-Joseph Gousset (1792-1866) hatte immer etwas Schlechtes auf seinem Tisch, Konfitüren, die in die Luft springen ließen. Man lachte darüber ein wenig um ihn herum, aber er handelte so aus Abtötung. Der heilige Bernhard übte seine Ordensleute und vor allem die, welche aus Häusern kamen, wo viel Aufwand betrieben wurde. Er ließ ihnen etwas Schlechtes geben, und wenn sie kamen und ihm sagten: „Vater, wir können nicht mehr“, antwortete er ihnen: „Betet, und versucht es zu ertragen.“ Manchmal wurde ihnen durch ein Wunder das, was ihnen unerträglich war, köstlich, aber um ihnen das Fegefeuer zu ersparen, betete der Heilige neuerlich und die Speisen wurden wieder bitter.
Man verlangt von euch nicht so große Abtötungen, aber versäumt zumindest nie die Übung des Speisesaals. Versagt euch, was ihr gern habt, esst von dem, was ihr nicht mögt. Im Allgemeinen besteht für uns die Abtötung eher darin, von dem zu essen, was wir nicht mögen. Aber wie immer sie sich bietet, man muss sie üben. Die höheren Persönlichkeiten können sie leichter üben als andere, weil sie energischer sind. Betet gut in diesen Tagen, meine Kinder, denn wir müssen über die Frage der Abtötung reden. Wir werden euch sagen, was wir beschlossen haben, was wir dem Heiligen Vater vorlegen werden.
Ihr müsst in eurem ganzen Äußeren Nonnen sein. In der Kirche verhaltet ihr euch sehr bescheiden, ohne euch nach rechts oder links zu neigen, was eine gewisse Abschweifung des Herzens anzeigen würde. Der heilige Franz von Sales wollte von seinen Töchtern das Gehabe einer Königin. Im Ordensleben nimmt man es auf sich, wegen des lieben Gottes, den man in seinem Herzen trägt. Also wird die Kleidung etwas Göttliches, weil ihr Motiv übernatürlich ist. Man muss die Abtötung unseres Herrn üben, ständig eine schöne Haltung, die Haltung einer Königin haben. Ich würde keinen Oblaten, keine Oblatin verstehen, der sich nicht immer beherrschen würde. Wenn der liebe Gott eine Abtötung schickt, ist es etwas Gutes, man braucht sie nicht zu wählen. Das gut angenommene Leiden ist so sehr in unserem Geist, dass das Geistliche Direktorium empfiehlt, das Leid und die Abtötung, auf die man in jeder Handlung stoßen wird, im Vorhinein anzunehmen.
Seid also wirklich Nonnen und beachtet, was ich euch über Kleidung, Nahrung und Haltung sage. Eine große Haltung ist so schön! Als der heilige Paulus von der Gemeinde von Korinth etwas erhalten wollte, sagte er ihnen: „Ich bitte euch darum im Namen der Bescheidenheit unseres Herrn.“ In der griechischen Sprache steht das Wort Bescheidenheit für Mode, Seinsart, sich zu benehmen. Er verlangt so von ihnen das Schwierigste. Er verlangt es von ihnen nicht im Namen des Kreuzes, der Leiden unseres Herrn, sondern im Namen der Bescheidenheit. Das Äußerliche des Heilands was so schön, so göttlich, so entzückend! Versteht wohl, meine Kinder, die Wichtigkeit, sich im Ordensleben zu benehmen. Die Heimsuchungsschwestern haben alle das gleiche Siegel. Vor 250 Jahren ist ihr Gründer gestorben, und sie erinnern sich noch daran, was er ihnen gesagt hat. Auch ihr müsst euch an das erinnern, was ich euch empfehle. Der liebe Gott würde euch sehr lieben, wenn ihr machen würdet, was ich euch sage. Macht euch aus ganzem Herzen während der Exerzitien daran. Amen.