Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1879

      

4. Vortrag: Über die Lauheit

Dienstag Abend, 26. August 1879

Meine Kinder, es gibt im geistlichen Leben und vor allem im Ordensleben ein Übel, das sehr schwer zu heilen ist. Dieses Übel ist die Lauheit.
Die Lauheit, die auf den ersten Blich nur als einfache Folge unserer Schwäche, der Gebrechlichkeit unseres Wesens erscheint, ist tatsächlich ein sehr großes Übel. Gott sagt es uns. In der Offenbarung schreibt der heilige Johannes an die sieben Bischöfe Asiens. Den einen gibt er Warnungen, den anderen Ratschläge, Ermutigungen. „Schreib“, sagt ihm der Herr, „an den Bischof der Kirche von Ephesus. Du wirst ihm sagen, dass ich etwas gegen ihn habe, weil er seinen ersten Eifer verlor, weil er seine erste Liebe verlassen hat.“ (vgl. Offb 2,4). Und dem Bischof von Laodizea: „Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“ (Offb 3,15-16).
Ihr seht es, meine Kinder, der liebe Gott hat eine große Abneigung für die lauen Seelen, und warum? Eine laue Seele war nicht immer lau. Sie hatte gute Regungen, gute Eingebungen in ihrem Leben, sie wurde von der Gnade berührt. Sie machte dem lieben Gott Zusagen, Versprechungen, Gelübde. Der liebe Gott hat ihre Versprechen ernst genommen. Es gab Augenblicke, wo sie Gott gute Dinge sagte. Sie sagte ihm, dass sie ihm, dass sie ihn liebe. Sie bewies es ihm durch großmütige Akte der Loslösung durch Opfer. Der liebe Gott erinnert sich daran. Aber seit dieser Zeit hat sie vergessen, sie wollte nicht mehr, und dieser Großmut, dieser gute Wille verwandelte sich in Kälte.
Seht zwei Personen, die sich gern haben. Wenn zwischen ihnen eine Abkühlung eintritt, entfernen sie sich nach und nach voneinander. Ihre Freundschaft erkaltet und verwandelt sich manchmal in Feindschaft. Es gibt nichts Schlimmeres als die Beziehungen von befreundeten Personen, die einander verletzten. Schließlich lieben sie einander überhaupt nicht mehr und oft hassen sie sich sogar. Die Lauheit ist das Ergebnis einer Folge kleiner Unfeinheiten unsererseits. Wir sind kalt mit dem lieben Gott, und da der liebe Gott ganz Liebe ist, kann er den Teil nicht annehmen, der ihm gegeben wird. Er zieht sich ganz zurück. Die Lauheit muss also als sehr großes Übel betrachtet werden. Der liebe Gott will laue Seelen nicht mehr. Er ist ihrer müde, sie ekeln ihn. Seine Liebe wurde verletzt. Er ärgert sich und zieht sich zurück.
Ist die Lauheit ein seltener Zustand? Er ist leider sehr häufig und in den Ordensgemeinschaften häufiger als in der Welt. Wenn man in der Welt ein Christ bleiben will, ist man ein guter Christ. Diejenigen, die schlecht sind, sind es ganz. Daher ist man nicht leicht lau. Im Ordensleben hingegen sind es viele. Den lieben Gott ekelt eine laue Seele an, sie missfällt ihm, er kann sie nicht guten Mutes sehen, er kann sie nicht ertragen. Der Ausdruck, dessen er sich bedient, ist sehr stark: „Da ihr lau seid, will ich euch aus meinem Mund ausspeien.“ (vgl. Offb 3,16).
Meine Kinder, ihr seht es, die Lauheit bringt uns in Gefahr, vom lieben Gott zurückgestoßen zu werden. Habt also große Angst davor. „Aber“, werdet ihr mir sagen, „wie soll man erkennen, dass man in diesem Zustand ist?“ Das ist sehr leicht.
Womit beschäftigt sich eine laue Nonne beim Aufwachen? Mit dem lieben Gott? Sie denkt kaum daran. Sie denkt an alles Mögliche. Sie zieht sich nachlässig an. Sie fasst keine Gedanken des Direktoriums. Sie kehr immer wieder zu sich selbst zurück. Sie geht zur Betrachtung, ohne jedoch etwas dem lieben Gott zu sagen, sie weiß nicht einmal, ob sie ihn liebt. Sie wird während des Tages viel zu tun haben, aber sie hat nicht den Mut, den lieben Gott um Hilfe zu bitten. Diese Nonne ist lau.
Während der Messe weiß sie nichts unserem Herrn zu sagen. Sie fasst keinen Gedanken des Direktoriums. Sie ist da, wie sie sonst wo da wäre, sie ist da wie eine Statue. Ich weiß, man kann krank sein, man kann sich in Angst, in Versuchung befinden. Das ist etwas anderes, das ist eine Prüfung und ich will nicht von diesem Seelenzustand sprechen. Die laue Nonne stört es nicht, an den lieben Gott zu denken und eine abgetötete Haltung anzunehmen, sie tut es einfach nicht. Im Augenblick der Wandlung bleibt sie kalt und gleichgültig, als ob unser Herr gar nicht auf den Altar niedersteigt. Wenn man sie anschaut, sieht man, dass sie kaum betet. Und würde man auf den Grund ihres Herzens vordringen, würde man sehen, dass sie überhaupt nicht betet. Das ist eine laue Nonne.
Jetzt kommt die Stunde der Arbeit. Wie macht sie diese? Sie macht sie mit Gleichgültigkeit, sie denkt nicht daran, sie dem lieben Gott anzubieten, ihn zu bitten, ihr zu helfen. Und wenn man sie frei ließe, würde sie am liebsten nichts tun. Ihre Arbeit ist eine Folge dieser Gleichgültigkeit. Sie späht auf den Augenblick, wie sie sich wieder zerstreuen kann, in dem sie etwas macht, das ihr mehr gefällt. Sie ist müde, bevor sie gearbeitet hat. Diese Seele ist lau, von dieser Lauheit, die so schwer zu heilen ist.
Im Speisesaal hört sie nicht auf die Lesung. Sie macht nicht die Abtötung, die die Ordensregel vorschreibt. Wenn sie etwas nicht mag, denkt sie nicht daran, ihren Widerwillen dem lieben Gott zu opfern. Sie denkt nicht an die Galle und den Essig, die unserem Herrn angeboten wurden. An all das denkt sie nicht. Sie isst, wie sie in der Welt essen würde. Eine Nonne, die so handelt, ist eine ganz laue Nonne.
Sie kommt zur Rekreation. Sie hat ihre besonderen Zuneigungen, ihre Abneigungen. Sie bemüht sich nicht, liebenswürdig zu sein, sie bleibt allein in ihrer Muschel, in ihren Gedanken. Und wenn sie eines Tages überdreht ist, hat sie unangebrachte Lachanfälle, die ganz gegen den religiösen Anstand sind. Sie spricht ungünstig über den Nächsten, sie versucht, anderen ihre Abneigungen, ihren Ärger mitzuteilen. Sie gibt ihre Wertungen über dem oder jenem von sich, was von der Ordensregel streng verboten ist. Diese Nonne ist lau, dreifach lau.
Dann kommen die anderen Übungen: die geistliche Schriftlesung, das Stundengebet. Sie macht das, um es eben zu machen. Sie denkt nicht an das, was sie macht. So kommt sie zum Ende des Tages. Ich frage euch: Welches Gewicht hat ein solcher Tag? Schaut euch die Übungen dieser Nonne an: ihr Aufstehen, ihre Gewissenserforschung, ihre Betrachtung, ihre geistliche Schriftlesung, ihr Stundengebet, ihre Zeit der Rekreation – stellt das alles auf die Waage. Welches Gewicht hat das im Heiligtum? Wie schätzt Gott das alles ein?
Das ist, meine Kinder, der Charakter einer lauen Seele. Das ist die Lauheit, die Gott ausspeit, die er weder sehen, noch hören will. In der Offenbarung tadelt der Herr den Bischof von Pergamon sehr, der Beziehungen zu den Häretikern hatte (vgl. Offb 2,14). Er sagte ihm, dass er ihm seine Gnade entziehen werde. Und dem von Ephesus sagte er: „Ich werde deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken.“ (Offb 2,5) Aber er sagt ihnen nicht, dass er sie zurückweist. Während er dem Bischof von Laodizea, der lau ist, sagt: „Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien“ (Offb 3,16).
Wollt ihr wissen, ob ihr lau seid? Denkt über alles nach, was ich euch soeben gesagt habe. Lasst es euch durch den Kopf gehen und macht es zum Thema einer ernsten Gewissenserforschung. Das wird euch euren Eifer oder eure Lauheit ermessen lassen.
Was sind die Ursachen der Lauheit? Die Ursachen der Lauheit – das wird euch überraschen – sind: der Stolz unseres Geistes, die Schwächen unseres Herzens und der Mangel an Abtötung, die Liebe für unser Wohlergehen.
Viele sind lau, weil sie denken, dass sie einen höheren Wert haben als die anderen, dass sie besser handeln als die anderen. Alle Stolzen sind lau. Sie sehen die Dinge schlecht. Der liebe Gott zieht sich von ihnen zurück. Das ist der erste Grund der Lauheit.
Der zweite Grund der Lauheit ist die übertriebene Eigenliebe, die bewirkt, dass wir immer in unseren Beziehungen zum Nächsten unsere Befriedigung suchen, diese oder jene Person zu sehr oder nicht genug zu lieben, wie lassen uns von den Sympathien und Antipathien unseres Herzens leiten, das keine Kraft, keine Energie mehr hat. Es ist lau.
Schließlich der dritte Grund der Lauheit: es ist die Liebe zu unserem Wohlergehen, es ist unsere Sinnlichkeit, die unter keinen Umständen die Abtötung unseres Herrn tragen will. Man ist entkräftet, man hat kein Herz, keinen guten Willen mehr. Man hat keine Kraft mehr und fällt ab wie alte Lumpen.
Das, meine Kinder, sind die drei Gründe der Lauheit: der Stolz, unsere nicht unterdrückten Herzensneigungen und der Mangel an Abtötung. Wollen wir nicht lau sein? Demütigen wir uns! Erkennen wir vor dem lieben Gott, dass wir nichts sind, dass wir nichts besitzen. Wenn wir ein Talent haben, wenn wir ein wenig Verstand haben, warum bilden wir uns etwas darauf ein, da sie uns ja der liebe Gott gegeben hat? Aber man denkt darüber nicht nach, und jene wird durch ihren Stolz verloren gehen, diese wird auf ihren Geist eitel sein, eine andere auf ihr Gesicht, auf ihre Art zu gehen. Alle werden in die Lauheit verfallen. Doch wenn ihr armen Kinder wüsstet, wie wenig das alles ist.
Wenn ihr nicht lau sein wollt, seid auch sehr großmütig, um die zu lieben, die ihr natürlich nicht lieben würdet. Um euch zu zwingen, euer ganzes Herz in eure Aufgaben zu legen, um es nicht gehen zu lassen, wohin der lieben Gott nicht möchte, dass es geht, seid groß im Verzeihen. Schließlich seid abgetötet. Ich habe es euch schon gesagt, meine Kinder, es ist nicht notwendig, dass eine Oblatin in einem Augenblick nicht leiden muss. Wenn sie in ihrem Geist, in ihrem Herzen, in ihrem Körper nichts zu erdulden hat, muss sie sich leidend machen. Wir müssen die Abtötung unseres Herrn in uns tragen. Das ist etwas, das für uns unbedingt nötig ist.
Wenn viele Nonnen in die Fehler tappen, die ich angegeben habe, so ist das, weil sie nicht den Mut haben, sich selbst zu verleugnen, sich abzutöten. Man tötet sich in seiner Nahrung, in seiner Person, in seinen Neigungen nicht ab, und man verfällt in diesen Zustand, dass der liebe Gott überhaupt nichts mehr von uns wissen will. Die Lauheit ist das Übel der Ordensgemeinschaften. Sie ist nicht das Übel der Welt. Unser Herr wirft die Lauheit nicht den Menschen der Welt vor, sondern einem Bischof, dem, der sein Freund und ihm ganz nahe ist.
Meine Kinder, bitten wir unseren Herrn, dass er uns lehre, unser Herz zu wahren, gut abgetötet und sehr demütig zu sein, damit wir mit diesen drei Tugenden das gefährliche Übel der Lauheit vermeiden und dem Unglück entkommen, in die Feindschaft des lieben Gottes zu fallen, von ihm getrennt zu sein. Amen.