4. Die Zungensünden – Die Beichte
Der heilige König David richtet in seinem seiner Psalmen an Gott die Bitte: „Herr setze eine Wache vor meine Zunge und eine Wehrtür vor meine Lippen.“ Meine Kinder, einer der Alten sagte, dass „die Zunge das beste und das schlimmste aller Dinge“ sei. Ein anderer fügte hinzu, dass von allen lebenden Dingen die gefährlichste die schmeichelnde Zunge und das bösartigste die verleumderische Zunge ist. In der Tat begehen wir mit der Zunge viele Sünden.
Solange man ein junges Mädchen ist, ist die üble Nachrede ein Fehler, in den man kaum fällt. Aber wenn man älter wird, fällt man unter dem Vorwand der Nächstenliebe leicht in dieses Missgeschick. Man bittet z.B. in der Beichte um einen Rat. „Was soll ich tun? Ich bin verpflichtet, mich von Zeit zu Zeit mit der oder jener zu treffen, ja. Aber sie hat den Fehler, sie ist so oder so…“ Und man scheut sich nicht, nachteilig über diese Person zu sprechen. Ein andermal sagt man doch: „Es ist sehr schade, für ein solches Mädchen, dass es diesen Fehler hat oder dass ihr diese Tugend mangelt…“ Und unter dem Vorwand, Gutes zu tun, fehlt man gegen die Liebe. Hütet euch wohl, in diesen Fehler zu fallen, meine Kinder. Die Beichte ist etwas sehr Großes, sehr Ernstes. Man muss sie stets in einem ganz übernatürlichen Geiste machen. Seht den König David, wie demütig er sich anklagt. Nach seiner Sünde finden sich die Seufzer seiner Seele auf jeder Seite der Psalmen. Sein Schmerz ist echt! Er kommt nicht durch die Beweggründe, die uns bisweilen zum heiligen Tribunal führen, dazu, sich schuldig zu bekennen. In der Tat kommen manchmal Mädchen – oder vielmehr solche, die schon etwas älter sind – aus Eigennutz zur Beichte, nicht Geldes wegen, sondern damit sich ihr Beichtvater mit ihnen befasse. Zu anderen Malen kommen sie aus Eigenliebe. Sie haben eine Freundin, die fromm ist, die an den großen Festen beichtet. Sie wagen nicht, es anders zu machen als diese. Diese Beweggründe sind nicht lauter. Man muss zur Beichte gehen, weil man es nötig hat, weil man den oder jenen Fehler auf dem Gewissen hat, der es beschwert, und den man nicht behalten will. Dann macht man die Beichte recht demütig und hat alle mögliche Ehrfurcht vor dem Sakrament der Buße. Meine Kinder, warum sind so viele Beichten wirkungslos und erzeugen auf die Dauer in der Seele eine gewisse Abstumpfung? Weil man vor der Beichte nicht die Ehrfurcht hat, von der ich spreche.
Ich will bei euch nicht von der Aufrichtigkeit sprechen. Es ist klar, dass keine von euch ein Sakrileg begehen möchte, indem sie eine Todsünde im Gewissen zurückhält. Ich will euch nur diese Begebenheit erzählen, die aus tausend ausgewählt ist: In einer Pfarrei war eine Person, die immer traurig war, obwohl sie nach außen eine recht gute Christin war, recht genau in ihren Pflichten. sie hatte eine sehr fromme Freundin, die ihr ihre Traurigkeit übertragen hatte. Schließlich starb diese arme Person. Und kurze Zeit nach ihrem Tod erschien sie ihrer Freundin im Gebet, umgeben von Flammen und sagte zu ihr: „Bete nicht mehr für mich, ich bin verdammt.“ Als ihre Freundin sich erstaunt fühlte, fügte sie hinzu: „Ich habe in der Beichte eine Sünde verschwiegen, die ich begangen habe, als ich noch jung war. Ich habe sie nie zu bekennen gewagt. Vergeblich habe ich Bußwerke verrichtet, um sie zu sühnen, sie ist mir nie vergeben worden, und ich bin auf ewig verdammt…“
Keine wird also in der Beichte eine Sünde verschweigen, ja, und dessen bin ich mir sehr sicher. Um aber alle seine Fehler recht zu gestehen, muss man sie erkennen und folglich seine Gewissenserforschung mit großer Sorgfalt machen. Wie sollt ihr sie machen, meine Kinder? Ich verlange nicht von euch, dass ihr dazu ein Buch benützt, nein… Dessen könnt ihr euch für eine Generalbeichte bedienen, das verstehe ich sehr gut. Aber dass ihr es für die gewöhnlichen Beichten gebraucht, das halte ich nicht für nötig. Macht es nicht manche Mädchen, die mit ihrem Buch beichten wollen wie Kinder von fünf oder sechs Jahren, mit dem Finger den vorgedruckten Sünden folgend. Das sind nicht ihre Sünden, die sie aufsagen, sondern wohl die des Buches.
Es genügt, seine Sünden mit dem Bewusstsein echter Reue zu bekennen, um ihre Vergebung zu erlangen. Wenn wir aber wollten, dass uns die Beichte wirklich hilft, unsere Fehler zu bessern, muss man etwas mehr tun und dem Rat des hl. Franz von Sales folgen. Der will dass wir zu unserem Beichtvater von Zeit zu Zeit die Ursache unserer Sünden zu erkennen geben. So genügt es nicht zu sagen: „Ich war einmal heikel.“ Wer war in seinem Leben nie heikel? Man muss seinem Beichtvater auch sagen, warum man heikel war. Man muss ihm sagen, ob aus Sinnlichkeit, aus Selbstsucht, muss sagen, dass man alles sucht, was dem Geschmack schmeicheln kann, dass man damit immer behaftet ist. Oh, das kostet aber sicher etwas! Aber es ist ja kein Mensch, dem wir es bekennen.
Kein Mensch hat das Recht, das Geheimnis unserer Gedanken aufzudecken. Folglich bekennen wir unsere Fehler nicht einem Menschen, vielmehr dem Stellvertreter Jesu Christi. Welcher Mensch hätte tatsächlich aus sich selbst die Macht, zu Seinesgleichen zu sagen: „Alle deine Sünden sind dir vergeben…“ Unsere Sünden werden uns von Gott vergeben.
Der Priester wird den Herrn dafür preisen, dass eine Seele sich bekehrt hat. Denn als Gott ihn zum Priester berief, hat er ihm die Gesinnung einer ganz himmlischen Väterlichkeit geschenkt. Außerdem: Ist der Priester nicht ein Mensch, ein Sünder, auch er fähig, die Sünde zu begehen, die ihr begangen habt, wenn Gott ihn unterstützt? Diese Gedanken müssen euch zu einem großen Vertrauen anregen, umso mehr, da der Priester zur größten Verschwiegenheit verpflichtet ist.
Merkt euch gut, meine Kinder: damit die Absolution wirksam für eure Seele sei, muss eure Beichte aufrichtig, vollständig und übernatürlich sein. Was die Reue betrifft, hängt ihr Wert von ihrem Beweggrund ab. Es ist nicht schwierig, eine vollkommene Reue zu haben, Gott zu sagen, dass es einem Leid tut, ihn beleidigt zu haben, weil er unendlich gut ist. Es ist für uns gewissermaßen ebenso leicht, einen Akt vollkommener Reue zu machen, wie „Jesus“ zu sagen. Wir werden also in unserem Herzen alle Reue erwecken, die uns möglich ist, und wir werden uns bemühen, ihr die Gottesliebe als wichtigsten Beweggrund zu geben.
Wir müssen uns dem Sakrament der Buße mit der gleichen Ehrfurcht nahen, mit der gleichen Liebe wie dem Sakrament der Eucharistie. In der Eucharistie empfangen wir Jesus Christus ganz, im Sakrament der Buße wäscht sein Blut unsere Seele rein, heilen uns seine Leiden, erweckt uns sein Tod wieder.
Vor allem, meine Kinder, ich wiederhole es, habt großes Vertrauen. Verschweigt nie etwas aus falscher Scham. Fürchtet nicht, dass der Beichtvater es sich merken wird. Ohne Zweifel sind nicht alle Priester wie der Pfarrer von Ars, der die Sünden derer, die bei ihm beichteten, deutlich sah. Ich kann euch aber sagen, dass der Beichtvater von einem übernatürlichen Licht erleuchtet ist, das ihm zeigt, ob der Beichtende alle seine Sünden recht angegeben hat oder ob er nicht alle bekannt hat. Wolltet ihr ihn also täuschen versuchen oder ihn vielmehr in der schrecklichen Furcht lassen, dass ihr ein Sakrileg begangen habt, indem ihr nicht alles bekannt habt?
Macht euch das also zur Gewohnheit, meine Kinder. Erforscht euer Gewissen gut! Gebt von Zeit zu Zeit den Grund für eure Sünden an. Sagt alles richtig, und ihr werdet alle Gnaden empfangen, die überreich in diesem Sakrament enthalten sind, Gnaden der Festigung in der Tugend, Gnaden der Heiligkeit, die euch in den Himmel bringen.
