Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 25.01.1899: Das Predigen

Das Predigtamt: „Die Patres sollen niemals predigen, ohne ihres Herrn und Heilands zu gedenken, den sie in der hl. Messe empfangen haben und der mittels ihrer Zunge zu den Gläubigen spricht.“

Was der hl. Franz v. Sales als Prinzip in allen Fragen aufstellt, ist die Vereinigung mit unserem Herrn. Und das ist ein sehr richtiger Gedanke. Der Priester, der den Heiland sooft empfängt, lebt vom Leben des Heilandes: sein Mund und seine Zunge werden zum Munde und zur Zunge des göttlichen Meisters, wie der hl. Paulus sagt: „Oder sucht ihr einen Beweis dafür, wer in mir spricht?“ Wer also sollte wagen, gegen ihn zu kämpfen? Was der Priester sagt, ist nicht der Gedanke und das Wort eines Menschen, sondern Gottes. Einmal in uns eingekehrt, gibt uns der Herr Licht und Vertrauen, und wir können ohne Furcht und Unruhe reden, denn unsere Sicherheit stützt sich nicht auf unser Verdienst und unser Talent, sondern auf die Gnade des Herrn. Welch schöner Gegenstand für unsere Betrachtung! Wenn ihr später selbst berufen seid, das Wort Gottes zu verkünden, sollt ihr euch mit dieser Gesinnung erfüllen und durch einen starken Glaubensgeist euch zuerst mit Ihm vereinigen. Nicht die großen Kanzelredner bewirken die meisten Konversionen, sondern die großen Heiligen!

In den Priesterseminarien setzt man die Prinzipien der Redekunst, die Gesetze des guten Vortrags, die Quellen, aus denen man schöpfen soll, auseinander. Aber man legt vielleicht zu wenig Wert auf die innere Disposition, die ich euch da erläutert habe. Man überlässt das der Gewissenhaftigkeit des Einzelnen. Bei uns aber muss man sie an erster Stelle wirken.

Solange ich auf der Welt weile, bin ich das Licht der Welt, sagt unser Herr. Ist es nicht sonderbar, dass Priester diesen elementaren Punkt vergessen können, dass sie Werkzeuge unseres Herrn sind? Statt ihre Leitung und ihre Losung bei ihm zu holen, wälzen sie Predigtbücher und suchen ihre hauptsächliche und einzige Eingebung in einem Buch! Waren da die Heiden nicht logischer als gewisse Priester? Sagten sie nicht: Von Jupiter ist der Ursprung, der Urstoff?! Um mit Frucht zu reden, muss die Seele rein und frei von allen freiwilligen Fehlern sein, muss sie sich im Geist der Buße erhalten, die für Kinder des hl. Franz v. Sales darin besteht, dass man das Leben annimmt wie die göttliche Vorsehung es bestimmt, mit all den Prüfungen und Leiden eines jeden Tages, dem kleinen Zusammenprall der Charaktere, dem Mangel an Zartgefühl und Liebe, deren Opfer wir sind. Betrachten wir all das wie einen kostbaren Schatz, ein Goldtalent, und erinnern wir uns, dass das Leid für den hl. Franz v. Sales die Garantie für die Wirksamkeit seines Wortes bedeutete. Auch der hl. Paulus setzte den ganzen Erfolg seiner Predigt auf die Abtötung: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn in Dienstbarkeit, damit ich nicht, während ich anderen gepredigt habe, selber verworfen werde.“ Mögen unsere jungen Mitbrüder sich nach diesen Grundsätzen formen, dann werden die Wirkungen nicht ausbleiben. Und diese Praxis muss Anwendung auf jederlei religiöse Unterweisung finden, auf Katechismus, Predigt, Vorträge, etc.

Welche Absicht soll uns dabei leiten?

„Ihr Ziel und ihre Absicht bei der Predigt sei, das zu tun, wofür unser Herr in diese Welt gekommen ist… dass sie das Leben haben und es in Füllen haben…“

Nur Heiligkeit bringt Heiligkeit hervor. Wenn wir sie selbst besitzen, werden die Seelen bei unserem Kontakt Licht und Leben empfangen. Die hl. Kirche wird unterstützt und der Himmel mit Seelen bereichert werden. Ein heiliger Priester vollbringt auf der Kanzel Wunderdinge. Denkt nur an die Geschichte des Herrn Merger…

„Gut ist es, wenn man schon tags vorher, seine Predigt vorbereitet und morgens bei der Betrachtung die Gedanken einflichtt, die man vortragen will…“

Mit der übernatürlichen Vorbereitung, von der wir bisher sprachen, muss sich die persönliche Arbeit verbinden. Wenn ihr einmal alt seid, dann habt ihr all eure Vorräte beisammen und könnt aus der Fülle des Herzens sprechen wie Herr Boigegrain, der Gründer der Schwestern von der göttlichen Vorsehung von Troyes.

Am Fest der Opferung Mariens betrat ich einmal die Kapelle dieser Schwestern. Sie wollten ihre Gelübde erneuern, und Herr Boigegrain hielt ihnen vorher eine Ansprache. Er war sehr alt und sprach ganz einfach und väterlich. Er sagte: „Mit wem wollt ihr eure Gelübde erneuern? Doch mit Maria und Jesus. Macht es also wie Maria am Tag ihrer Aufopferung und wie Jesus am Tag seiner Darstellung im Tempel. Die Gesinnung Mariens war dieselbe wie die des Heilands, weil Jesus selbst sie ihr vorher eingeflößt hat.“ Und nun begann er, die Gedanken Jesu und Mariä in so einfachen und tiefbewegenden Ausdrücken zu entwickeln, dass ich zu Tränen gerührt wurde. Gegen Ende seiner Ansprache bemerkte er die Anwesenheit eines Geistlichen, und als er erfuhr, dass ich es war, ließ er mich rufen und sagte zu mir: „Hochwürden, aber Sie müssen mir versprechen, die Wahrheit zu sagen. Sie sehen, dass ich sehr alt bin, ich zähle 77 Jahre. Früher schrieb ich meine Predigten alle auf und lernte sie auswendig. Jetzt aber lassen mich meine Augen und mein Gedächtnis im Stich. Glauben Sie, dass ich vor meinem Gewissen noch im Stande bin, meinen Schwestern eine Predigt zu halten? Ich fürchte nämlich, das Wort Gottes zu entweihen…“ – „Seien Sie beruhigt“, sagte ich zu ihm, „Sie sind durchaus in der Lage und zwar so gut, dass Sie mich zu Tränen gerührt haben.“

Doch um predigen zu können, braucht man einen Vorrat. Wo ihn schöpfen? Die Theologie liefert euch ihre Definitionen, ihre Lehrsätze, ihre Beweise aus der Hl. Schrift, der Überlieferung und der menschlichen Vernunft. Man muss also seine Bibel beherrschen und sie immer wieder durchlesen. Man sollte auch eine exakte und auch eine einigermaßen detaillierte Kenntnis der Kirchenväter haben, eine weitgehende Kenntnis der Kirchen- und der Profangeschichte. Und vor allem gilt es, dieses Wissen eurer Zuhörerschaft anzupassen.

In welcher Form hat das zu geschehen? Nun, das hängt eben von euren Zuhörern ab, sie haben alles zu bestimmen und zu regeln. Ihr könnt keine Dorfpredigt im Ton einer Kanzelrede am Hof König Ludwigs XIV. halten. Ihr wollt, dass eine gewisse Wahrheit verstanden und geliebt werde. Nehmt also all eure Kenntnisse zu Hilfe, um daraus ein vernünftiges und verständliches Ganzes zu machen. Wenn ihr selber nichts über das zu behandelnde Thema wisst, könnt ihr Unwissende belehren, ihr würdet sie nur noch unwissender machen.
Um aber einen soliden Vorrat anzulegen, muss man sich unbedingt Notizen machen, Blätter sammeln, von denen jedes einen Titel trägt, z.B. Gottesliebe, Nächstenliebe, Glaube, Arbeit, etc. Immer, wenn eure Studien euch einen wertvollen Gedanken liefern, notiert ihr ihn unter dem entsprechenden Stichwort. Wenn ihr an dieser Methode festhaltet, verfügt ihr nach einiger Zeit schon über eine reiche Stoffsammlung, die euch beim Katechismus, bei der Predigt, bei Vorträgen wie bei der Seelenführung nützen wird. Dann wisst ihr nicht nur jederzeit etwas zu sagen, sondern diese Gedanken, die ihr eurer Denkart, eurem Geschmack und eurem Gefühl angepasst habt, werden ungemein persönlich wirken. Dann seid ihr kein hohles Echo, ihr werdet gern angehört, und habt zu euch selbst gefunden.

Diesem Ziel kann rein alles dienen, selbst die Mathematik und die Naturwissenschaften… So kann mit dem Eukalyptusbaum, aus einem winzigen Samen geboren, der zu einem gewaltigen Baum wird, mit seinem harten Holz, das so widerstandsfähig ist, mit seinem herrlichen Balsamduft einen Vergleich herstellen zur Gnade, die mit ihren kleinsten Teilchen in der aufnahmewilligen Seele schnell unvergleichliche Ergebnisse erzielen kann.

Die Entdeckungen der Wissenschaft werden euch ebenfalls Vergleiche ermöglichen, die die Geister der Gebildeten ansprechen. So wird alles in euch zum Dienst am Evangelium beitragen.

D.s.b.