Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 06.04.1898: Das hl. Offizium

Die Brüder, die trotz ihrer Arbeit genügend Zeit, Fähigkeit und Frömmigkeit haben, das „Officium parvum“ der allerseligsten Jungfrau zu beten, können das mit Erlaubnis des Novizenmeisters oder Oberen tun. Wo ihre Beschäftigung das nicht erlaubt, mögen sie die vom hl. Franz v. Sales und unseren Satzungen vorgeschriebenen „Pater noster“ und „Ave Maria“ beten.

Was unsere jungen Patres angeht, die sich demnächst auf ihre hl. Weihen vorbereiten, so ist es eine gute Gewohnheit, das Brevier schon einige Zeit vor dem Subdiakonat zu beten.

Das Direktorium setzt an den Anfang (des Artikels vom Offizium) allgemeine Weisungen: sobald die Glocke ertönt, soll man augenblicklich seine Arbeit aufgeben und der Stimme Gottes, die uns ruft, folgen. Die Kirchengeschichte wie die Heiligenlegende sind voll von wunderbaren Zügen, durch die Gott die Schnelligkeit in diesem Gehorsam belohnt hat. Da ist z.B. ein Mönch damit beschäftigt, in eine Handschrift komplizierte Zierbuchstaben zu malen. Beim Glockenzeichen bricht er seine Arbeit sogleich ab. Bei seiner Rückkehr findet er den großen Buchstaben voll und wunderbar ausgemalt. Ein anderer, der in der Küche arbeitet, sieht bei seiner Rückkehr den hl. Schutzengel an seinem Platz stehen. All diese Erzählungen sind keine Glaubenssätze, das weiß ich wohl. Warum aber diese Wunderdinge nicht glauben, die immerhin möglich sind und Gott zur Ehre gereichen? Sie enthüllen uns die Schätze der Liebe der göttlichen Vorsehung und seine Zärtlichkeit. Der Glaube hat Dimensionen, die bei den einen weiter ausgreifen als bei anderen. Derartige Erzählungen können den Glauben nur erweitern und stärken. Warum also solche Erzählung in der Katechese und Unterwerfung nicht klug und diskret gebrauchen?

Der hl. Bernhard und der hl. Augustinus machten davon einen ausgiebigen Gebrauch. Der hl. Gregor wie der hl. Hieronymus gingen darin sogar zu weit und waren doch keine kleinen Geister. Sie jedenfalls glaubten daran. Erzählt doch der hl. Hieronymus von den Mönchen in Skethe, der Teufel habe in einem eifrigen Kloster die Mönche ablenken willen, habe sich deshalb in einen Satyr verkleidet und sei von Zelle zu Zelle gegangen…

Diese Ausdehnung des Glaubens zeugt von einer besonderen Intelligenz und einer Gabe starken Vertrauens auf Gott. Im Leben der Guten Mutter wird mehr als ein Zug dieser Art berichtet. Dies kann man ohne Furcht glauben, weil es durch Augen- und Ohrenzeugen beglaubigt ist.

„Zu den Übungen, die sich unmittelbar auf die Ehre und den Dienst Gottes beziehen, erscheine man in demütiger und unterwürfiger Geistesverfassung…“

Das Offizium ist nicht unser Privatgebet, sondern das offizielle Gebet der Kirche. Es bildet einen Teil des Opfers. Nun ist aber das Opfer in der Ordnung der Vorsehung und unserer Heiligung notwendig. Das Leben setzt sich ja aus Opfern, Mühsal und Leiden zusammen.

Mit dem Brevier haben wir das tägliche Opfer, das uns unser Beruf als Priester auferlegt. Möge das tägliche Opfer dieses offiziellen Gebetes uns helfen, tapfer die täglichen und ununterbrochenen Opfer unseres Lebens zu bringen. So heiligen wir uns selbst, indem wir am Heil „jeder Kreatur“ mitarbeiten. Für das Offizium, unser Brevier, müssen wir deshalb eine ganz besondere Ehrfurcht und Liebe hegen.

„Um sich in der gehörigen Ehrfurcht und Sammlung zu erhalten, sollen sie sich von Zeit zu Zeit besinnen, welche Ehre und Gnade es für sie ist, hier auf Erden denselben Dienst zu verrichten, den die Engel…“

Beim Beten des Breviers können wir uns vorstellen, wir sagten den ersten Vers und unser Schutzengel den zweiten. Das ist eine löbliche Übung, besonders am Anfang. Denn wenn man sich später an eine ununterbrochene Sammlung gewöhnt hat, geht das wie von selbst.

„Die den lateinischen Text der Tagzeiten verstehen, mögen diese Gabe treu benutzen, um Gott zu gefallen…“

Es ist wertvoll, wenn man das Offizium versteht. Das Kleine Offizium der Seligen Jungfrau setzt sich ganz aus Worten der Hl. Schrift zusammen, die der Hl. Geist eingegeben hat und die wahrhaftig ein verborgenes Manna darstellen. Betet darum euer Brevier mit Andacht und Frömmigkeit. Betet es auch mit Verstand.

Dann findet ihr darin Schätze, Gedanken, die euch in der Katechese, in Vorträgen und Predigten, im Beichtstuhl wie in der Seelenführung helfen werden. Denn wenn ihr die Worte, Gedanken und Tatsachen, die euer Brevier enthält, durch betrachtet, werden sie wirklich zu einem verborgenen Manna, köstlich für Seele und Herz, von den Gläubigen verstanden und geschätzt. Es wird zu einer reichen Quelle für euch wie für die anderen. Es ist ja das Gebet der Kirche, bei dem euch Gott selbst erleuchtet. Betet ihr das Brevier oder das kleine Offizium in dieser Gesinnung, werdet ihr unter euren Füßen Quellen lebendigen Wassers aufsprudeln sehen, Lichtfunken und Liebesflammen schauen. Profitiert man vom Brevier, von den liturgischen Gebeten und der hl. Messe in dieser Weise, gießt der liebe Gott sein Licht in überreichem Maße über die Episteln, Evangelien und Orationen aus. Und diese Erleuchtungen sind sehr nützlich und fruchtbar, weil der Hl. Geist selbst uns durch sie erleuchtet. Und immer, wenn ihr unter dieser Eingebung predigt, wird man euch gern zuhören, selbst wenn ihr nur Kinder vor euch habt oder ungebildete Leute. Das bringt einfach Gnade mit sich.

Die Apostel baten den Herrn: Lehre uns beten. Und er antwortete: So sollt ihr beten. Ein Beweis dafür, dass die Gebetsformel ihren Wert hat, dass sie etwas Besonderes an sich hat, dass sie eine Kraft und eine eigene Gnade birgt. Wer ihre Süßigkeit beim Breviergebet verkostet hat, sollte sie dann auch den anderen mitteilen.

Das Offizium der Seligen Jungfrau ist entzückend schön. Aus ihm könnte man eine ganze Abhandlung über die Mutter des Herrn zusammenstellen. Seht vor allem die Orationen und die so frischen, so reinen und dichterischen Lesungen an: das ist für die Seele eine umfassende jungfräuliche Erziehung.

Beachtet wohl, dass ein Priesterleben nicht bloß einem Studium im Studierkämmerlein bestehen darf. Er muss auch die Seelen studieren, die ihm anvertraut sind. Ja diese sollten beständiger Gegenstand seiner Beschäftigung sein. Er muss sie ja jeden Augenblick zum Himmel hin dirigieren. In all seinen Arbeiten sollte er Stoff suchen, sie zu unterweisen und zu formen. Das Brevier wird ihm da Textstellen liefern, die er sich durch häufiges Wiederholen merken kann. So findet er einen wahren Schatz aus Schrift und Väterlehre, einen reichen Vorrat an tiefen Gedanken und glücklichen Wendungen, die das Wesen unseres Glaubens und die Grundlage unseres ganzen Religionsunterrichtes bilden.

Die Bibel wird von allen gelesen. Bedenkt aber, was ein Bossuet darin zu entdecken wusste. Sicher war er ein großes Genie, aber er gesteht ehrlich, was er der Bibel entnahm, sei nicht von ihm gewesen, sondern von jenem inneren Licht ihm eingegeben worden, dem er bei seiner Lektüre und seinem Schriftstudium Schritt für Schritt folgte… Übrigens ist das Genie des Herzens besser als das des Geistes. Wem letzteres abgeht, dem kann Gott das erste geben, und dieses hat nicht weniger Macht als das andere. Wenn das eine leuchtet, so nährt das andere und bringt Wirkungen hervor.

D.s.b.