Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 23.06.1897: Zwei wichtige Punkte: wann man schweigen soll und wann man sprechen kann

Ich erinnere alle jene, die es angeht, dass man recht auf seine Worte und Ausdrücke und Handlungsweisen achtgeben soll. Ich höre Klagen von Seiten der Eltern der Schüler über gewisse junge Lehrer, ihren Kasernenton noch nicht abgelegt haben, und diesen Wortschatz auch vor ihren Schülern gebrauchen. Sie finden nichts daran, während die Eltern dieser Tatsache große Bedeutung beimessen. Wer sich dieses Fehlers schuldig gemacht hat und das schon seit geraumer Zeit, möge seine Kulp darüber machen. Sonst müsste er öffentlich getadelt und an seinen Fehler auf nachdrücklichere Weise erinnert werden… Gestern kam ein Pater zu mir und beschwerte sich über einen jungen Ordensmann, dessen Oberer er ist, dass er ihm in Gegenwart von Kindern in einem Ton antworte, dass er sich gezwungen sah, den Kindern zu sagen: Geht anderswo spielen! … Das hinderte diese aber nicht, zu hören und zu verstehen, was der Pater ihm gesagt hat. Das ist unerhört in einem wohlgeordneten Haus, wenn einer seinem Oberen auf diese Weise den Marsch bläst… Solch ein schwerer Schnitzer kann nicht geduldet werden.

Möge jedermann diese Hinweise wohl beachten. Leider bringt man vom Militär, zu dem wir verpflichtet sind, solcherlei Ungeniertheiten heim, die einen verheerenden Eindruck machen. Die Kinder wiederholen dieser Ausdrücke vor ihren Müttern und diese erzählen sie ihrem Gatten. Und das genügt, dass alles mögliche Schlechte über die Oblaten erzählt wird. „Derlei Oblaten sind ordinäre, ungezogene und unanständige Menschen…“ Ich glaube, es wäre sehr am Platze, sich hierin zu überwachen. Was aber am meisten beobachtet wurde und skandalisiert, ist der Mangel an Unterwerfung und Gehorsam. Wenn man schon als Ausrede das Militär anführt, sollte man wenigstens dem Oberen nicht in einem Ton antworten, wie man dem Korporal nicht antworten würde…

Verstehen wir wohl: Höflichkeit ist nicht Affektiertheit. Höflich-Sein heißt nicht, sich steif und geschraubt benehmen. Um höflich zu sein, muss man sich aber Mühe geben. Man muss das Opfer seines Geistes bringen, so man einen hat, muss seine Ansichten zum Opfer bringen. Warum tut man das, warum ist man höflich? Etwa, um sich über andere zu erheben, um sich gekünstelt zu benehmen? Nein, bedenkt doch, dass niemand höflicher war als der hl. Franz v. Sales. Er gab von der Höflichkeit eine Definition, die man sich merken muss: Er nennt sie einen Akt der Nächstenliebe, und solch ein Akt habe, wenn er übernatürlich ist, wie es ja alle Handlungen eines Christen sein sollen, vor Gott das gleiche Verdienst wie ein Akt der Gottesliebe. In der Betätigung finden wir somit alles Nötige, um heilig zu werden.

Zweifellos ist es unserer Natur sehr angenehm, frei zu sein. Man hat es gern, sich selber mit der Hand und dem Verstand zu dienen, wie man will und es gefällt. Dem Nächsten entgegenkommen können wir aber nur auf Kosten unserer Bequemlichkeit, unserer Neigungen und persönlichen Ansichten. Es setzt Mut und Glauben voraus. Bischof Dupanloup von Orleans sagte, Höflichkeit finde sich fast nur noch in christlichen Familien wie z.B. in Savoyen, und in den Klöstern. Das ist der beste Beweis, dass Höflichkeit eine Folge der Beobachtung der Gebote Gottes ist.

Wo also Gott in seinen Geboten regiert, wird auch das Gebot der Höflichkeit beachtet.

Ich möchte heute ein Wörtchen über die Maßnahmen sagen, die wir ergreifen wollen, damit auch in unseren Kollegien die hl. Regel beobachtet werde, und die klösterliche Gemeinschaft wieder ein bisschen auflebe. Ich habe gesagt, es sei schwer, dass in den Kollegien (Schule mit Internat) die hl. Regel ebenso vollständig und vollkommen befolgt werde in einer wohlgeordneten Kommunität. Das soll aber durchaus nicht heißen, in den Kollegien solle die hl. Regel nicht so vollkommen wie möglich beobachtet werden.

Ich nehme das Beispiel der Heimsuchung: Gewiss wollten wir keinen Heimsuchungsorden für Männer gründen. Das lag nicht in unserer Absicht. Wir haben aber versucht, denselben Geist, den der hl. Stifter der Heimsuchung eingepflanzt hat, das Wesentliche des Direktoriums und einen Teil der klösterlichen Übungen zu übernehmen. Denn gerade das, was in der Heimsuchung geschieht, reproduziert aufs Genaueste, was der hl. Franz v. Sales selbst geübt hat. Er hat ja seinen Orden auf seiner eigenen Lebensweise, Stunde um Stunde und Minute um Minute aufgebaut. Nun haben aber schon zu seinen Lebzeiten nicht wenige behauptet, er habe einen engen Geist und lasse sich auf zu viele Einzelheiten und Kleinigkeiten ein, die eines Bischofs unwürdig seien… Die hl. Kirche teilt jedoch diese Ansicht nicht und macht ihm diesen Vorwurf nicht. Vielmehr weist sie ihm einen Ehrenplatz zu unter ihren Heiligen und Kirchenlehrern.

Was wir uns also vornehmen ist dasselbe wie das, was der hl. Stifter getan hat. Und da er seinen Geist, seine Methode und Handlungsweise der Heimsuchung hinterlassen hat, müssen wir all das bei der Heimsuchung holen. Wir haben gewiss unsere Satzungen. Diese können aber verschieden interpretiert werden. Wir brauchen eine Tradition, um sie auszulegen und ihren Sinn festzustellen. Das müssen wir bei der Heimsuchung suchen, um es uns anzueignen, die Überlieferung des Lebens des hl. Franz v. Sales, seine Art, die Dinge zu begreifen, zu handeln, zu lehren.

In der Heimsuchung nun wohnen Schwestern, die im Pensionat arbeiten, nicht allen Übungen der Regel jederzeit bei. Sie müssen aber an all jenen teilnehmen, die mit ihrem Amt im Pensionat vereinbar sind. So sollte es auch in unseren Kollegien geschehen. Am Oberen liegt es, zu urteilen und die Übungen zu bestimmen, die jeder einzelne vornehmen und unterlassen soll. Nur so schaffen wir etwas Sicheres und Solides. Nur so haben wir denselben Geist, werden eines Herzens und einer Seele, und leben dasselbe Leben. Man sage mir also nicht mehr, in unseren Kollegien könne die hl. Regel nicht eingehalten werden!

Es scheint, es herrscht eine übertriebene Freizügigkeit im Reden bei uns. Fast jedermann vergisst, dass das Stillschweigen verpflichtend ist. Man redet unnütz darauf los, ob gelegen oder ungelegen, außerhalb der Freizeit und über alles Mögliche. Möge jeder fortan soviel Gewissen haben, außerhalb der Rekreation nicht mehr zu schwätzen, ausgenommen es ist notwendig. Anderenfalls ist es unmöglich, ein Ordensmann zu sein. Außerdem soll man in der Freizeit und auch sonst nicht über Dinge reden, über die wir nicht reden sollen. Die Satzungen verbieten es uns, z.B. über die Leitung des Hauses und des Institutes zu sprechen, über das, was die Oberen oder Mitbrüder tun, in der Absicht sie zu kritisieren. Lest nur nach in den Satzungen, sie sind sehr ausführlich und verbieten sehr viele Themen der Unterhaltung. Tut man es dennoch, so stellt man sich außerhalb der Regel und befindet sich im Widerspruch zu den Satzungen…
Jeder lese sie also wieder durch, diese Satzungen, und erachte es als seine Pflicht, ihren Weisungen zu folgen. Friede, Freude und Glück heften sich an ihre Befolgung. Das kostet Opfer, wird aber himmlisch belohnt. Machen wir uns darum an die Arbeit, liebe Freunde. Wenn wir ungeordnete Unterhaltungen führen, über alles Mögliche reden, geht der Ordensgeist abhanden, bleibt keine Würde, kein Ernst mehr in uns. Dasselbe, was ihr euch herausnehmt, über den und jenen zu sagen, wird ein anderer gleichermaßen über euch reden. Das steht aber im Widerspruch zum klösterlichen Geist, einem christlichen und vernunftgemäßen Leben. Das ist Zerstörung jeder Ordnung und jeglicher Ehrfurcht.

Ich bin verpflichtet, meine Freunde, die Satzungen aufrechtzuerhalten. Die Oberen aller Häuser sind ebenso gehalten, sie zu verteidigen und in ihrem Verantwortungsbereich ausführen zu lassen. In Zukunft soll mir jeder Hausobere mehrmals im Jahr die Liste der Patres zuschicken, die von ihm abhängen und soll jedem Namen eine Bemerkung beifügen, die sein Gewissen ihm eingibt. Und ich sehe es als meine Pflicht an, jene zu tadeln, die sich verfehlt haben, und ich werde dies öffentlich oder unter vier Augen tun. Das soll euch nicht zu streng dünken, es geschieht überall. Es ist das einzige Mittel, eine Kommunität aufzubauen. Sonst sind er nur nebeneinanderlebende Einzelwesen, die sich gegenseitig mehr oder weniger anziehen oder abstoßen ohne jede Gleichförmigkeit. Auf so etwas kann kein Segen Gottes ruhen.

Ganz besonders empfehle ich das Stillschweigen und untersage jede Unterhaltung außerhalb der Weisung der Satzungen. Ich appelliere dabei an die christliche Liebe eines jeden gegenüber unseren Patres. Gewiss kann man sich vergessen. Dann ist es leicht, mit etwas Geist und Herz die Unterhaltung abzurechnen und auf ein anderes Thema zu lenken. Das geschehe mit Höflichkeit und ohne irgendjemand zu beleidigen. Bleiben wir jederzeit innerhalb der Grenzen der Liebe und der guten Erziehung.

Stillschweigen also herrsche immer außerhalb der Freizeit! Unterwerfen wir unser Vorschrift! Man fühlt sich glücklich dabei, wenn man für den lieben Gott ein Opfer gebracht hat. Was erlebten wir sonst schon an Glück? Hat man etwa innige Herzensfreundschaft mit Gott, wenn man seiner Natur nachgibt? Sicher nicht. Gewiss macht man noch einige Übungen mit der Ordensgemeinde mit, begeht auch keine allzu schwere Sünden, doch für das Seelenleben profitiert man nichts. Im anderen Fall aber, wenn ihr euch mutig dem Gesetz unterwerft, und das Gesetz ist hart, wenn ihr einige Opfer für den lieben Gott bringt, so ist es nicht umsonst getan. Gott gibt euch dafür etwas zurück: der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von jedem Wort aus dem Mund Gottes. Dieses Wort Gottes aber, das uns nottut, bekommt der Seele, die es aufnimmt, sehr gut. Vernehmen wir sein Wort aber niemals, dann stehen wir nicht in Verbindung mit Gott und leben ein unbedeutendes, nichtssagendes Leben, ein inhaltsloses Leben. Lasst uns also gut auf die zwei Worte achthaben: Stillschweigen und richtige Redeweise. Möge solch ein grober Mangel an Ehrfurcht vor der Autorität des (General-)Oberen nicht mehr zu beklagen sein! Jeder stehe treu zu seinen Pflichten. Die Gnade Gottes aber komme uns zu Hilfe und stütze uns!

D.s.b.