Kapitel vom 30.01.1895: Katechismus und Predigt
Diese vierte Funktion des Priesters ist der Unterricht in Katechese und Predigt.
Bezüglich des Katechismus sollte man die Kinder den Text des Katechismus Wort für Wort auswendig lernen lassen. Wenn die Kinder ihren Katechismus nicht aufs Wort können, können sie gar nichts und haben von nichts eine klare Vorstellung. Dann heißt es sorgfältig jedes Wort erklären in deutlichen Ausdrücken, indem man sich auf die Intelligenzstufe der Kinder hinab begibt, sodass ihnen kein Zweifel bleibt. Die Kinder begreifen oft weder die Ausdrücke des Katechismus noch unsere Erklärungen, sie behalten vom Gelernten gar nichts. Beweis dafür: Man braucht nicht einmal in den unteren Schichten der Gesellschaft, bei den Arbeitern und Armen zu suchen. Auch bei den Gebildeten begegnen wir solchen, die ihren Katechismus nicht mehr kennen. Fragte mich doch eines Tages ein braver Jurist: „Wenn ich in der Todesstunde keinen Beichtvater auftreiben kann, könnte ich dann nicht auch bei meiner Frau beichten?“
Der Gerichtspräsident von A., der zur Profess einer seiner Schwestern nach Troyes kam, wollte mir unbedingt einen Besuch abstatten. Ich verabschiedete mich schließlich mit der Bemerkung, ich müsse jetzt Katechismus geben. Da brachte er mir drei oder vier Einwände vor, die bewiesen, dass er vom Sinn des Katechismus überhaupt keine Ahnung hatte. Ein anderer Herr, ein sehr tüchtiger Bergwerks-Ingenieur, mit dem ich mich eines Tages unterhielt, sagte mir: „Ich mag nur diesen einen predigen hören, die anderen verstehe ich nicht.“ Warum aber? Dieser Prediger machte nur schöne Worte auf der Kanzel, ohne Tiefe und solide Basis. Die anderen legten gründlich die christliche Lehre dar. Obwohl also aus einer der ersten polytechnischen Schulen hervorgegangen, verstand dieser Mann nichts von den Grundbegriffen des Glaubens.
Den Katechismus, ich bestehe darauf, muss man aufs Wort auswendig lernen lassen, so wie man in der Theologie die Definitionen und die hauptsächlichen Argumente wörtlich beherrschen muss. Es ist dies das einzige Mittel, sich etwas zu merken und es geistig zu besitzen. Sonst weiß man nichts, alles bleibt verworren und unbestimmt.
Wenn die Kinder den großen Katechismus noch nicht lernen können, sollen sie den kleinen studieren. Und reden wir es uns ruhig ein, dass die Kinder oft nicht die einfachsten und gebräuchlichsten Worte verstehen, und leider nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen.
Ein christlicher Plantagenbesitzer aus Amerika war Anhänger der Sklaverei, weil man, wie er mir versicherte, diesen armen Menschen neben der Arbeit auch eine religiöse Unterweisung geben und ihnen so eine Wohltat erweisen könne. Er hielt ihnen Katechesen und sagte mir: „Sie haben einen wenig entwickelten Verstand, und Sie können sich die Mühe nicht vorstellen, die sie einem machen, um ihnen den Katechismus zu erklären. Man muss argwöhnen, dass sie nicht die einfachsten und leichtesten Dinge verstehen. Neulich erklärte ich ihnen den Glaubenssatz von der heiligsten Dreifaltigkeit. Anschließend fragte ich, wer der hl. Geist sei. Der Klügste unter ihnen gab zur Antwort: ‚er ist die schönste der weißen Täubchen des Herrn Plantagenbesitzers…‘“
Man muss den Kindern also jedes Wort des Katechismus auseinanderlegen. Für ältere Menschen könnte diese Methode beleidigend wirken. Da heißt es eben, keine simple Allerweltserklärung zu geben, dabei aber immer im Auge behalten, dass es Ausdrücke gibt, die sehr viele nicht ganz begreifen.
Es ist sicher, dass man ohne Kenntnis der hauptsächlichen Glaubensgeheimnisse nicht selig werden kann. Diese Geheimnisse erheischen eine ganz besondere Sorgfalt und man muss sich auf das Niveau der Kinder herablassen. Ich kenne einen sehr intelligenten Pfarrer, der auch ein tüchtiger Prediger ist. Dieser Pfarrer von M. erteilt seinen Katechismusunterricht in einer Weise, dass seine Kinder nichts verstehen und kein Wort davon behalten. So sollen wir es nicht machen. Der Religionsunterricht muss wie jeder andere Unterricht mit den einfachsten Dingen beginnen. Ein Mittel hierfür sind Bilder, Vergleiche und Geschichten, die die kindliche Phantasie anregen, und so das Verständnis erleichtern. Und immer wieder zum Text des Katechismus zurückkehren! Ein so erteilter Unterricht bringt große Wirkungen hervor. In der Diözese Langres z.B. ist der Glaube deshalb so lebendig, weil der Katechismus dort stets gründlich unterrichtet wurde und wird.
Gehen wir nun zur Prediger über. Damit eine Predigt Frucht bringe, muss der Prediger von seinen Zuhörern gut verstanden werden. Haltet ihr eine rein dogmatische Predigt, könnt ihr von vonherein damit rechnen, dass ihr überhaupt nicht verstanden werdet, es sei denn, es handle sich um einen sehr praktischen Gegenstand wie die Eucharistie. Bei der Predigt müssen sich die Erklärungen stets der Fassungskraft der Zuhörer anpassen. Ein großer Fehler der Prediger unseres Jahrhunderts war es, dass sie auf ihre Zuhörerschaft keine Rücksicht nahmen. Sie sprachen zweifellos gut, richteten sich aber an Menschen, die sogar die Grundwahrheiten unseres Glaubens nicht mehr recht verstanden. Das konnte natürlich keine glücklichen Resultate zeitigen. Wenn unser Herr predigte, verkündete er seine Lehre in Bildern und Gleichnissen und breitete so Licht darüber. Ein Vergleich, ein bildhafter Ausdruck, ein Bild, das die Hörer verstehen, ist ein ausgezeichnetes Unterrichtsmittel.
In den Seminarien wie im Noviziat lässt man Probepredigten halten: man muss sie auswendig lernen. Man hüte sich aber peinlich, diese später vor einem echten Auditorium zu halten. Niemand verstünde etwas davon.
Wie sollen wir also predigen? Zunächst heißt es seinen Gegenstand gründlich studieren, dies niederschreiben, dann sich die Frage stellen: predige ich zu Ordensleuten, zu Priestern oder zu gebildeten Laien, so werde ich sicher verstanden. Wird aber das einfache Volk mich verstehen? – Nein! – Warum nicht? – Weil die schlichten Gläubigen, die Arbeiter, nicht einmal meine Ausdrücke verstehen, da niemand sie ihnen erklärt hat. So beginnt also von neuem mit eurer Arbeit und bemüht euch, das Niedergeschriebene der Fassungskraft aller anzupassen.
Beim letzten Vatikanischen Konzil (1870) sollte auch über das Predigtamt gesprochen werden. Es geschah nicht. Bischof Mermillod sagte, dies sei bedauerlich, hier klaffe eine Lücke wegen des vorzeitigen Abbruchs des Konzils. Er selbst sprach gut, jedermann verstand und schätzte sein Wort, die Priester ebenso wie die einfachen Leute, und zwar gerade deswegen, weil er sich seinem jeweiligen Publikum anzupassen verstand.
Ich wiederhole: man muss seine Predigt, sein Thema gut vorbereiten. Sodann sich an diesen Leitsatz halten, ohne dass man ihn überhaupt merkt, so wie man, nach einem Ausspruch Fenelons, im Körper auch nicht die Gebeine, das Skelett bemerkt. Wir kleiden also unser Thema, unser Gedankengerippe, ein. Womit? Mit Beispielen, Beweisen, Zügen aus dem Leben der Heiligen, ja sogar aus der Profangeschichte.
Gerade die Beispiele versetzen die Menschen in die Möglichkeit, euch zu verstehen. Das ist der Schleier, hinter dem ihr sie die Wahrheit erfassen lehrt. In unserer Epoche spricht alles: Im Senat, im Parlament, auf den öffentlichen Plätzen, überall versucht man sich verständlich zu machen. Lediglich in der Kirche werden die Prediger die meiste Zeit nicht verstanden.
Handelt es sich um eine außerordentliche Predigt, bei Gelegenheit eines Festes z.B., so muss man sein Thema gut auswählen und immer eine Anwendung aufs praktische Leben anschließen. Eines Tages hatte man einen meiner alten Mitschüler eingeladen, in St. Pantaleon (eine schöne alte Kirche in Troyes) eine Predigt zu halten. Er sprach über das Leben des Heiligen, brachte auch etwas aus Geschichte und Moral. Seine Predigt dauerte eine dreiviertel Stunde, man hörte ihm ganz gut zu, aber welchen Nutzen hat man daraus gezogen?
Zusammenfassend sage ich: Für den Katechismusunterricht muss man selber gründlich seinen Katechismus kennen, ihn wörtlich auswendig lernen lassen und jedes Wort erklären. Was die Predigt betrifft, muss man sie sorgfältig vorbereiten, zunächst theologisch. Das ist das Gerippe, die Grundlage. Beherrscht man dann gut den Lehrgehalt, gilt es, dieses Skelett einzukleiden: das ist die Form der Predigt.
Diese Form erfordert viel persönliche Arbeit von Seiten des Predigers. Darum möge jeder sein Heft haben, in das er alle Vorfälle, Berichte und Gedanken einträgt, die ihm auffallen. Ihr lest ein Buch, stoßt auf eine Stelle, auf ein Zitat, das euer Interesse weckt: notiert das auf der Stelle. Oder aber bei der Betrachtung fällt euch ein Gedanke auf. Lasst ihn nicht vorübergehen, sondern schreibt ihn in euer Notizbuch. So verfügt ihr bald über eine Fülle von Notizen, mit denen ihr arbeiten könnt, und sammelt euch einen Schatz neuartiger und ganz persönlicher Ideen. Bedenkt, dass man euch immer dann zuhört und mit Genuss lauscht, wenn ihr etwas sagt, das von euch persönlich stammt, das ihr nirgendwo anders geschöpft, z.B. aus einem Buch abgeschrieben habt. Ihr sollt ja eure eigene Art zu sprechen haben. Dazu braucht ihr aber euer eigenes Material, ein persönliches Rüstzeug, nämlich eure Notizen. Das ist eine Alle-Tage-Arbeit, die keine Ermüdung kennt. Das wird euch aber, das dürft ihr mir glauben, reichen Nutzen einbringen.
D.s.b.
