Kapitel vom 10.10.1894: Der unschätzbare Preis der kleinen Tätigkeiten
Ein neues Schuljahr beginnt. An uns ist es, einen guten Anfang zu setzen, sonst leisten wir nichts Gutes während des ganzen Jahres. Der Anfang wird aber gut sein, wenn wir uns ohne Vorbehalt dem Ordensleben hingeben. Des Morgens fassen wir den guten Vorsatz, nichts gegen die Regel und das Direktorium zu tun. Da möge auch jeder seine Vorbereitung auf den Tag mit Hilfe des Direktoriums vornehmen. Er sehe all seine Beschäftigungen voraus und prüfe sich vor allem unter dem Gesichtspunkt der Liebe. Auch die Niederlagen möge er vorausahnen, die ihm inmitten der Umstände seines Tagewerks zustoßen können. In der gegenwärtigen Stunde erlebt die Welt eine Art Unbehagen, das die Bande der Gesellschaft sowie die Einheit der Familien zerstört. Wir empfinden dieses Unbehagen wie eine verpestete Luft. Schon der hl. Bernhard sagte, es sei notwendig, dass die Herzen der Ordensleute etwas vom Staun des Jahrhunderts auflesen. Heute ist es nicht mehr bloß Staub, es ist Schlamm.
Halten wir uns darum eng ans Direktorium, versehen wir unsere Amtspflichten als gute Ordensleute, als eine Huldigung, die wir Gott darbringen. Wenn wir unser Tagewerk so vorbereiten, werden wir Großes leisten. Wir sind ja auf alles vorbereitet, brauchen nicht mehr zu suchen, was wir tun sollen und was uns zustoßen mag. Wir sind jederzeit bereit.
Die Kirche braucht die Ordensleute. Unser Leben muss darum auf einem soliden Fundament stehen. Der Erfolg einer Armee hängt nicht von der Zahl der Soldaten ab, sondern von jedem Soldaten im Besonderen, von seiner ganzen Art zu handeln. Wenn nicht jeder im gleichen Schritt geht, die Befehle seiner Vorgesetzten nicht achtet, herrscht Unordnung in der Armee. Das gilt aber auch für das Ordensleben. Wenn da nicht jeder die Regel pünktlich befolgt, bringt er Unordnung in die Gemeinschaft, indem er seine Mitbrüder in die Unmöglichkeit versetzt, ihrer Pflicht nachzukommen. Die Heiligkeit eines Ordensmannes besteht ja nicht in großen Opfern, sondern aus einer Vielzahl von kleinen Dingen, die in den Augen der Welt unnütz erscheinen mögen, aber in den Augen Gottes einen unschätzbaren Wert haben. Nehmen wir darum diese kleinen Dinge, die geringsten Einzelheiten der Ordensregel ernst, wenn wir heilig werden wollen.
Machen wir des Morgens eine gute Betrachtung, mit Frömmigkeit und Herz. Lieben wir unsere Regel. Denn was man liebt, tut man gut. Wenn uns dann im Laufe des Tages Kämpfe erwarten, opfern wir sie Gott auf zum Besten jener, die uns anvertraut sind.
Ich erwähne nicht ausdrücklich, dass wir bezüglich gegebener Erlaubnisse ungemein streng gegen uns selbst sein sollen. Seien wir gute Ordensleute oder wenigstens gute Seminaristen. Ich erinnere mich, dass die Seminaristen im Großen Seminar zu Troyes zu meiner Zeit fast ausnahmslos sich darin treu erwiesen, dass sie nichts ohne Erlaubnis taten. Darum sind sie auch alle gute Priester geworden.
Widmen wir uns mit großer Treue den kleinen Dingen: das bildet und formt nachdrücklich den inneren Menschen, nicht weniger aber auch den äußeren. Denn euer Einfluss auf eure Schüler hängt auch von eurer äußeren Haltung ab. Alle Priester hören Beichte und geben Ratschläge: wie kommt es aber, dass manche Ratschläge höher geschätzt und besser befolgt werden, die von bestimmten Priestern kommen und nicht von anderen? Weil alles von der inneren Durchformung eines Menschen, eines Priesters oder Ordensmannes abhängt. Da wohnt eben der Geist Gottes, der Ganzheit und Vollkommenheit mitteilt.
Erbitten wir am Anfang des neuen Schuljahres von der Guten Mutter diese Gnade. Sie sieht uns von der Höhe des Himmels aus zu und segnet uns. Seid darum überzeugt, dass ihr jederzeit erhört werdet, wenn ihr sie darum angeht, den Willen Gottes zu tun. Möge Gott uns alle segnen und uns eine große Treue zur hl. Regel schenken!
D.s.b.
