Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 07.05.1890: Die jährlichen Kapitel

Zu Beginn dieses Kapitels hat unser Vater einem der Patres öffentliche die brüderliche Zurechtweisung erteilt. Dieser hat Tadel und Buße demütig und auf den Knien angenommen. Unser Vater will, dass dieser Punkt der hl. Regel in Zukunft in jedem Hause durchgeführt werde.

„Alle Oblaten werden am 21. November, dem Fest Mariä Opferung, ihre Gelübde erneuern.“

An diesem Tag soll man die priesterlichen Versprechungen, das Taufgelübde sowie die jährlichen oder ewigen Gelübde erneuern. Die jährlichen Gelübde freilich sollen wir – wie oben gesagt – nicht nur für ein Jahr erneuern, sondern (im Herzen) für immer und ewig. Denn wer sich ehrlich Gott hingibt, tut dies nicht nur für ein paar Monate. Die zeitlichen Gelübde darf man nicht für eine unbedeutende Sache ansehen. Stellt euch einen Ordenspriester vor, der seine Gelübde für ein Jahr abgelegt hat. Glaubt ihr etwa, nach diesem Jahr sei er frei und könne tun, was er wolle? Ganz und gar nicht. Die kirchliche Disziplin verfügt folgendes: Verlässt ein Ordenspriester nach Ablauf eines Jahres die Genossenschaft, so ist er suspendiert und kann weder Messe lesen noch sonst irgendeine seelsorgerliche Funktion ausüben, bis ein Bischof sich bereit erklärt, ihn zu übernehmen und ihm die dafür benötigte Vollmacht erteilt. Kein Bischof kann also einem Oblaten, der sie Kongregation verlässt, erlauben, eine priesterliche Funktion vorzunehmen oder die hl. Messe zu lesen, wenn er ihn nicht gleichzeitig unter seine Jurisdiktion und in seine Diözese aufnehmen will.

Ein Priester kann nicht „nullius“, ohne Erwerbstitel sein. Das beweist die Wichtigkeit und den Ernst der zeitlichen Gelübde. Bevor man die Verpflichtung dazu übernimmt, heißt es also gut überlegen und sich alle Mühe geben, ein guter, ja sehr guter Ordensmann zu werden. Am Fest Mariä Opferung lasst uns also mit ganzem Herzen unsere Hingabe und Weihe erneuern, die wir dem lieben Gott einmal gemacht haben: Gott anzuhangen ist mein Glück. In diesem Geist sollen wir die Gelübde erneuern. Nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern in der Tiefe unseres Herzens und Willens sagen wir erneut unser „Ja“ zu den übernommenen Verpflichtungen.

„Jedes Jahr machen sie die vom hl. Franz v. Sales vorgeschriebenen Exerzitien, die wenigstens fünf und höchstens zehn Tage dauern sollen.“

Wer diese Exerzitien nicht mit der Kommunität mitmachen kann, soll sie privat nachholen. Sie dauern 5-10 Tage. Im Allgemeinen genügen fünf Tage. Auf mehr als zehn soll man sie auf keinen Fall ausdehnen. Damit missbillige ich den Brauch jener Orden nicht, die längere Exerzitien haben. Nur ist das nicht die Methode der Oblaten. Lange Exerzitien ermüden den Organismus. Gewiss segnet der liebe Gott Übungen, die man aus Liebe zu ihm auf sich nimmt. Aber die Vernunft rät davon ab. Ich darf hier in voller Freiheit meine Meinung sagen: Lange, überlange Exerzitien rufen gewöhnlich einen heftigen Rückschlag der Natur hervor. Aus Erfahrung weiß ich, dass sie Anlass zu sehr gefährlichen Versuchungen werden können. Der Geist ermüdet, der Wille wird geschwächt, die Gesundheit leidet und der Teufel profitiert. Ich halte nicht viel von derlei Gewaltkuren. Mag ein Kartäuser in seiner Einsiedelei dreißig Tage Exerzitien machen – für ihn sind es nur Tage größerer Treue, ohne dass seine Lebensweise vollständig auf den Kopf gestellt wird. Uns Oblaten, den Priestern ganz allgemein, sowie unseren Beichtkindern, genügen zehn Tage. Ein Tier, das überlastet wird, schlägt aus. Eine allzu straff gespannte Feder schnellt zurück. Fühlt man sich während unserer Exerzitien von 5-10 Tagen abgespannt, dann spreche man mit seinem Beichtvater und erleichtere einig die Last. Nicht als ob wir gar nichts mehr tragen wollten – nein, wir tragen damit nur umso länger und umfassender.

„Während der Exerzitien unterstelle man sich nicht einer fremden Leitung.“

Der Beichtvater, den man für seine Exerzitienbeichte wählt, soll vom Geist des hl. Franz v. Sales erfüllt sein. Unsre Beichte erstreckt sich über das ganze verflossene Jahr, wobei wir uns klar zu werden suchen über unsere Fortschritte und Rückschritte. Diese Rechenschaft soll klar und ehrlich sein und ohne Selbsttäuschung. Nie sollten wir sagen: Bis dahin bin ich gegangen. So weit darf ich noch gehen, ohne das Gebot Gottes zu verletzen, ohne die hl. Regel zu übertreten. Solches Herumdeuteln wäre immer betrüblich. Wir sollen gute und ehrliche Kinder des hl. Franz v. Sales sein. Wenn etwas so war, dann sagen wir: es war so. War es anders, dann gestehen wir es offen. Das gilt vorzüglich von der Beichte. Will man sich selber Sand in die Augen streuen, wird man kein Glück haben. Denn man kann nicht glücklich werden, wenn man sich selber täuscht und seinen Beichtvater hinters Licht führt. „Aber das ist zu demütigend für mich!“ Nun, dann umso besser.  Ahmen wir nicht gewisse Leute nach, die sich selbst zu Verführern werden, ihre Fehler entschuldigen, lange erläutern und auslegen. Den lieben Gott kann man nicht täuschen. Unser hl. Gründer will, dass unsere Beichten kurz, klar, herzlich und vertrauensvoll seien.

Andere gehen zur Beichte wie Gelehrte, die ihre Theologie und den hl. Alfons von Ligouri von Grund auf beherrschen. Sie sind voll von sich, stellen eine Bilanz ihrer Fehler auf, indem sie die Gebote Gottes und der Kirche sowie ihre Standespflichten zerpflücken, erörtern und beurteilen. Das ist nicht unsere Art: Wenn wir zur Beichte gehen, tun wir es nicht als Advokaten, sondern als Ankläger und Büßer. Bitten solche Selbstgerechten bei euch um Aufnahme in den Oblatenorden, dann sagt ihnen: „Geht bitte eine Türe weiter!“

Während dieser Einkehrtage machen wir unsere Betrachtungen so, wie es die Statuen vorschrieben, und stürzen uns nicht in langatmige Betrachtungsstoffe von 15 oder 20 Seiten. Das würde nur den Geist zerstreuen und das Herz ausdörren. Exerzitien sind kein Rahmen für außerordentliche Dinge, weder was die Übungen noch was die Überlegungen betrifft. Sie sollen ganz einfach der Vorbereitung auf das kommende Jahr dienen. Exerzitientage sollen gewöhnlichen Tagen gleichen, nur, dass sie vollkommener und treuer verbracht werden. „Ich will heute tun, was ich auch morgen, übermorgen, ja das ganze Jahr tun will. Darum mache ich es heute gut, damit das ganze Jahr gut wird.“ Das verstehen wir unter Exerzitien. Haltet euch ganz nahe beim lieben Gott auf, meidet die Überanstrengung, und seid treu!

Die Satzungen wollen, dass wir die Exerzitientage auf diese Weise verbringen und verbringen lassen, und die hl. Kirche gibt uns infolgedessen dazu den offiziellen Auftrag.

„Während der Exerzitien unterstellen wir uns keiner fremden Leitung.“

Diese Leitung ist sehr wichtig, damit der Geist unseres Institutes erhalten bleibe. Geht ihr nun zu diesem oder jenem Oblatenpriester, so bleibt sich das im Wesentlichen gleich. Mag der eine diese Art haben, der andere jene, das Ergebnis bleibt das gleiche: sie haben ja denselben Geist.

Sollte es sich aber als unumgänglich erweisen, einen fremden Beichtvater zu bemühen, „dann ist der Obere verpflichtet, jene Priester auszuwählen und vorzuschlagen, deren Geist unserer Art zu leben und zu urteilen am nächsten kommt.“

Da seht ihr, welche Bedeutung die Kirche der Erhaltung unseres Geistes beimisst.

D.s.b.