Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 21.12.1887: Wie vollziehen wir das Gebet?

Unser hl. Stifter gibt uns im Artikel von der Betrachtung die Weise an, die wir selbst anwenden und die wir allen Anfängern der Betrachtung ans legen sollen. Es ist die einfachste und fruchtbarste Methode zu betrachten. Wir nehmen die verschiedenen Handlungen unseres Alltags eine nach der anderen her, sehen sie voraus, um sie bereits am frühen Morgen Gott aufzuopfern und sie so zu heiligen. Welch ausgezeichnete Methode! Unser hl. Stifter hat sie von frühester Jugend an praktiziert, besonders als er Student zu Padua war. Diese Methode eignet sich darum vor allem für junge Leute. Nur muss man dabei diskret vorgehen, denn betrachten ist z.B. nicht modern, und findet kaum das rechte Verständnis. Man kann die Seele nur ganz allmählich dahin führen. Man muss ihnen verständlich machen, dass es ohne inneres Gebet unmöglich ist, sein Heil zu wirken. Wer nie gebetet hat, wie könnte der in den Himmel kommen? Das mündliche Gebet, das viele allein kennen, ist aber nur in Verbindung mit dem inneren Gebet gut. Diese Empfehlung sollte man darum immer wieder von neuem machen. Gleichgültig, wie man sie bezeichnet und unter welcher Form man sie praktizieren lässt, die Betrachtung ist absolut notwendig. Ein Tagewerk, das ohne Gott begonnen wurde, setzt sich auch ohne Gott fort. Macht den Seelen darum die Notwendigkeit der Betrachtung begreiflich. Heutzutage werden die öffentlichen Gebete vernachlässigt und das private Beten ist rar geworden. Unsere Pflicht und unsere Berufung wollen es aber, dass wir nicht nur selber beten, sondern auch die anderen dazu bewegen. Schon im Katechismusunterricht müsste das den Kindern beigebracht werden. Und die Brüder, die kleine „Brüder“ als Gehilfen bekommen, mögen ihnen diese Gedanken eingeben und sie allmählich dahin führen, die Anmutungen des Direktoriums und sich mit Gott zu unterhalten. Merkt euch dies und erforscht euch darüber in euren Gewissenserforschungen.

Soll unsere Betrachtung immer in einer Vorbereitung auf den Tag bestehen? Gewiss nicht!
Vielleicht fühlen wir uns innerlich gezogen, über ein Glaubensgeheimnis nachzudenken. Das wäre eine vortreffliche Art des Betrachtens. Oder an einem Festtag oder Geburtstag (Jahrestag, Jubiläum) möchten wir über dieses Tagesgeheimnis betrachten. Auch das ist lobenswert. Dann bedienen wir uns eben der Gedanken des Evangeliums oder einer guten Lektüre, die wir gemacht haben, oder wir gedenken der Gnaden, die Gott uns erwiesen hat. Wenn wir der Früchte der Feste teilhaft werden wollen, müssen wir zwangsläufig unsere Betrachtung über den Festgedanken machen. Nur so dringen wir in den Geist dieser Gnadentage ein. Machen wir immer unsere Betrachtung auf diese Weise, vor allem an den hohen Feiertagen. Die Adventszeit, in der wir gerade leben, erinnert uns an die 4.000 Jahre, wo Patriarchen und Propheten ihre Sehnsucht hinauf geseufzt haben. Diese Zeitspanne war der Guten Mutter in besonderen Maße teuer: während des Advents schien sie wie verklärt, und sie hielt sich in beständiger Vereinigung mit den Sehnsüchten der hl. Patriarchen und wartete auf Sein Kommen in ihrer Seele. Unser Herr will nämlich in jedem von uns seinen Advent, seine Ankunft begehen. Gewiss hat er es bereits getan, damals, und hat es vornehmlich durch die Einsetzung der hl. Sakramente getan. Aber welchen Vorteil zöge unsere Seele daraus, wenn es kein zweites Kommen des Erlösers in unsere Herzen gäbe auf Grund unserer Treue zur Gnade? Wie viel beklagenswerte Menschen profitieren nicht von den Erleuchtungen des Glaubens, der sie umgibt, weil sie den Heiland nicht in ihre Seelen rufen! Bereiten wir uns darum gründlich mit der ganzen Innigkeit und dem ganzen Eifer unseres Glaubens auf Weihnachten vor!

„Ich empfinde aber nur Überdruss und Widerwillen dagegen…“ Halte dich dann neben der Krippe demütig als der letzte der Priester und Ordensleute auf und warte! Und könntest du nicht einmal zum Ausdruck bringen, dass du da bist, dann denke es wenigstens. Verbringst du so eine halbe Stunde des Leidens und der Wertlosigkeit, umso besser. Sei treu und halte in Schweigen und Niedrigkeit und Nichtigkeit deine Ehrenwache. Das wird dem Herrn sehr gefallen, und er wartet vielleicht nicht einmal bis zum Ende dieses Tages, um es dir hundertfach zu vergelten. Dann hättest du die ganze Betrachtungszeit auf diese Weise zugebracht, so hast du doch große Verdienste erworben für dich wie für die anderen. Und aus deiner Fülle kannst du den anderen abgeben, deinen Schülern und allen, die dir anvertraut sind.

Konntet ihr die Morgenbetrachtung nicht halten, sollt ihr sie durch eine größere Treue tagsüber ersetzen. Könnt ihr gewohnheitsmäßig die Betrachtung nicht mit der Klostergemeinde machen, betrachtet euch dazu den ganzen Tag über verpflichtet und ersetzt sie durch all die kleinen freien Momente, die ihr dem betrachtenden Gebet widmen könnt.

Erinnert euch all der vielen Gnaden im Einzelnen, die euch Gott mitgeteilt hat, denkt an die Liebe, die er euch erwiesen hat, an die Fehler, die ihr begangen habt. Oder betrachtet das Geheimnis Jesu in der Krippe. Erweist Gott euch Freigebigkeit, so profitiert davon. Bleibt ihr trocken wie ein Stück Holz, sagt, wie es ein gewisser Heiliger getan hat: „Herr, da ist Holz. Bitte bringe es zum Brennen!“

Wie die Juden vor der Auferweckung des Lazarus unseren Herrn finden, sagen sie zu ihm: „Marta erwartet Dich.“ Jesus spricht mit Marta, aber Lazarus bleibt tot. Maria sagt nichts und Jesus spricht nicht mit ihr. Sie erreicht aber durch ihre Tränen und ihr Schweigen, dass ihr Bruder auferweckt wird.

Das heißt es gut verstehen: die Macht Gottes ist am Werk, aber sie wirkt auf Grund unserer inneren Würdigkeit. Bereiten wir uns darum gut auf Weihnachten vor, damit das Kommen des Herrn der Kongregation viele Gnadenerweise bringe. Es war vor Weihnachten, dass wir die Gunst der Approbation unserer Ordensregel erhielten. Da wir jetzt einen Teil der Armee der Kirche bilden, einer ihrer Elitekorps sind, müssen wir uns bemühen, ihre Dienstvorschriften gut zu verrichten, wozu wir bestimmt sind.

Rufen wir oft die Gute Mutter an, damit sie uns viel von dem gebe, was sie besaß, besonders jetzt beim Nahen der großen Feierlichkeiten.