Kapitel vom 12.10.1887: Die Rahmenbedingungen im Bezug auf die Schulen.
Wir beginnen ein neues Schuljahr, und wir wollen von vorne beginnen. Unsere Gemeinschaft hat an Zahl zugenommen. Jeder von uns lebe im Geist und in der Regel der Kommunität. Die absolute Voraussetzung unseres Lebens als Gemeinschaft ist, dass derselbe klösterliche Geist in uns allen lebe. Alles, was wir zu leisten haben, fordert dies gebieterisch. Der Erfolg unserer Seelsorgewerke hängt selbst unter dem reinen Gesichtspunkt der Bildung einzig davon ab. Wir müssen einig sein, isoliert schaffen wir nichts. Selbst unter einem simplen menschlichen Gesichtspunkt stellt es eine enorme Kraft dar, wenn sämtliche Glieder einer Gemeinschaft im selben Geist auf dasselbe Ziel hin handeln. Wenn wir in Gemeinschaft lebend dennoch als Einzelwesen arbeiten, erreichen wir weniger hätten wir uns nur als Einzelwesen abgemüht. So kommen wir zu nichts. Der Wille allein ohne Eintracht und Zusammenarbeit zeitigt kein Resultat.
Wir wollen die Regeltreue und das Direktorium halten. Dies Jahr soll das Direktorium Gegenstand unserer Erläuterungen sein. Wir können dies gar nicht tief genug in uns aufnehmen, denn dank diesem Büchlein finden wir die nötige Stütze und Grundlage, den Nackenschlägen, Versuchungen und Ermüdungen zu widerstehen. Heute wollen wir die wesentliche Grundlage für unser klösterliches Leben legen. Jedermann gehe zunächst schon einmal in den Gemeinschaftssaal zur Arbeit. Ausgenommen sind nur jene, die eine Sondererlaubnis wegen ihres Alters, ihrer Gesundheit und der Art ihrer Arbeiten besitzen. Wer also einen der genannten Gründe vorweisen kann, wird davon dispensiert. Diese Anordnung ist ein bisschen hart, aber solange wir nicht genügend eingerichtet sind in unseren Zellen, und vor allem solange wir nicht genügend Zellen zur Verfügung haben und die vorhandenen nicht hinreichend Installation, Heizung und Beleuchtung aufweisen, halten wir uns an die Regelung des Gemeinschaftssaals. Später kann man vielleicht anders verfahren.
Das erfordert von uns ein Opfer. Aber es ist umso verdienstlicher, je mehr es uns kostet. Wir haben ja kein Fasten, Bußübungen und Abtötungen. Hier liegen unsere Abtötungen, im Gemeinschaftssaal: „Ich bin müde und kann mich jetzt nicht mehr gehörig entspannen…“ Ich appelliere an jene, deren Kräfte diese Anstrengungen aushalten, dass sie für die anderen leiden. Wir essen ja auch gemeinsam, wir sollten folglich auch miteinander arbeiten können. Das möchte ich euch gern begreiflich machen. Man muss sich darüber klar sein, was man ist und wes Geistes Kinder wir sind. Wir können gar nicht leben, ohne uns irgendeinen Zwang aufzulegen, das Joch zu spüren und uns der Freiheit zu begeben. Der Tag, wo wir keine Einschränkung mehr spüren und uns vollkommen unabhängig fühlen würden, wäre ein Unglückstag, an dem wir völlig uns selbst ausgeliefert wären. Ich durchschaue diese Wahrheit vollkommen und für mich ist dies absolut wahr. Es ist zwar lächerlich, von sich selber zu reden. Aber vielleicht darf ich doch ein Wörtchen über mich sagen: ich weiß nicht, ob ich mich in meinem Leben mehrere Stunden hintereinander unabhängig gefühlt habe, und ich preise Gott ob dieser Bande, denn wer weiß, was man ohne sie geworden wäre? „Bonum est viro sum portaverit iugum ab adolescentia sua.“ (Anm.: „Es ist gut für den Mann, wenn er von Jugend an sein Joch getragen hat.“). Man ist nur Mensch und Christ und erst recht Ordensmann, solange man sich in Abhängigkeit und Leiden befindet. Ich kann euch nichts anderes predigen. Ich lobe Gott beständig wegen dieses Zwanges, dieser Überlastung und dieser Widerstände, die er mir schickt. Alles, was ich getan habe, verdanke ich diesem Umstand. Es ist das Wesenselement all unserer Werke. Seid zutiefst von dieser Wahrheit durchdrungen, sie sei eure Philosophie. Nehmt es auf euch, alles mit mutigem Herzen zu erdulden: „Tollite, iugum meum super vos et invenietis requiem vestris.“ (Anm.: „Nehmt mein Joch auf euch und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“).
Wenn die äußere Regel euch somit etwas Mühseliges auferlegt, dann tragt es großmütig, vorausgesetzt, es zerstört nicht eure Gesundheit und eure Kräfte!
Unterwerft euch also der Hand Gottes, beugt und fügt euch! Nur auf Grund unserer Geduld stellen wir einen Wert dar und leisten etwas. Ohne das sind wir Nullen. Nur als Ergebene und Unterworfene leisten wir der hl. Kirche Dienste und stellen Gottes Ruhm dar.
Das ist die Lehre der Heiligen und jene des Evangeliums. Dies vorausgesetzt und gut verstanden, wollen wir entschlossen den uns vorgezeichneten Weg gehen.
Sprechen wir von den Studien. Die Lehrpatres sollen, was unsere Studien angeht, strikte unserem Lehrprogramm folgen. Warum spreche ich im Kapitel davon? Weil man im Kapitel von der hl. Regel und den Gelübden spricht, und weil das, was ich hier verlange, die Erfüllung des Gelübdes und des Gehorsams verspricht, somit die Anwendung der hl. Regel. Darum möge man strikte den Lehrplan befolgen ohne Beifügung oder Abstriche. In allen Kollegien der Kongregation herrsche Einheit in den Studien. Ich oder mein Stellvertreter muss sich exakte Rechenschaft ablegen können über jedes unserer Kollegien.
Die Wettkämpfe sollen regelmäßig stattfinden und alle Schüler nehmen daran teil. Unsere Patres mögen die Idee dieser Wettbewerbe zwischen unseren verschiedenen Kollegien bejahen, mögen sich ihr mit ganzem Herzen verschreiben und aus religiösem Geist alle Schüler ihre Kräfte messen lassen.
Treu möge man auch jeden Monat die Prüfungen vornehmen. Setzen wir uns energisch für diese Schulmaßnahmen ein. Dann haben wir dabei Erfolg und ziehen uns göttliche Gnaden zu.
Jedes Kolleg lasse ein Jahrbuch drucken. Auch möge man sich auf dem Laufenden halten über die Disziplin und die Studien. Jeder Lehrer wache über eine gute Disziplin in seiner Klasse und lege ein genaues Notenverzeichnis an. Wir haben die Lasten zu tragen. Die staatlichen Lyzeen kommen trotz ihrer Subventionen nicht auf ihre Kosten und haben darum ihre Preise erhöht. Machen auch wir die materiellen Interessen der Häuser zu unserer persönlichen Sache. Trachten wir, Einnahmequellen zu erschließen, damit wir für die beträchtlichen Auslagen aufkommen können. Wir sind alle Brüder. Mühen wir deshalb uns, unser gemeinsames Eigentum zu bewahren und zu vermehren. Geben wir z.B. Nachhilfe-Unterricht. Das ist sicher eine schwere und mühsame Arbeit. Euer Ordensleben wird aber umso mehr profitieren, je opfermütiger ihr euch da einsetzt. Im Übrigen ist eine beständige Beschäftigung etwas Gutes. Der Teufel gewinnt keine Gewalt über immer beschäftigte Ordensleute.
Unseren Lehrern ist empfohlen, sich gegenseitig in aller Liebe und Einfachheit zu helfen, natürlich mit Erlaubnis. Tut das nicht, weil der betreffende Pater euer Freund ist, tut es vielmehr, weil der betreffende Pater euer Mitbruder ist, und helft darum allen Mitbrüdern ohne Unterschied. Da ist z.B. ein Spaziergang der Schüler zu überwachen. Der dazu eingeteilte Pater ist verhindert und bittet euch um Vertretung, wiederum mit Erlaubnis. Obwohl eine zusätzliche Belastung, tut es in herzlicher Liebe. Begreift meinen Gedanken: Man soll nichts übertreiben, aber alles „in oboedientia charitatis“ (Anm.: „im Gehorsam der Liebe“), in liebendem Gehorsam tun.
Die Oblatenlehrer sollen sich für unvorhergesehene Fälle zur Verfügung des Direktors und des Präfekten für Disziplin halten. Nie sollten wir „Nein“ sagen, sondern uns für alles, was man bittet, zur Verfügung stellen.
Jeden Tag mögen die Aufseher die Aufsichtshefte (Anm.: „So eine Art ‚Klassentagebuch‘, vgl. das Klassentagebuch der Matthäus Runtinger Berufsschule Regensburg“) abliefern. In dieses Heft schreiben die Disziplinarpräfekten eventuelle Änderungen der Hausordnung. Die Aufseher im Studiersaal mögen ihre Betragensnoten in ein Sonderheft schreiben. Desgleichen die Aufseher in den Schlafsälen, in den Freizeiten, bei Spaziergängen.
Ich verbiete es, dass man Schüler während der Klasse oder während der Freizeit vor die Tür setze. Das könnte nicht bloß schwere Disziplinlosigkeiten verursachen, sondern sogar schlimmere Dinge, wie Unsittlichkeiten. Vergessen wir nicht, wie verdorben zurzeit der allgemeine Geist ist. Früher konnte ein Aufseher auf Distanz genügen. Das hat sich aber geändert. Zurzeit beginnt im Elysee-Palast ein Prozess, der bei der Hefe des Volkes, in Bordellen, und in der schlimmsten Sittenlosigkeit enden wird. Und diese Leute stehen an unserer Spitze und geben dem Volk ihr korruptes Beispiel. All das übt doch einen verheerenden Einfluss auf die Leute aus, auf die Jugend vor allem. Die Zeitungen erzählen das im Einzelnen und die Kinder und die jungen Leute lesen es, machen ihre Glossen darüber und machen es nach, und die guten Sitten und der Glaube sind dahin.
Kommen wir jetzt zu den Beziehungen zu den Schülern.
Flößen wir unseren Schülern Ehrfurcht zu ihren Lehrern ein, dass sie sich freihalten vom „Pennälergeist“. Sie sollen ihre Lehrer hochschätzen, wie es in einer idealen Familie Sitte ist. Unter den Lehrern herrsche ein gutes Einvernehmen, die Studienleitung sei eine und dieselbe für alle, alle mögen sich gegenseitig unterstützen, und das zwangsläufige Ergebnis wird Achtung vor der Autorität sein.
Habt ihr eine außerordentliche Erlaubnis zu erbitten, z.B. wegzufahren, so wendet euch zuerst an den Schulleiter des Hauses, bevor ihr den Hausoberen um Erlaubnis angeht. So werden Missverständnisse und Verlegenheiten vermieden. Ihr vermeidet oft dem Schulleiter eine Überraschung, bisweilen sogar eine Unmöglichkeit und eine bedeutende Störung.
Die Bibliothek.
Eine Kollegsbibliothek ist etwas sehr kostbares. Wird sie nicht überwacht, so kann eine Bibliothek von 100.000 Francs (Anm.: „etwa 20.000 Euro“) nach einem Jahr nicht mehr als 5.000 Francs (Anm.: „etwa 800 Euro“) wert sein, so ehrbar ihre Benutzer auch sein mögen. Drei Viertel der Bücher werden nicht zurückgegeben, werden verlegt, die Werke auseinandergerissen und unvollständig gemacht. Was soll das noch wert sein? Nichts mehr! Eine Bibliothek ist äußerst wichtig. P. Lambey ist verantwortlich für die Bibliothek von St. Bernhard, P. Latour ist sein Gehilfe. Die Bibliotheksordnung wird ausgehängt und jeder möge sich daran halten.
Es ist noch unter einem anderen Gesichtspunkt nicht ohne Gefahr, jedermann in eine Bibliothek eindringen zu lassen, in der zwangsläufig Werke sind, die nicht in jedermann Hände gehören. So erging es dem jungen Lamennais (Anm.: „L. lebte von 1782-1854 und war französischer Priester und revolutionärer Philosoph.“) in der Bibliothek seines Onkels. Das „Paradies“ war von der „Hölle“ durch eine Wand getrennt. Das Kind setzte man ins „Paradies“, aber es setzte über die Wand hinweg und verbrachte seine Tage in der „Hölle“. Die Lektüre schlechter Bücher hat den jungen Lamennais verdorben und in sein Herz das Gift geträufelt, das ihn später durch Sittenlosigkeit zugrunde gerichtet hat.
