Kapitel vom 27.10.1886: Der „Weg“ der Guten Mutter.
Das „Leben der Guten Mutter“ erscheint in Kürze. Sicher wird es viel Tadel auslösen. Es war mir aber unmöglich, anders zu schreiben, als ich es getan habe. Natürlich bin ich nicht unfehlbar, aber ich glaubte, dieses Leben so schreiben zu müssen, wie ich es gesehen und verstanden habe. Ich habe nicht ein einziges Wort, keinen einzigen Satz geschrieben, ohne mich in Gedanken und Gebeten mit der Guten Mutter in Verbindung gesetzt und mich gefragt zu haben: Kann ich so schreiben, ist es so richtig? Es würde mich sehr wundern, wenn ich mich getäuscht hätte. Zwischen der Guten Mutter und mir bestand eine große Übereinstimmung des Denkens, Urteilens und der entscheidenden Gedanken, sei es, dass sie mir viel Entgegenkommen erwies, das zu bejahen, was ich sagte, sei es dass alles, was sie mir sagte, dem entsprach, was auch Gott mir innerlich mitteilte. Darum kann ich diese Lebensbeschreibung nur so veröffentlichen, ihre Worte, ihre Gedanken und ihre Handlungen. Das soll nicht heißen, dass ich alle Gedanken erwähnt hätte, die sie empfangen hat, und alle ihre inneren Wege nachgezeichnet hätte. Davor habe ich mich gehütet: ich will ihr Lehrgut nicht dem Urteil der Öffentlichkeit unterwerfen. Meine Absicht war es, Rom eine Grundlage zu liefern, auf die die Ritenkongregation ihr Urteil stützen kann. Ich halte mich nicht für befähigt, das innere Leben der Guten Mutter wiederzugeben, ein Werk der Spiritualität zu verfassen, wie es einige Heimsuchungsklöster gewünscht hätten. Gott wird in der Folge offenbaren, was er mit diesem Lehrgut anfangen will. Würde ich darüber alles sagen, was ich weiß, dann glaube ich nicht, dass die Gute Mutter mir in irgendeiner Frage widersprechen würde. Ich bin aber der Meinung, dass jetzt nicht der rechte Augenblick ist, dies alles der Öffentlichkeit preiszugeben.
Für all das müsste man von allen Seiten abgestützt sein. Es wäre ja so leicht, dies und das an ihren Worten und Ausdrücken auszusetzen. Und dann, in dem, was man über die Gute Mutter behauptet: stammen die angeführten Ausdrücke wirklich von der Guten Mutter? Das Buch, das ich geschrieben habe, ist der Ausdruck ihres Lebens, ihrer Meinung über die Heimsuchung, die Pensionate, das Direktorium. Diese drei Themen können uns darum Schwierigkeiten einbringen bei gewissen Heimsuchungsklöstern. In letzter Zeit wurden mehrere Pensionate geschlossen. Das Direktorium wurde in verschiedenen Klöstern lange Zeit als fast nutzlos angesehen. Als ich zur Heimsuchung von Troyes versetzt wurde, fragte ich die Oberin, was von der Verpflichtung zum Direktorium zu halten sei. Sie antwortete: Viele von uns halten das Direktorium nicht für verpflichtend. Aber Sie, legen Sie nur ein starkes Gewicht darauf!
Einige Heimsuchungsschwestern waren sehr beleidigt über das, was ich über die Schnupftabakdose des P. Regnouf erzählt habe. Das tut mir leid, aber es entspricht der Wahrheit. In Paris wirft man mir vor, ich betreibe Politik: man wollte von der Geschichte von Nanterre nichts hören. Aber wenn jeder von der Wahrheit abschneidet, bleibt schließlich nichts mehr übrig.
Die Heimsuchungsschwestern wollten ein „Leben der Guten Mutter“ nach Art ihrer „Rundbriefe“. Ja, hätte ich für die Heimsuchung alleine geschrieben, einverstanden. Ich möchte aber von allen gelesen werden.
Man macht mir Vorwürfe über das, was ich über die Pensionate geschrieben habe. Vor ihrem Tod hat aber die Gute Mutter zu mir gesagt: Was wird wohl aus dem Pensionat werden? Was sie selbst darauf geantwortet hat, kann ich hier nicht anführen.
Die Heimsuchungsklöster, die sich nicht klar sind über die Notwendigkeit des Direktoriums, sind verletzt über das, was ich zu diesem Thema sage, und das ist zu verstehen.
Dann kommt noch die Affäre mit dem Bischof von Troyes und der römischen Liturgie. Ich habe das nur zart und vorsichtig ausgeführt, ohne jemand zu nahe zu treten, aber dennoch ohne die Tatsachen abzuschwächen- Es besteht kein Zweifel. Dass dies alles viele Beschwerden verursachen wird. Die Gute Mutter ließ ferner nicht zu, dass in der Heimsuchung Exerzitien gepredigt würden, wollte auch nicht, dass man dort eine Menge Beichtväter zulasse. Es gefiel ihr nicht, dass jede Schwester ihren Seelenführer habe. Das ist ein sehr bedeutsamer Punkt in ihrem Leben. Ich führe also nur Tatsachen an, und es war mir nicht möglich, sie zu verschweigen.
Auch in der kirchlichen Öffentlichkeit wird es Oppositionen geben.
Jene, die aufmerksam das Buch durchlesen, werden zweifellos die ganze Tragweite ihrer Lehre und ihrer Gnadenvorzüge feststellen, die der Welt durch die Oblaten und Oblatinnen mitgeteilt werden sollen. Vielleicht wird es bei manchen Kongregationen von Männern und Frauen zu Eifersüchteleien kommen. Gelehrte und Professoren, die Neues suchen, werden bei der Guten Mutter nicht auf ihre Rechnung kommen Die Seelen, auf Aktualitäten und moderne Andachten erpicht, Dinge, die das Herz und die Phantasie aufstacheln, und die zweifellos gut sind, ja sehr gut sein können, die aber dem Charakter der Guten Mutter nicht lagen, werden enttäuscht sein. Der Wesensgrund der Guten Mutter war die Vereinigung unseres Willens mit dem Willen Gottes: das kann, verglichen mit all dem, was sich heute tut, sich etwas merkwürdig ausnehmen. Viele begreifen nicht, wie eine Einheit von solcher Beständigkeit zustande kommen kann, und widersetzen sich. Man hat ihnen einen Balken entgegengehalten, damit sie den Bach überschreiten sollen, und sie haben ihn zu einem Staubrett gemacht, um den Wasserlauf aufzuhalten. Die Orden, die diese Mittel nicht zu ihren Aktionsmitteln zählen, werden erstaunt, vielleicht gekränkt sein.
Die Opposition wird ernst und wissenschaftlich durchdacht und der Lehre der Guten Mutter entgegengesetzt sein. Dabei ist diese Lehre, ich sage es noch einmal, nicht neu, sondern uralt. Es war lange her, dass die erste Oberin zur Guten Mutter sagte, sie verstehe es, in alten Büchern zu lesen. Ich habe bereits gesagt, dass ich mich beim Schreiben dieses Buches immer wieder in ihre Gegenwart versetzt habe und mich durch sie in allem, was ich niederschrieb, verbessern ließ: „Gute Mutter“, so habe ich sehr oft gesagt, „ soll ich das zu Papier bringen?“ Und ich habe es in aller Treue niedergeschrieben.
Stehen wir darum treu zum Geist der Guten Mutter. Er ist so einfach. Mit ihm zusammen werden wir zwar sehr klein sein, aber er macht uns stark und energisch. Wir vergeuden unser Leben nicht in Äußerlichkeiten, in äußerem Glanz. Dieser Geist ist nämlich Gottes, das reale und radikale Heilmittel gegen die modernen Übel, weil er alles heiligt und in allem und an allen Orten schützt.
