Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 04.08.1880: Unsere Gelübde.

Unser Vater nutzte den Umstand, dass wir in größerer Zahl vereinigt waren, um einige Worte an uns zu richten. Zuerst sprach er von der Verpflichtung unserer Ordensgelübde. Die Zeitumstände seien sehr schwierig. Wir müssen uns verstecken, um sie zu beobachten. Von allen Seiten bedrängt, haben wir vielleicht geglaubt, wir könnten es uns leichter machen. Das ist ein Irrtum, eine Versuchung. Die Versuchung ist kein Unglück, wenn man sie ausschlägt. Im Gegenteil, sie verleiht unserem Willen größere Kraft. Diese Versuchung aber wird, wenn man ihr nachgibt, gefährlich, und kann uns zu einer großen Untreue gegenüber Gott führen. Wir haben unsere Gelübde abgelegt. Im äußeren Bereich verpflichten sie uns auf ein Jahr. Im inneren Bereich freilich verpflichten sie uns für immer. Es gibt in Wahrheit eigentlich keine jährlichen Gelübde, sonst wären sie einfache Noviziatsversprechen. Gelübde aber verpflichten uns streng. Beweis dafür ist, dass Rom jetzt kaum mehr davon dispensiert. Wenn die Notwendigkeit dazu zwingt… (Anm.: „hier ist der Text im Original unleserlich.“). Könnt ihr eurem Oberen nicht gehorchen, so gehorcht eurem Beichtvater oder eurem Pfarrer, gehorcht irgendjemand, da ihr das gelobt habt. Wenn Gelübde verpflichten, sind wir vor der Gerechtigkeit Gottes für jede Unterlassung verantwortlich, und wir werden die Konsequenzen dafür zu tragen haben, wenn nicht in der Hölle, so wenigstens im Fegefeuer oder im Himmel. Jawohl, im Himmel. Denn mag es auch im Himmel sein, wir werden dort jedenfalls nicht den Platz einnehmen, den wir sonst bekommen hätten. Denn dort gibt es viele Grade und Wohnungen, und existiert in der menschlichen Gesellschaft eine große Ungleichheit an Posten, so herrscht im Himmel ein noch viel größerer Unterschied zwischen den höheren und niedrigeren Graden.

Haben wir aber keine äußeren Bande mehr, welch anderes Band wird uns dann zur Beobachtung unserer Gelübde anhalten? Es gibt kein anderes als das Band der Liebe. Dieses Band erstreckt sich zuerst auf Gott. Beachtet wohl, die Gottesliebe ist von unerlässlicher Notwendigkeit. Gott muss geliebt werden. Recht wenige lieben ihn wirklich, und selbst diese lieben ihn ungenügend. Das hatte übrigens der Herr für das Ende der Zeiten vorausgesagt: das Erkalten der Liebe in den Herzen einer großen Zahl. Dabei verdient es Gott wirklich, dass wir ihn lieben und dass wir alles aus Liebe zu ihm tun. Würden wir ihn also wahrhaft lieben, könnten wir dann unsere hl. Regel so ohne weiteres vernachlässigen? Wenn zwei Eheleute in gegenseitiger Liebe vereint sind, brechen sie dann etwa diese Einheit, weil eine Schwierigkeit über sie kommt? Hat ein Mensch eine Schuld gemacht, hört diese Schuld dann etwa auf wegen eines Schicksalsschlages? Lieben wir Gott wirklich, dann werden wir nicht die Frage ventilieren, wie lange unsere Verpflichtung währt. Prüfen wir uns darum streng und geben wir zu, dass wir Gott nicht genug lieben. Machen wir uns ernstlich daran, ihn mehr zu lieben. Sagen wir oft zu ihm: Mein Gott, mach dass ich dich liebe! Herr, ich möchte dich mehr lieben! Ich liebe dich nicht genug! Klopfen wir oft an die Tür des Hl. Herzens Jesu und bitten wir ihn, dass wir nie mehr fortgehen.