Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 11.09.1879: Die innere und äußere Haltung.

Unser Vater las uns aus der hl. Regel den Artikel vom inneren und äußeren Verhalten vor. Die Oblaten des hl. Franz v. Sales sollen das lebende Abbild unseres Herrn auf Erden sein. Dieser wollte aber nach der Lehre der Kirchenväter sich äußerlich in nichts von den anderen Menschen unterscheiden. Nichts fiel an ihm auf. Im Übrigen sagt unser hl. Stifter, das äußere Gebaren müsse irgendwie dem Wasser gleichen, das, um gut zu sein, nach nichts besonderem schmecken dürfe. Hat es einen irgendwie gearteten, selbst angenehmen Geschmack, ist es kein gutes Wasser. Überall sollten wir eine Einfachheit, die jeder Künstelei abhold ist, zur Schau tragen. Gehen wir durch die Stadt, so meiden wir einerseits, alles sehen zu wollen, wie andererseits die Augen allzu sehr zu senken. Beobachten wir hier ein bisschen das Verhalten der Soldaten, die fünfzehn Schritt vorausschauen sollen, dann geben wir unserem Körper ein natürliches Aussehen. Zu Hause dürfen wir die Augen ruhig ein bisschen tiefer senken, da wir hier ja nichts zu sehen haben. Ohne jeden Zweifel verleiht Gott jenen, die diese ausgezeichnete Abtötung der Augenlust haben, eine große innere Sammlung.

In unserer Kleidung sollen wir gleichfalls das Zuviel wie das Zuwenig vermeiden: Die Nachlässigkeit wie die Ziererei. Der hl. Augustinus sagt, an der Kleidung unseres Herrn leuchtete die größte Reinlichkeit. In diesem Punkt haben wir uns alle etwas vorzuwerfen.
Achten wir darum darauf, unsere Kleider, Bücher und alles, was uns zum Gebrauch dient, in Sauberkeit und Ordnung zu halten, wie es dem Ordensstand geziemt. Um die Kleidung zu reinigen, gebrauchen wir ein Stück Stoff, das in Wasser getaucht, wenigstens die stärksten Schmutzflecken tilgt.

In unserem Inneren werden wir eine ganz himmlische Unterhaltung pflegen. Dürfen wir unseren Geist bei einem Gedanken aufhalten, der uns zerstreuen kann? Gewiss, wenn wir müde sind und uns dadurch ein wenig entspannen. Doch sollen wir nie Zeit verlieren und den Geist nicht mit nichtigen Gedanken beschweren. Wir sollen vielmehr, bei aller Weite des Geistes, an Gott und an die Dinge des Gehorsams denken.

Diese kleinen Überwindungen ersetzen bei uns den Mangel an strengen leiblichen Bußübungen. Wenn wir Gott am Tag ein Kilo Abtötungen schenken, tun wir es nicht wie Bußorden, die am Morgen bereits ein halbes Kilo übergeben und das gleiche am Abend übergeben. Wir bezahlen in kleinen Mengen und liefern Unze für Unze im Verlauf des Tages dem Herrn für das ab, was wir ihm schulden. Die strengen Bußermönche lassen ihren Magen fasten und verlangen ihm Gesamtbuße ab, um die Perle der Vollkommenheit zu erwerben. Wir im Gegenteil verlangen diese Summe zum Teil von unseren Sinnen, zum Teil von der Phantasie, vor allem aber von unserem Geist und unserem Willen, wohl wissend, dass, wie unser hl. Stifter lehrt, die innere Abtötung des Willens unvergleichlich höher zu werten ist als die äußere. Soll das heißen, wir seien heiligen als die Bußermönche? Nein, und der Beweis, wir brächten gar nicht den Mut auf, wie sie zu handeln. Wir kommen nach ihnen und suchen durch Abtötungen unseres Willens das zu gewinnen, was uns abgeht, um es ihnen gleichzutun.

Unser Vater sagte uns noch, was Schwester Genofeva versichert hatte: was unser hl. Stifter auf Erden getan hat, bilde nur das Vorspiel dessen, was er jetzt im Himmel vollbringt. Man könne sich gar nicht vorstellen, wie hoch Gott durch die kleinen Dinge geehrt werde. Machen wir uns darum an die Übung der kleinen Regelvorschriften, die so großen Wert in den Augen Gottes haben.