Kapitel vom 24.07.1879: Die monatlichen Verpflichtungen.
Unser Vater sprach uns von den monatlichen Verpflichtungen. Der Obere soll jeden Monat die brüderliche Zurechtweisung vornehmen. Dieser Punkt setzt allerdings voraus, dass sich in einer Kommunität bereits mehrere Ordensleute befinden. Darum wurde auch in gewissen neu gegründeten Heimsuchungsklöstern dieser Punkt manchmal auf spätere Zeiten verschoben. Das haben wir ebenfalls getan, könnten es aber demnächst verwirklichen.
Die Regel rät ferner an, der Ordensmann könne Rechenschaft ablegen über seine Fortschritte und Rückschritte in der Erfüllung der hl. Regel und über die Tugenden, die ihm besonders empfohlen sind. Sie fügt gleich hinzu, dieser Punkt sei freiwillig. Der hl. Stuhl hat nämlich jede Verpflichtung dazu mit Rücksicht auf vorgekommene Missstände aufgehoben. Obwohl es also nicht mehr vorgeschrieben ist, sollten wir gleichwohl niemals fürchten, in unserer Rechenschaft allzu offen zu sein. Wir sollten vielmehr in aller Einfachheit sagen, was uns behindert, die Last nennen, von der wir frei zu werden wünschen, und was uns enger mit unserem Oberen verbinden könnte.
Jeden Monat kann ein Oblate zusammen mit dem geistlichen Gefährten, der ihm zur Seite gegeben worden ist, eine geistliche Unterhaltung pflegen. Dieser Dialog erfordert eine gewisse Klugheit und ist nicht zu verwechseln mit der Rechenschaft. Er soll mit viel Herzlichkeit und Nächstenliebe geschehen und soll nicht, wie es auch vorkommt, in einen gegenseitigen Disput ausarten.
Schließlich wird der Oblate allmonatlich die hl. Regel durchlesen und sich die Punkte notieren, in denen er es fehlen ließ. So viel über die monatlichen Pflichten.
Jedes Jahr finden Geistliche Exerzitien statt, wobei man sich für die Übung der Gegenwart Gottes und die Methode nach den Lehren des hl. Stifters richten möge. Die Übung der Gegenwart Gottes ist nämlich kein Akt des Verstandes oder Phantasie, sondern des Willens. Dabei ist es nicht notwendig, sich Gott irgendwie vorzustellen, man hält sich vielmehr in seiner Gegenwart, sobald man darin sein will, bleibt ihm verbunden und tut seinen Willen.
Wir können sehr wohl in jemandes Gegenwart sein, ohne uns seine Züge vorzustellen. Diese Übung ist also kein Gedanke, sondern eine einfache Gegenwart, in welche man sich durch häufige Gute Meinung und die anderen Übungen des Direktoriums versetzt. Haben diese doch kein anderes Ziel, als uns in dieser Gegenwart zu erhalten.
Das hat zur Folge, dass wir vollkommen in der Gegenwart Gottes verharren können, selbst wenn wir eine absorbierende Arbeit zu erledigen haben.
Was die Betrachtung betrifft, so ist sie eine liebende Unterhaltung unserer Seele mit Gott. Wir müssen unterscheiden zwischen der eigentlichen Betrachtung (Anm.: „orasion“), die ein liebevoller Dialog unserer Seele mit Gott über unsere eigenen Angelegenheiten ist, und der Beschauung (Anm.: „contemplation“), eine Unterhaltung mit Gott über die Angelegenheit Gottes, über seine Unendlichkeit, seine Unermesslichkeit, etc.
Es gibt mehrere Methoden, um die eigentliche Betrachtung vorzunehmen. Die erste ist die Vorbereitung auf den Tag in Form eines Zwiegespräches mit Gott. Die zweite denkt nach über die Geheimnisse Gottes, wie es in der Philothea ausgeführt ist. Eine dritte Art zu betrachten, wäre, sich mit Gott auf eine besondere Weise zu unterhalten, wie er es selbst uns eingibt. Unser Vater empfahl uns vor allem die erste Methode, die Vorbereitung auf den Tag. Das ist eine Art Prüfung oder Vorschau, wie es ein Kaufmann tut, der am Morgen überlegt, welche Geschäfte er tagsüber unternehmen will und nun prüft, ob es gut es, dieses Geschäft zu tätigen, wie er aus jenem Unternehmen Profit ziehen kann, etc. Unser Tagewerk soll dann auch wirklich dem Plan entsprechen, den wir in der Morgenbetrachtung festgelegt haben, so dass die Betrachtung des Morgens im Laufe des Tages immer wieder durchscheint. Diese Vorausschau unter den Augen Gottes empfiehlt sich besonders für die Priester, damit ihre Seelsorgewerke von Gott geheiligt und befruchtet werden.
Zu guter Letzt gibt es noch eine Art Betrachtung, die jeder anderen überlegen ist, die Gott unendlich angenehm und der Seele nützlich ist: es ist dies das „innere Gebet der Unmöglichkeit“, wenn sich unsere Seele in Trockenheit und Leid befindet. Halten wir diesen Zustand nicht aus, dann nehmen wir ein Buch zur Hand. Bringen wir aber den Mut auf, darin zu verharren und zu leiden, dann ist das tausendmal besser. Denn das einzige Gute, das uns noch wirklich verbleibt, ist das Leiden. Alles Übrige gehört uns dich nicht. Durch das Leiden allein erwerben wir Verdienste. Der große hl. Vinzenz von Paul blieb eine ganze Stunde in Betrachtung versunken und sagte darüber: Ich höre Gott zu. Wenn er nicht zu mir spricht, verharre ich in Anbetung vor seiner Gerechtigkeit über mir. Der hl. Alfons von Ligouri sagte: „In der Betrachtung breite ich meine Seele ganz vor Gott aus und spreche: ‚Mein Herr, einen Misthaufen breite ich vor dir aus, doch dieser Misthaufen muss von dir erwärmt werden.‘“
Es ist unmöglich, dass eine Seele, die sich so tief vor Gott verdemütigt, und es mit so viel Liebe tut, nicht in kurzer Zeit einen großen Fortschritt macht.
Gehorsam: Während der Woche schärfte uns unser Vater jeden Tag ein, Gott unsere Arbeiten und Mühen für unsere Schüler zu opfern, damit er sie während der großen Ferien beschützt.
