Ansprachen

      

77. Ansprache zur Aufnahme ins Noviziat der Patres Launay und Metendier sowie zur Profess der Patres Braconnay und Gallon am 16.09.1901

Meine lieben Freunde, wenn wir ins Kloster gehen, dann geschieht es, um Seelen für Gott zu retten. Ein anderes Ziel kennen wir nicht. Gewiss geschieht es auch zu unserer persönlichen Heiligung, und diese Absicht hat ihre Wichtigkeit, denn wenn wir keine wahren Ordensleute sind, bilden wir nicht einmal gute Christen heran. Niemand gibt, was er nicht hat: dieses alte Sprichwort gilt besonders für die übernatürlichen Angelegenheiten.

 Die alten Kirchenlehrer sagen wohl: Ob Petrus tauft oder Judas, immer ist es Jesus, der da tauft, da der Wert des Sakramentes nicht vom Wert des Spenders abhängt. Ob es um die Spendung der Absolution geht, der schlechte Priester kann zweifellos ebenso gültig nachlassen wie der heiligste Priester. Aber die sakramentale Gnade kann ja auch noch andere Wirkungen hervorbringen: Welche Ratschläge, welche Beispiele und welche Seelenführung vermag ein schlechter Priester schon zu vermitteln? Welchen Einfluss vermag er auszuüben?

Wir werden also Mönche, um Seelen zu retten. Zu welcher Zeit aber oblag Ordensleuten diese Mission dringender als heute? Man ist entsetzt, wenn man durch die Welt geht und die Seelenverfassung der Menschen betrachtet, ihre Unwissenheit, ihre Gottesferne und manchmal ihren Hass gegen den Gottessohn und sein Werk. Wenn man die gesamte Gesellschaft beobachtet, geleitet in Punkto Erziehung und Unterricht von glaubenslosen und sittenlosen Menschen. Wenn man, wie der königliche Prophet sagt, die Völker, Regierungen und Könige sich verbünden sieht, um das Kommen des Reiches Gottes zu verhindern und seinem Reich das des Teufels entgegenzusetzen.

Ein solcher Anblick muss eurem Herzen einen Stoß versetzen. Den Wunsch, möglichst viele Seelen diesen unheilvollen Einflüssen zu entreißen und dem Erlöser so viele Seelen zuführen, wie ihn verkennen und ihn nicht lieben wollen… Welch großartige und schöne Mission!

Wer soll sie durchführen? Niemand wird es besser können als wir, wenn wir wirkliche Oblaten sind. Und warum das? Weil unsere Methoden, die anderen abgehen, dem großen Bedürfnis der Seelen ganz und gar angepasst sein scheinen…

Ich wünschte sehr, Gott, der hl. Franz v. Sales, und die Gute Mutter würden uns den Durst nach Seelen einflößen. Sagte doch die Gute Mutter, als der Heiland inmitten seiner Kreuzespein ausrief: „Mich dürstet.“ Wie hat ihn doch der Durst gequält und wie gern hätten wir ihm in einer so abscheulichen Pein eine Erleichterung verschafft! Nun, das können wir tatsächlich, indem wir ihm Herzen gewinnen.

Begreifen wir doch diese Wahrheiten! Würden wir den Erlöser lieben, wie er uns liebte, würde unser Herz am seinigen schlagen, in der Betrachtung, in der Kommunion, in der hl. Messe, während unser Frömmigkeitsübungen, inmitten der Leiden und Kreuze, dann würden wir auch in unserem Inneren das Bedürfnis verspüren, ihm einige Tropfen dieser Labung zu bringen…

Aus diesem Grund übergeben wir euch heute dem lieben Gott. Möchte jeder von euch dieses verstehen, die Seelen lieben und Jesus am Kreuz anflehen, ihm etwas von diesem Durst nach Seelen einzuflößen. Macht es euch zur Gewohnheit, in euch diese Gesinnung zu unterhalten.

Diesbezüglich kommt mir eine Erinnerung aus meiner Kindheit. Nach meiner ersten Kommunion wiederholte ich, wenn ich an jemandem vorbeiging, ganz leise in mir: „Mein Gott, nimm diesen da, nimm den dort auch noch! O, könnte ich ihn dir geben!“ Ich möchte mich nicht als Prophet oder Vorbild hinstellen: aber das Gute, das Gott in uns legt, gehört uns ja nichts. Man muss es aber anerkennen, und geschähe es einzig aus dem Grund, auch anderen denselben Wunsch nach dieser Gnade einzuflößen.

Seid glücklich, zu dieser so hohen Aufgabe berufen zu sein. Unter uns gesagt: Wenn ihr im Noviziat aneinander vorbeigeht, sagt doch zu unserem Herrn: „Nimm seine Seele, Herr, für Dich! Möchte er dich doch lieben! …“ Ist das kindisch? Nein, das ist göttlich, denn es sagt alles. Wenn euch irgendeine Aufgabe anvertraut wird, dann sollte es euch ein Bedürfnis sein, Gott all diese Seelen zu schenken,  die in eure Nähe kommen, selbst wenn ihr keine Verantwortung für diese habt. Und wenn ihr dann an einem nicht fernen Tag vor Gott erscheint, und er euer Paket überprüft, was ihr da beibringt, wird ja nicht sehr groß und reichhaltig sein, dann seid ihr jedenfalls sicher, gut aufgenommen zu werden, so ihr von Seelen umgeben seid, die von euch gezehrt haben und die wie die Kinder des Propheten sagen können: Er hat uns genährt, er hat uns mit einem Strahl, der aus seinem Herzen drang, erleuchtet. Bildet euch darum ein reiches Gefolge von Erwählten heran, die durch eure Sorge gerettet wurden. Stellt euch in ihre Mitte und erscheint mit Vertrauen vor dem Throne Gottes!

Im Schutz ihres Klosters scheint es, dass die Gute Mutter nur an sich selbst zu denken hatte. Weit gefehlt! Vom Noviziat an, erklärte sie in ihrem Fribourger Heft, ihre Sendung sei das Apostolat! Sie hat Durst nach Seelen, und um dem „Sitio“ (Anm.: „Mich dürstet.“) des sterbenden Heilandes zu antworten, opfert sie die Schmerzen, Mühen, Kummer und Demütigungen auf, um immer neue Verdienste zu sammeln und eine Seele mehr für den Himmel zu gewinnen. Das gilt auch für uns Oblaten. Wenn wir sie gut verstanden haben, dann machen wir uns zum Echo dieser Lehre in den Seelen, die Gott uns vertraut. Sie werden es spüren und die Kraft und Macht Gottes wird darin wohnen. Was waren die Apostel schon in Punkto Bildung, Stellung und persönlichem Wert? Vor ihrer Berufung durch den Meister waren sie nicht besser als wir. Das bewiesen sie durch ihre Schwächen, ihre Unwissenheit und Torheit… „O stulti, et tardi corde“, rief ihnen der Herr zu, „was seid ihr töricht, schwerfällig und abgestumpft!“

Aus der Gnade des Berufes folgt für uns der Durst nach Seelen. Unsere Ordensprofess ist ja keine bloße Zeremonie, sondern eine heilige, apostolische Salbung, eine, mit der der Herr seine Apostel und Evangelisten geheiligt hat. Bringen wir dem, was uns zu tun aufgetragen wird, Vertrauen entgegen. Geben wir uns ihm ganz und ungeteilt hin, dann wird Gott mit uns sein, und wir werden unsere Rolle verstehen. Wenn wir darüber zu Füßen unseres Kreuzes betrachten, werden wir im Grunde unseres Herzens Jesu Schrei vernehmen: „sitio“ (Anm.: „Mich dürstet.“)…

Darin finden wir Licht, Trost und Erfrischung. Wiederholen wir darum oft diesen Schrei bei der Betrachtung, und der hl. Messe, und Gott wird euch alles geben, um den Durst zu löschen. Gott selbst wird diesen Durst unterhalten und stillen, wird ihn unablässig vermehren und mildern. Das wird das Dürsten der Liebe sein, Fortschritt von Tugend bis ins Unendliche, weil es keine andere Grenze kennt als Gott, den Überfluss, die Fülle und den unerschöpflichen Schatz alles Guten und aller Vollkommenheit. Amen.