Ansprachen

      

19. Ansprache zur Gelübdeablegung der Patres Damon Martin und Siroux.
- gehalten zu St. Bernhard am 03.10.1889 -

Liebe Freunde, das Ordensleben war zu allen Zeiten ein Leben der Großmut und des Opfers.
Zu unserer Zeit aber hat es einen sich noch schärfer abzeichnenden Sinn und Charakter, so wie es uns der Hl. Vater, der Papst (Anm.: 1889 regierte Papst Leo XIII.) gesagt hat: „Ihre Ordensleute müssen großmütig sein bis zum Blutvergießen. Ihr muss bis zum Tod reichen und darf niemals erlahmen.“ Die Umstände, in denen ihr Ordensleute werdet, gleichen stark den Zeiten, meine Freunde, in denen das jüdische Volk nicht wusste, ob es noch für einige Jahre leben werde. Gewiss sagte ihnen der Glaube, Gott lasse sein Erbe nicht untergehen, der Ersehnte der Völker käme zu seiner Stunde, sein Werk zu vollbringen. Jedoch alles ringsum kündete alles ein nahes Ende an. Nicht nur besaß das jüdische Volk keine Nationalität mehr, es war überdies umzingelt von Feinden, und unter seinen eigenen Kindern gab es zehnmal mehr Abtrünnige als Getreue.

Was soll aus diesem Volk werden? Was wird aus den Abraham, Isaak, Jakob, Daniel und allen Propheten gegeben Verheißungen? Das Volk ist zu nichts zu mehr fähig. Die Religion wird verfolgt, man greift die Nation an der Basis an, bei der Erziehung ihrer Kinder. Statt den Priestern Unterricht und Erziehung zu überlassen, baut man „Gymnasien“ und führt die Jugend in die Literatur, Kunst und Gebräuche der fremden Völker ein. Gott wird der Unbekannte, dem Moloch, dem Gott des Sinnenkultes und des Geldes, werden Opfer dargebracht. Ein Teil Israels kniet vor der Astarte nieder, der Göttin der Sidonier. Alles verlässt den wahren Gott.

Ein Jude, einer der vornehmsten des Volks, sieht einen unreinen Altar im Tempel selbst errichtet. Wer soll den Gottesdienst wiederherstellen? Wer soll sich um die Ehre Gottes kümmern? Eine einzige Familie, die Makkabäer. Die Brüder dieser Familie vereinigen ihren Mut und schwören unter sich, die Ehre Gottes zu retten und den Rest Israel zu bewahren. Wer wird sie aber unterstützen in diesem Kampf? Eine Frau wird zu ihnen sprechen: „Mein Sohn, schau auf zum Himmel, die Hoffnungen unserer Väter sind dort aufgeschrieben. Sie haben uns gelehrt, dass wir nichts anderes zu tun haben, als an die Verheißung Gottes zu glauben und notfalls zu sterben, um die Gläubigen zu retten.“

Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Die Situation heute ist dieselbe. Warum hat Gott die ganz kleine Familie der Guten Mutter erwählt, um diese Gefahren zu bekämpfen? Der Vergleich trifft natürlich nicht in allen Punkten zu: Wir sind nicht die einzigen Retter und Erlöser Israels. Auf jeden Fall aber will Gott in diesem Augenblick seiner Kirche eine besondere und wirksame Hilfe zuteilwerden lassen, zu der er uns unter ganz auffallenden Umständen auswählt.

Und die er erwählt, das seid ihr. Warum aber wählt er gerade uns, so schwache und nichtige Werkzeuge? Unsere „Prophetin“, die Gute Mutter Maria Salesia, hat gesagt, die Welt werde nicht durch Wissenschaft und große Talente, noch durch Geld gerettet, auch nicht auf Grund eines hohen Rufes und Ansehens. Sie werde gerettet allein durch den Erlöser. Gott behält sich diese Aktion vor. Die Werkzeuge, denen er sich bedient, sind infolgedessen recht unbedeutend. Er kann Steine vom Weg auflesen und Kinder Abrahams daraus machen. Er haucht über gebleichte und dürre Gebeine seinen Odem hin und gibt ihnen wieder Leben, Bewegung und Aktion. Welch unendliche Gnade aber für uns, dass wir die Blicke des Herrn auf uns gezogen haben! Welch überfließenden Dank müssen wir ihm darbringen für eine so unschätzbare Wohltat! Die hl. Jungfrau hat in der Tat auch für uns ihren wunderbaren Hochgesang angestimmt: Die Demütigen hat er erhört, das Schwache und Verachtenswerte ausgewählt, um solche große und erhabene Dinge zu wirken!

Liebe Freunde, ich wünsche, dass ihr begreift, welcher Heerschar ihr eure Namen beifügt, für wen ihr kämpft, dass ihr die Art des Kampfes begreift, den ihr zu bestehen habt. Erheben wir diesen Abend unsere Herzen zu Gott, denn hier schöpfen wir alles Nötige, um zu verstehen, was uns verlangt wird. Seht, wie die Makkabäer bis zum Tod kämpfen. Von Teilen und Verteilen verstehen sie nichts. Gott, seinen Tempel und sein Gesetz wünschen sie ungeteilt. Selbstvergessen stürmen sie auf diesem Weg voran. Ihre kleine Zahl und Familie wird bald zerstreut, so dass nichts mehr von ihr übrigbleibt, aber durch sie wird Israel der Friede gesichert. Die Verheißungen und Hoffnungen werden ihren Weg fortsetzen, und bald danach wird unser Herr Jesus Christus seine Erscheinung machen auf dieser Erde.

Meine Freunde, betrachtet euch somit als zu einem hohen Kampf berufen. Wie werdet ihr ihn bestehen? Indem ihr ihn entschlossen in Angriff nehmt, den Blick fest auf den Sieg gerichtet, den ihr erringen werdet. Sobald der Sieg aber errungen ist, wird Gott auf der Bildfläche erscheinen und erklären: Ich habe alles bewirkt. Ihr werdet kämpfen, indem ihr euch voll und uneingeschränkt hingebt, euer Direktorium beobachtet, euch in vollem Vertrauen der göttlichen Güte ergebt, denn nur das ist der wahre Kampf, den ihr zu kämpfen habt, und der Sinn des Sieges, den ihr erringen sollt. Im Buch der Makkabäer lese ich, dass ein Teil ihrer Soldaten kämpfen wollte, aber in Stücke gehauen wurde, weil sie außerhalb des Gehorsams gekämpft hatten.

Sie gehörten nicht zu jenen, die dazu ausersehen waren, Israel zu retten. Wir dagegen kämpfen nicht außerhalb des Schlachtfeldes, das uns zugewiesen wurde. Wir brechen nicht einen Kampf vom Zaun ohne Ordnung und Befehl, ohne von oben die Sendung  erhalten zu haben. Wir sollen uns ja mit besonderem Eifer gerade darin treu erweisen, uns zu heiligen vermittels der heiligen Observanzen: Das ist Sinn und Inhalt unseres Lebens. Wenn wir diesem Sinn treu bleiben, gehen wir als Sieger aus unseren Kämpfen hervor.

Wie sehr wünsche ich, ihr möchtet spüren, dass eure so drückende Verantwortung für die Seelen, die ihr zu führen berufen seid, gemildert und vermindert wird, gerade auf Grund dieser Treue zum Gehorsam. Wie sehr auch eure vollkommene Hingabe an Gott in jedem Augenblick in jedem Augenblick des Tages und sogar der Nacht euch auf Grund des Direktoriums mit Gott verbindet, euch die Gedanken und Erleuchtungen Gottes sichert. Wie viel glücklicher macht euch all das, wenn ihr eurem eigenen Willen folgen würdet. Müht euch darum, ein jeder in seinem jeweiligen Amt, diese Anweisung, die ich euch da gebe, zu erfüllen, nämlich innerlich an eurer Seele zu arbeiten, an eurem Willen zu feilen, damit ihr jederzeit freudig und liebend die vom Gehorsam bezeichnet Sache tut. Seid mit Leib und Seele Söhne des Gehorsams, damit ihr so am göttlichen Werk mitarbeitet. Handelt nicht auf eine oberflächliche Weise, sondern legt euer ganzes Ich hinein. Heute gesellt ihr euch, meine Freunde, jenen Patres bei, die bereits im Steinbruch arbeiten. Denkt an sie gleich im Augenblick eurer Opfergabe. Bittet Gott, der euch heute nichts verweigern kann, er möge uns helfen, unsere hl. Gelübde zu halten, so dass wir die Versprechen, die wir am Tag unsrer Profess gemacht haben, auch treu halten.

Als die Gute Mutter Maria Salesia im Begriff war, zu sterben, stand ich am Fußende ihres Bettes. Sie sah mich an und sagte: O wenn Gott nur wollte, wie gern säh ich alles, was da kommen wird, was der Erlöser durch die Oblaten des hl. Franz v. Sales wirken will. Wie schön das wäre, ihr „Weg“! Das wäre, wie wenn Jesus noch einmal über die Erde ginge! Ja, das würde ich gern sehen! Aber was ich noch lieber habe, ist der göttliche Wille. Das waren die letzten Worte der Guten Mutter! Das ist eure Erbschaft, meine Freunde! Ich sage es darum noch einmal: Immer wenn ihr treu seid, wird Gott alles, was ihr unternehmt, mit seinem Schutz umgeben, wird er eure Seelen in der Süßigkeit des Friedens bewahren. Seht nur, wie er die Seelen zu uns ruft, wie die Gläubigen in aller Einfachheit und mit Vertrauen zu uns kommen, weil Gott da ist. Seht nur, wie Gott in die entlegensten und wildesten Länder die Zelte unserer Patres zu pflanzen wusste und wie er ihre Arbeiten gedeihen lässt. Alle sagen: Gott ist mit den Oblaten. Darum schreiben unsere Patres mir unaufhörlich: Schicken Sie uns heilige Mitbrüder, in diesen Ländern kann man nur Heilige brauchen. Liebe Freunde, das ist unser Programm. Gott wird euch in dieser Zeremonie jetzt die Gnade schenken, zu dieser Höhe eurer Berufung zu gelange. Er wird zu diesem Zweck eurem Geist und eurem Herzen spezielle Gnaden zuführen. Sagt ihm deshalb, dass alles, was durch euch geschehen wird, für ihn getan wird. Habt Vertrauen! Bei Gott ist gut sein. Das Haus unseres Vaters ist ein Haus des Friedens, ein Haus, wo das Herz sich wohl fühlt und alle Wünsche befriedigt werden. O, rief der Prophet David aus, wer wird mir Wasser aus der Quelle von Bethlehem geben? Diese gesegnete Quelle wird in Zukunft euer sein, sie wird euren Durst löschen und all eure Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Ihr werdet die Wasser der Gnaden, die immer reichlicher fließen werden, empfangen. Ich gebe euch die Gewissheit dafür, und diese Sicherheit nehme ich aus den Verheißungen Gottes an uns. Ich entnehme sie auch den Herzen derer, die uns vorausgegangen sind. Fragt sie, ob die Verheißungen der Guten Mutter nicht alle wahr sind, ob ihre sämtlichen Worte nicht der Wirklichkeit entsprechen. Jawohl, meine Freunde, ihr werdet glücklicher hier und folglich auch drüben, wenn ihr den Auftrag befolgt, den ich euch auftragen werden, sobald ich eure Gelübde entgegennehme. Opfert Gott euer ungeteiltes Ganzopfer auf. Nehmt nichts von dem zurück, was ihr ihm einmal gegeben habt, dann wird das Band, mit dem ihr euch bindet, euch für immer Heil und Glück bringen.