11. Ansprache am 21.11.1887 (Jährliche Gelübdeerneuerung).
„Ich habe geglaubt und darum spreche ich heute.“ Ich habe geglaubt, und darum komme ich jetzt, dem Herrn zu sagen: Ich gebe mich hin, ich übergebe mich vorbehaltlos an die Sache, an die ich geglaubt habe. Das ist in der Tat die erste Disposition, die wir zu dieser Zeremonie beibringen müssen, meine Freunde. Das ist keine bloße Formalität, sondern ein reeller Akt, ein schwerwiegender Akt, ein Akt, der eine Rückwirkung auf die Seele hat und eine ungemein wichtige Wirkung in den Augen der hl. Kirche ausübt.
Woran habt ihr geglaubt? Als ihr Oblaten wurdet oder darum batet, es zu werden, habt ihr an euren Ordensberuf geglaubt. Eure jetzige Erneuerung (der Gelübde) ist ein hervorragender Glaubensakt. Diese Erneuerung versetzt euch in den Augen der hl. Kirche und des katholischen Glaubens in einen ganz besonderen Zustand, der euch zu Fremdlingen macht inmitten der Welt. Habt ihr doch weder die Gewohnheiten derselben noch auch ihren Geschmack, und ihre Werke vollbringt ihr auch nicht mehr. Ihr habt geglaubt, nicht wahr? Glaubt mit festem, aufrichtigem Glauben an eure Berufung, glaubt an die Vortrefflichkeit der Akte des klösterlichen Lebens, die vor Gott vollkommene Akte sind, da sie in sich alle Vorbedingungen eines ewigen Verdienstes der Versöhnung mit Gott und der Intimität mit ihm einschließen.
Glaubt ihr an den Gehorsam? Er ist wie ein echtes Sakrament, das wunderbare Dinge in der Ordnung der Gnade und oft auch in der Ordnung der Natur wirkt. Herr, vermehre uns den Glauben! Glaubt ihr an die hl. Armut, an die Notwendigkeit einer bedingungslosen Losschälung, die uns in einen Zustand versetzt, wo wir stark, fest und heilig sind und wir uns wahrhaft von den Dingen dieser Welt trennen und von Gott allein leben?
Ihr glaubt gewiss an die allgemeine Keuschheit. Glaubt ihr aber auch an die Keuschheit unseres hl. Stifters, die nicht nur eine negative Tugend darstellt: Eine Abwesenheit der Sünde gegen diese hl. Tugend, vielmehr die Vollkommenheit der Liebe einschließt, die Zartheit der Liebe zu Gott? „Ich glaubte, darum sprach ich.“ Ihr wollt gleich sprechen und die Gelübde erneuern. Glaubt ihr aber auch? Und glaubt ihr an die ganze weite Ausdehnung dieser Lehren?
Glaubt ihr an eure göttliche Sendung? An das, was die Gute Mutter gesagt hat, an ihre Voraussagen, ihre Versprechen, an die Notwendigkeit, die Mittel zu gebrauchen, die sie angegeben hat? Glaubt ihr an ihren Geist, an ihre Gnaden? Wenn ihr glaubt, dann sprecht, sprecht das Wort der Gelübde-Formel. Aber um Himmels Willen, glaubt an das, was ihr da sagt!
O meine Freunde, was der klösterliche Glaube doch ein Gewicht hat! Der Glaube an die Geheimnisse des Glaubens, der Glaube an unseren Herrn! Es steht ja im Evangelium, wie sehr er das Herz unseres Herrn gewann: „Einen so großen Glauben hab ich in Israel nicht gefunden!“ Alle Wunder Jesu waren Belohnungen eines starken Glaubens. Und der klösterliche Glaube entzückt das Herz des Erlösers noch viel mehr. Wenn ihr ohne jede Einschränkung glaubt, dann seid ihr selig! Dann werdet ihr von der göttlichen Allmacht gestützt, eure Schwäche existiert nicht mehr, ihr befindet euch in einer ganz göttlichen Atmosphäre, euer armseliger kleiner Stein wird in einem Felsmassiv verankert, wird auf Beton ruhen und unerschütterlich werden. Ja, er wird allmächtig sein. Hat der Glaube denn nicht Berge versetzt, wie vom hl. Gregor, dem Wundertäter, erzählt wird, dessen Fest wir diese letzten Tage gefeiert haben. Seht den hl. Maurus an, der auf den Wassern dahin schritt, den hl. Frobert, unseren Nachbarn, der einen Mühlstein auf den Schultern trug…
Bittet Gott um diesen starken, tiefen Glauben, den ich auf eure Seelen niedersteigen sehen möchte, den Glauben der Guten Mutter. Der Glaube bildet ihr Wesen, ihre Essenz. Außerhalb dieses Glaubens existiert nichts für sie, glaubte sie nichts und duldete sie nichts. Außerhalb ihrer Gelübde des Gehorsams, der Armut und der Keuschheit. Glaubt ebenso und versprecht!
Noch eine andere Empfindung muss der des Glaubens folgen. Wenn ihr euch prüft, ob ihr von dem Tag an, wo Gott zu euch gesagt hat: Kommt! treu gewesen seid, so fragt euch: Bin ich der Gnade immer gewissenhaft gefolgt? Vom ersten Tag an, wo ihr wie der Jüngling im Evangelium das Wort vernommen habt: Komm und folge mir! fragt euch: Seid ihr immer treu gefolgt? Blieb euer Leben immer rein, eure Hände ohne Besudelung, euer Herz ohne Verirrung, eure Sinne ohne Makel? „Allzu sehr bin ich gedemütigt worden.“ Was mich betrifft, fühle ich gerade dann die tiefste Verdemütigung, wenn ich an diese Untreuen denke. Was habe ich mit all dem angefangen, was Gott mir da in die Hände gelegt hat? Bin ich lange neben dem Weg hergegangen? O Herr, wer kann mich trösten, wer kann mir für die Zukunft bürgen? „Jeder Mensch ist ein Lügner.“ Ist der Mensch nicht schwach und lügnerisch? Wenn ich Böses getan habe, kannst allein Du, Herr, mir verzeihen. Die Erneuerung meiner Gelübde soll mir wie eine zweite Taufe sein.
Aber die Zukunft? Unsere Natur strebt so sehr nach der Sünde, neigt zur Täuschung. Als Kind Adams mache ich mir selber etwas weiß, versuche ich dem Herrn selbst etwas vorzumachen, und das ist der Anfang all jener Winkelzüge des Gewissens, all jener falschen Prinzipien, mit deren Hilfe man versucht, sich hinauszureden. Befreie mich von diesem Laster, von diesen unheilvollen Selbstbeschwichtigungen, ich sei so wie die Wahrheit. Wer vermag rein zu machen, was aus unreinem Samen empfangen ist? Nur Du, oh Herr, vermagst dies. Füge zur Gnade der Verzeihung meiner vergangenen Sünden auch jene der Stärke für die Zukunft! Ich weiß, wer von einer gewissen Höhe herabsinkt, wird schlimmer als vorher. Herr, hilf mir! So sehen die Empfindungen aus, die in diesem Augenblick uns beseelen müssten. Aus diesem Vorrat sollten wir unsere Gelübde erneuern.
Wie sollen wir da zu Werke gehen? „Den Kelch des Heils will ich ergreifen!“ Zum Tabernakel müssen wir gehen! Der Kelch des Heils wird für uns zur Quelle unseres ganzen Lebens, der ganzen Wahrheit. Gestatte Herr, dass wir diesen Kelch in unsere Hände nehmen, dass wir ihn mit ganzem Herzen und ganzer Seele ergreifen: Herr hilf mir! Den Kelch des Heiles will ich ergreifen und anrufen den Namen des Herrn. Das ist unsere Stütze und unser Hoffnungsanker. Soviel, was uns betrifft.
Was wir für die hl. Kirche sein müssen, lässt sich nicht in Kürze sagen. Sagen wir so viel: Wenn wir treu sind, kann die Kirche uns brauchen, uns aussenden, um Großes für das Heil der anderen zu wirken. Wie großartig ist doch unser Seelsorgedienst. Wer von uns, wenn auch erst Novize oder Postulant, hat nicht irgendwie einen Seelsorgedienst zu leisten? Ihr gebt Schulunterricht, habt Aufsicht über kleine Jungen, das ist bereits Seelsorge. Wenn ich heilig seid, teilt ihr ihnen die Gnaden mit, die ihr von Gott empfangen habt. Ihr wirkt auf sie ein im Maße eurer persönlichen Heiligkeit. Geht euch aber die Heiligkeit ab, und seid ihr keine Ordensleute, wie es sein sollte, dann tut ihr lediglich die Arbeit von Tagelöhnern. Der Tagelöhner aber arbeitet für sich. Ihn verachtet unser Herr, wenn er ihn mit dem guten Hirten vergleicht und sagt: Der Tagelöhner kümmert sich nicht um die, die ihm anvertraut sind. Diesem Tagelöhner gleicht ihr und ahmt ihn nach. Schon der geringste Seelsorgedienst enthält also gewaltige Pflichten und verpflichtet euch zur Heiligkeit. Vergessen wir das nicht, damit wir nicht „klingende Schellen“ werden, die nur hohle Töne hervorbringen und kein Herz rühren.
Was soll ich über unsere Novizen im Besonderen sagen? Sie bereiten ihre Zukunft durch ein heiliges Leben vor, bereiten die Zukunft der Kongregation wie der Kirche vor, die viel von ihnen erwarten. Darauf müssen wir immer achten. Ihr ganzes Ordensleben ist nur die Fortsetzung ihres Noviziates, der vielmehr es wird die Krönung des Noviziates sein. Der Novize, der nicht eifrig ist, das Unkraut und die Schmarotzerpflanzen aus seinem Herzen auszurotten, bereitet für die Zukunft eine Missernte vor. Der Novize, der heilig ist, bleibt es auch in seinem Ordensleben. Da legt er das Fundament, den Keim all der Gnaden, die sich eines Tages daraus entwickeln. Begreift diese Wahrheit gut und sammelt eure Herzen. Der Novizenmeister möge ihnen diese Wahrheit verständlich machen: Diese Worte sind Geist und Leben, sie sind verpflichtend, dürfen darum nicht durch andere ersetzt noch verändert werden. Sie sind Wort Gottes. Begreift sie und verwirklicht sie!
Werden nicht den Ordensleuten die Gnaden mitgeteilt, die die Welten retten sollen? Papst Leo XIII. sagte mir, durch die Volksmissionen, die die Ordensleute abhalten, muss die Welt gerettet werden. Was der Ordensmann tut, bringt immer Frucht hervor, wenn er ein guter Ordensmann ist, ob in der Klasse, im Beichtstuhl oder in der Mission, weil unser Herr durch ihn schafft. Ein Oblate, der im Geist seines Ordens lebt und seine göttliche Sendung verwirklichen will, erreicht dies nur durch Treue in jedem Augenblick. Darin liegen eure Stärke und eure Hoffnung.
Erneuert im Angesicht Gottes jetzt das Versprechen, alles zu erfüllen, was wir da besprochen haben. Möge euer Gelöbnis sich stützen auf den Glauben, die Hoffnung und die Aufrichtigkeit. Möge es gründen in der unendlichen Liebe, die wir zu unserem Herrn im Herzen tragen sollen. Und dieses Gelöbnis möge im Himmel selbst niedergeschrieben sein, wie es unser hl. Stifter wünscht, sodass die Erinnerung daran nie mehr erlöschen kann. Und wir alle beten großmütig und freudig auf dem Wege füreinander, bis wir dahin gelangen, wo wir uns alle zusammenfinden werden.
Vergesst nicht unsere Patres in der Ferne. Sie verbinden sich mit uns heute Abend in der Erneuerung ihrer Gelübde. Sie stützen sich auf die Gebete unserer Gemeinschaft. Seien wir ihnen wirkliche Stütze, da ihre schwierige Mission so viel Glauben und Vertrauen fordert. Bilden wir alle nur ein Herz und eine Seele zusammen mit dem Erlöser, heute und allezeit.
Amen.
