Exerzitienvorträge 1896 (September)

      

3. Vortrag: Nochmal die Betrachtung. Die hl. Messe.

Gestern sprach ich zu euch über die Betrachtung und erinnerte euch daran, dass der hl. Stifter im Direktorium sagt, sie sei eine der wichtigsten Übungen des Ordenslebens. Um zu betrachten, muss man es können. Um es zu können, muss man es gelernt haben. Wie soll man nun lernen zu betrachten? Wir besitzen ein ganz einfaches und natürliches Mittel hierfür: Schlagt die entsprechende Seite eures Direktoriums auf und lest nach, was da von der Vorbereitung auf den Tag gesagt ist. So verlieren wir keine Zeit und lernen das Betrachten. Lesen wir diese Seiten ein-, zwei-, zehn-, 20, ja 30 Mal durch, wenn nötig, damit die Ausdrücke fast verankert bleiben in unserem Gedächtnis, damit wir uns der praktischen Mittel erinnern, deren wir uns bedienen sollen, um in der Betrachtung zu Gott zu gelangen.

Und solltet ihr auch bislang treu diese Methode geübt haben, lest dieses Kapitel gleichwohl wieder durch jetzt während der Exerzitien, um euch darüber ganz klar zu werden, was ihr tut oder nicht tut. Das wird für uns alle ein ausgezeichnetes Mittel sein, unsere Seele aufzufrischen, unseren Geis bereitzumachen und unser Vorgehen bei der Betrachtung abzustimmen nach der vom hl. Stifter angezeigten Weise.

Müsst ihr Unterricht erteilen? Nun, dann müsstet ihr einmal lernen, wie man unterrichtet. Müsst ihr Aufsicht führen? Auch das muss gelernt sein. Wollt ihr Betrachtung halten? Dann lernt es zuerst. Macht euch während dieser Einkehrtage mit ganzem Herzen an diese so wichtige Übung!

Was tun, wenn man materiell die Zeit nicht findet zu einer Betrachtung? Eine dringende Pflicht zwingt uns, etwas anderes zu tun, sei es eine Aufsicht während eines Gottesdienstes oder im Omnibus der Externen… Muss man deswegen die Betrachtung vernachlässigen? Ist man verpflichtet, das Unmögliche zu tun, um sie später während des Tages nachzuholen? Nein, denn auch in der Heimsuchung und bei den Kartäusern, selbst bei kontemplativen Orden, also wo die Betrachtung solch eine wichtige Rolle spielt, sogar im zeitlichen Sinn, holt man die Kommunitätsbetrachtung des Morgens nicht nach. Im Allgemeinen würden wir die Zeit, sie nachzuholen, gar nicht finden. Deswegen lassen wir sie aber nicht fahren und vernachlässigen wir sie nicht. Wir machen sie lediglich auf eine andere Weise: Eure Aufsicht ist auch eine Betrachtung, so ihr euch innig an den lieben Gott haltet, und sie wird euch, glaubt es mir, ebenso viel Nutzen bringen wie eine Betrachtung in Ruhe und Sammlung, die ihr an eurem Platz in der Kapelle machen würdet.

Ein unaufschiebbarer Besuch ist zu machen, oder sonst ein Hindernis ruft euch anderswohin. Macht eure Betrachtung dennoch unter diesen zerstreuenden Beschäftigungen. Haltet Geist und Herz bei Gott. Sagt zu ihm: Mein Gott, aus Liebe zu Dir tue ich das. O Gott, führe mich auf den Weg des Lebens! … Dieser Weg findet sich nämlich ebenso gut in dieser Beschäftigung, die die Vorsehung euch schickt, wie in der eigentlichen Betrachtung.

Lasst also nie eure Betrachtung aus! Könnt ihr sie nicht mehr mit der Gemeinschaft machen, macht sie wenigstens während eurer Arbeit, die ihr in diesem Augenblick im Gehorsam zu erledigen habt. Was ich euch da rate, meine Freunde, ist von großer Bedeutung für die Seelenführung. Lehrt die Seelen jeden Morgen so ihre Betrachtung zusammen mit Gott zu machen, welche Beschäftigungen auch immer ihnen ihre Standespflichten auflegen. Noch einmal: Diese Art Betrachtung wird größeren Nutzen einbringen als die, die in äußerer Sammlung gemacht wurde.

Vor allem aber seid treu in der Betrachtung, vernachlässigt sie nicht. Benutzt diese halbe Stunde zu einer großen und absoluten Unterwerfung unter Gott. Bleibt aufs Innigste mit seinem göttlichen Willen verbunden und vereint mit dem Wohlgefallen, seiner Gnade über euch, dann wird euch die ganze Wohltat zuteil, die ihr aus einer Kommunitätsbetrachtung gezogen hättet… Und diese Betrachtung werdet ihr umso sicherer nie verfehlen, weil ihr ja auf diese Weise alle nötige Zeit zur Verfügung habt, euere sonstigen Arbeiten zu verrichten.

Während der Exerzitien seine Betrachtungen nachholen, lässt sich ohne Weiteres machen. Doch selbst in diesem Fall sähe ich es lieber, wenn ihr euch auf die eben empfohlene Weise verhalten würdet. Damit ehrt ihr Gott im Geist und in der Wahrheit: Im Geist, weil ihr mit ihm verbunden seid, und in der Wahrheit, weil ihr die Übung verrichtet und in dem und dem Augenblick verrichten sollt.

Sagt das den Gläubigen, die ihr beichthört und führt. Sollte einer von euch berufen sein, Priester zu leiten und Priester-Exerzitien zu predigen, lehrt sie diese Methode. Damit erweist ihr den Priestern einen großen Dienst. Im Großen Seminar hat man ihnen nicht genau dieses beigebracht… Damit will ich die andere Methode nicht tadeln, sie lässt sich aber nicht überall leicht durchführen… Die übliche Betrachtungsweise ist überdies nicht leicht. Ich habe zu meinen Lebzeiten nur einen einzigen Priester gekannt, der sie weiterhin so praktizierte, wie man ihn einst gelehrt hatte, und er bestätigte mir, welche Schwierigkeiten ihm das bereitete… „Sie tun sehr unrecht sich selber so zu quälen“, habe ich ihm geantwortet… Und ich erklärte ihm unsere Methode. Das war vor zwanzig Jahren. Und seitdem, so oft er mir schreibt, sagt er, er habe den Leidensweg von damals verlassen, und ich hätte ihn von den Galeeren befreit. Ich tadele also nicht die Praxis der Seminaristen. Es ist gut, die künftigen Priester in der Übung der Betrachtung, der tiefen Reflexion über ein gegebenes Thema zu formen. Aber es wäre gut, sie auch in eine andere Methode einzuführen.

Nach der Betrachtung folgt die hl. Messe.

Man wohnt ihr bei oder liest sie selbst. Das Direktorium gibt uns die Gedanken einer guten Vorbereitung an die Hand. Fünf oder sechs Minuten genügen für die unmittelbare Vorbereitung, da wir von der Betrachtung kommen, die die beste Vorbereitung auf die hl. Messe ist.

Da gilt es, gut gesammelt zu bleiben, man vertritt ja den Herrn selbst und erfüllt göttliche Funktionen. Im Grund der Seele heißt es da, die Gesinnung der Handlung zu bewahren, die man vornehmen will. Darum erfüllen wir die Rubriken gewissenhaft und beten andächtig die Gebete beim Ankleiden der Gewänder. Zum Altar gehen wir nicht schlampig angezogen und in unbeholfener Haltung… Das erbaut die Gläubigen nicht, sondern verdrießt sie. Die hl. Zeremonie machen wir gut, vor allem das hl. Kreuzzeichen, bei dem wir den Eindruck vermeiden wollen, wir würden Fliegen verscheuchen. Das nimmt uns nicht mehr Zeit weg als wenn wir es nachlässig machen.
Die Folge von all dem: Wir bauen unsere Gemeinde auf. Lesen wir die Messe nicht zu lang und nicht zu kurz: 25 oder 26 Minuten genügen. Weniger Zeit würd skandalisieren. 20 Minuten sind zu wenig, sogar für eine Totenmesse. Die Gläubigen würden den Eindruck haben, und das mit Recht, wir gingen mit den hl. Geheimnissen leichtsinnig um. Wir wissen doch so erhabene Worte über das hl. Messopfer zu sagen. Wir würden uns sonst ja Lügen strafen und selber diese schönen Wahrheiten nicht zu glauben scheinen. Sprechen wir die Worte deutlich aus, ohne freilich zu schreien, sondern „recto tono“ (Anm.: „gutem Ton“), also in einem natürlichen und nicht schwärmerischen Tonfall. Manche gute und vortreffliche Priester beten mit schmachtender Stimme und mit übertriebener Frömmigkeit. Das lassen wir besser sein. Weder Auffallendes beim Beginn noch beim Abschluss der Gebete. Drehen wir uns zum „Dominus vobiscum“ einfach um und machen wir keine Schwenkung wie eine Truppe, die im Hof eines Kinderspielplatzes eine Schwenkung vornimmt… Bleiben wir immer ernst und würdig.

Sollen wir bei der hl. Messe sämtliche Gedanken des Direktoriums gebrauchen? Der hl. Stifter war zwar nicht skrupulös, hatte aber einen etwas schweren Körper bei lebhaftem Geist. Darum suchte er jederzeit seinen Geist beschäftigt zu halten. Müssen wir also uneingeschränkt alles erfüllen, was er sich selber auferlegte? Hier erlaube ich mir, ihm ein bisschen, wenn auch ganz ehrfürchtig, zu widersprechen, oder wenigstens niemand zu verpflichten, Wort für Wort das zu tun, was er sich in seiner Priesterjugend unterwerfen hat. Es ist besser, unseren Geist mit den Worten und Handlung der hl. Messe selbst zu beschäftigen. Ich füge jedoch gleich hinzu: Hast du es mit Zerstreuungen zu tun, dann nimm gleich die Gedanken des hl. Stifters, damit du den Zerstreuungen nicht erliegst… Besser ist es freilich, wenn Gott uns die Gnade erteilt, uns mit den Gedanken der hl. Kirche und mit Jesus zu vereinigen. Mögen diese Gedanken euch bis in den Grund der Seele dringen. Sie bilden ja das Entzücken der Engel des Himmels wie der Seelen des Fegefeuers.

Der hl. Bernard las die Messe in St. Paul-Trois-Fontaines zu Rom. Nach der hl. Messe hörte man im ganzen Konvent Freudengesänge. Man erzählte dies dem hl. Bernard, der die Antwort gab: „Ihr wisst nicht, dass ich die hl. Messe für die Verstorbenen des Klosters gelesen habe. Mehrere Seelen wurden daraufhin aus dem Fegefeuer befreit, und diese bringen jetzt ihre Freude darüber zum Ausdruck.“

Die hl. Messe ist nämlich allmächtig, um den armen Seelen Rettung zu bringen und im Himmel Freude darüber zu verbreiten. Denn die Seelen der Gerechten freuen sich über die Befreiung ihrer Brüder. Der hl. Johannes Chrysostomos sagt, ich glaube in seinem Traktat über das Priestertum, Gott habe ihm die Gnade verliehen, die Engel ihnen gestatte, den hl. Geheimnissen beizuwohnen… Freut darum eure Gedanken und Herzen gut auf die Worte und Handlungen der hl. Messe zurück. Die hl. Mutter Chantal fragte eines Tages den hl. Stifter, ob er mitunter während der hl. Messe Zerstreuungen habe. Er antwortete: Gott hat mir die Gnade gewährt, nie andere Gedanken als die seiner Liebe zu haben, sobald ich das Gesicht zum Altar gewendet habe.

Macht also die Methode, wie ihr die hl. Messe feiert, zu einer Herzensangelegenheit. Hört auf das, was euer Herz euch eingibt, dann feiert ihr das Messopfer auf eine Weise, die erbaut.

In Villeneuve-au Chateau habe ich eine Kapelle fertiggebaut, die dem hl. Josef geweiht ist. Der hochwürdigste Herr Cardet hat sie begonnen, konnte sie aber nicht vollenden. Ich habe diesen Priester die hl. Messe feiern sehen: Es gab da etwas, was durchs Herz ging. Wie machte er das, dass er so gut Messe las? Ich weiß es nicht. Es gibt Dinge, die sich nicht erklären lassen… Als der Herr mir in der Heimsuchung erschien, macht der Anblick seines Antlitzes gewiss solch einen Eindruck auf mich, dass man es nicht schildern kann. Dennoch kamen mir dabei auch noch andere Gedanken: So betrachtete ich eine Falte seines Mantels, eine Falte wie alle anderen Falten… Aber es lag etwas Hinreißendes darin, dass ich zu mir selber sagt: Wäre ich im Himmel, so würde ich nur um das eine bitten, dass ich diese Falte seines Mantels betrachten dürfte. Das brächte mir die ganze Ewigkeit hindurch Seligkeit! Bei der hl. Messe liegt etwas Ähnliches vor: Wir stehen da vor unserem Herrn. Betrachten wir doch da auch nur die Falte seines Mantels. Sie genügt, um uns zu beeindrucken und zu entzücken…

Lest die hl. Messe gut! Bringt die erhabensten Gesinnungen dazu mit und fallt nicht auf durch irgendwelche Sonderlichkeiten. Nach der hl. Messe gehen wir zur Sakristei zurück und legen ehrfürchtig die hl. Gewänder an. Sorgen wir dafür, dass das Messgewand keine Falten macht, legt den Manipel quer darüber, immer auf die gleiche Seite, die Stola gekreuzt darüber, das Zingulum zwei- oder dreimal gefaltet. Hängen wir die Albe an den Nagel oder legen wir sie so, dass sie nicht zerknittert wird. Tun wir das alles stets auf dieselbe Weise, damit der nachfolgende Zelebrant alles in Ordnung findet und sich leicht ankleiden kann. Auch halten die mit Sorgfalt behandelten Messgewänder länger. In der Heimsuchung gibt es Gewänder, die seit siebzig Jahren da sind und noch sauber sind. Das kommt sicher von der Sorgfalt der Sakristeischwestern, doch zweifellos auch vom guten Willen derer, die sich ihrer bedienen… Auf diese Weise gibt es keine zerknitterte Kasel, die verkehrt daliegt, und im Rücken einen Buckel macht, sondern man ist anständig und geziemend gekleidet.

Ich bestehe auf all diesen Kleinigkeiten, weil sie von Bedeutung sind. Ein Priester, der die hl. Messe in geziemender liturgischer Weise liest, sich gerade hält und seinen Dienst mit ganzem Herzen versieht, wirkt viel Gutes in den Seelen. Man spricht heutzutage viel Hypnotismus und entdeckt in der Natur wahrhaftige Geheimnisse… Mitunter führt eine Winzigkeit, die ganz kleine Entdeckung eines Gelehrten in seinem chemischen Labor aufgrund solcher Naturgeheimnisse zu unerwarteten und beträchtlichen Folgen. Auch in den hl. Dingen führen kleine Übungen mitunter zu außerordentlichen Resultaten und unerwarteten Erfolgen. Das gilt auch für die hl. Messe.

Wir wollen sie darum immer geziemend und ehrfurchtsvoll feiern. Unsere Gedanken und Worte sollten ganz eng mit unseren Handlungen verbunden sein, dann wird die hl. Messe uns tief durchdringen und sich mit uns identifizieren. Dann können wir in Wahrheit sagen: „Hoc est enim corpus meum.“ (Anm.: „Das ist mein Leib.“). Wir sind dann genau das Abbild unseres Herrn. Wir nehmen seinen Platz ein, Gott wie den Gläubigen gegenüber, die zur hl. Messe kommen. Wir vermitteln dann sozusagen den Eindruck der wirklichen Gegenwart der hl. Eucharistie.