4. Vortrag: Arbeiter sein.
In der Kirche Gottes kommt jeder Orden, jede Kongregation zu der bestimmten Zeit an. Franz v. Assisi und Dominikus liefern dem späten Heidentum die letzten Schlachten. Sie bemühten sich, einer noch halb heidnischen Gesellschaft die Sitten zu reformieren. In vielen Gegenden kannte man trotz eines oberflächlichen Christentums kaum noch die Liebe Gottes, noch die Notwendigkeit, das göttliche Gesetz zu beobachten. Man verkannte und missachtete es und lebte nur den Genuss der irdischen Güter. Später traten andere Orden auf und jeder erschien zu seiner Zeit. Die Jesuiten wurden von der Vorsehung dem Protestantismus entgegen gestellt. Ich weiß wohl, dass es lächerlich wäre, zu behaupten, wir seien ebenfalls zu unserer Zeit gekommen, so wie die großen Orden, und würden uns so Wichtigkeit beimessen, die uns nicht zukommt. Jedermann betrachtet uns als einen der hundert kleinen Institute, die in den letzten Zeiten aufgesprosst sind und deren Vielzahl unsere religiösen Bedürfnisse bezeugt. Sämtliche Kongregationen haben fast das gleiche Ziel, den gleichen Charakter. Da wir auch dazugehören, machen wir einmal den Eindruck, als wollten wir uns etwas vormachen und uns ein bisschen über die anderen erheben, indem wir uns eine besondere Sendung beilegen… Und dennoch, meine Freunde, wenn das, was die Gute Mutter gesagt hat, wahr ist, und ich glaube felsenfest daran, die Oblaten des hl. Franz v. Sales sind berufen, in der Welt und der Kirche was zu wirken. Sie haben eine Mission empfangen, die den Bedürfnissen unserer Epoche Antwort gibt.
Was bewegt die Welt zur gegenwärtigen Stunde? Was bereitet sich vor in der Gesellschaft? Worum sorgt man sich allgemein? Welches ist das Losungswort, dem man gehorcht? Das ist nicht mehr wie zur Zeit der Kreuzzüge, wo jedermann in den Kampf ziehen wollte, um das Grab des Herrn heimzuholen. Es ist auch nicht mehr die Zeit der großen Irrlehren, wo jeder über die Glaubenssätze debattierte. Man hat heutzutage nur noch Gedanken über die Organisation der Arbeit und der Arbeiter. Darin müssen wir eine Fügung der göttlichen Vorsehung erkennen. Wohin führen all die Erschütterungen, Forderungen, Streike, Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und Versuche von Wirtschaftslenkung? Wir wissen es nicht, Gott allein weiß es. Was aber sicher ist: das Element der Arbeit nimmt jeden Tag eine größere Macht und Stärke an. Es schließt sich eine mehr und mehr wachsende Zahl von Arbeitern zusammen. Die Macht der Arbeiterpartei verdoppelt und verdreifacht sich von Tag zu Tag. Die große Frage sind heute nicht mehr die Protestanten, nicht mehr dieser oder jener Punkt der christlichen Zivilisation, sondern die Arbeit und ihre Organisation.
Ich glaube, und ich diesem Punkt nicht, dass es der Gedanke der Guten Mutter war, dass die Oblaten, die in diesem Augenblick gegründet wurden, in dieser Hinsicht aktiv werden müssen, und in der Frage der Arbeit und der Arbeiter eine Rolle zu spielen haben. Sie sollen einen heilsamen Einfluss ausüben durch ihr Handeln. Welcher Art soll nun dieser Einfluss sein? Welcher Aktion sollen sie sich verschreiben? Gott weiß es. Wir wissen aber doch so viel, dass wir, um in Berührung mit unserer Epoche zu sein und der Kirche in unseren Tagen nützliche Dienste leisten zu können, mit den Arbeitern Kontakt halten und selber Arbeiter werden müssen. Um Arbeiter zu werden, muss man ein Handwerk lernen. Um Schreiner zu werden, macht man eine Lehre in einer Schreinerei. Um Schlosser zu werden, geht man in eine Schlosserei. Um Juwelier oder Goldschmied zu werden, macht man seine Lehre beim Juwelier oder Goldschmied durch. So müssen auch wir uns im Arbeiten einüben, und das sogar im körperlichen Arbeiten, wenn die Umstände es ergeben und Gott und der Gehorsam uns rufen.
Die Oblaten sind, wie ich eben schon sagte, für eine wichtige Mission auf dem Gebiet der Arbeit bestimmt, um den Arbeitern nahe zu sein und einen heilsamen Einfluss auf sie auszuüben. Denn nichts flößt mehr Vertrauen ein als das Beispiel der eigenen Arbeit. Als der Bischof vom Kap dem Hl. Vater schrieb, er möge uns eine Mission mit dem Charakter einer Apostolischen Präfektur anvertrauen, führte er als hauptsächliches Argument an, dass die Oblaten des hl. Franz v. Sales nicht nur Männer des Gebetes und des Predigtwortes seien, sondern auch Arbeiter, die die Erde bebauen, Häuser bauen und den armen Eingeborenen durch ihr Beispiel beibringen, das gleiche zu tun. So nähmen sie ihnen die Gewohnheit der Trägheit und des Sichgehenlassens.
Als Hugo de Payns im 13. Jahrhundert den Orden der Templer gründete, legten die Ritter die Hand auf ihr Schwert und schworen, Soldaten Christi zu sein. Wir Oblaten wollen ebenso großmütig die Hand an die Arbeit legen. Betrachten wir näher, an welche.
Es gibt in der Welt draußen, wie ich schon sagte, verschiedene Entwicklungsstufen, Bewegungen und Wellen, die geleitet und gemeistert werden wollen. Mehrere Male habe ich mich darüber mit dem früheren Nuntius Czacki, heute Kardinal, unterhalten. Ich suchte ihn öfters in Paris und Rom auf. Dieser sagte, heutzutage müsse die Kirche zum Volk gehen, sie müsse die Kirche zum Volk gehen, sie müsse notfalls mit beiden Füßen in den Schmutz der Straße springen, auch wenn sie dabei bekleckert wird, damit sie das arme Volk erreicht und packt. Sie selbst müsse sich an die Spitze der Bewegung setzen, um uns zu führen… Das ist also keine läppische Anmaßung meinerseits, wenn ich das vorschlage. Dem Gedanken kommt vielmehr eine kapitale Bedeutung zu. Alle Philosophen und Geschichtsgelehrten stellen solche Entwicklungsphasen und Evolutionen fest. Und heute konzentriert sich diese Entwicklung eben im Punkte der Arbeit. Will die Welt sich also von ihren Übeln befreien, muss sie es in der von Gott etablierten Ordnung durch die Arbeit tun. Wenn heilsame und tiefgehende Ereignisse sich vollziehen sollen, wird es die Macht der Arbeit sein, die sie verwirklicht, die Aktion der Arbeiter.
Müssen wir dazu in einen Klub von Arbeitern eintreten und dort große Reden schwingen? Damit würden wir reichlich wenig erreichen. Wir müssen vielmehr eigenhändig uns an die Arbeit machen: Das ist als erstes und wichtigstes tun. Kardinal Czacki sagte: „Ihre Ordensleute sollten Arbeiter sein. Wenn nötig, sollen sie eine Arbeitsbluse überstreifen und ihre Soutane ablegen. Für die hl. Messe werden sie sie wieder anziehen, um sie nachher wieder mit dem Arbeitskittel zu vertauschen: Das wird sehr schön und gut sein.“ Im gegenwärtigen Augenblick, meine Freunde, ist die Existenz der Arbeiter hart. Darum muss der Priester und Ordensmann brüderlich ihre Mühe und Pein teilen.
Von diesen Gedanken wollen wir uns erfüllen lassen und auch von der materiellen Arbeit zurückschrecken, wenn sie sich anbietet. Das wird nichts Außerordentliches und Ausgefallenes sein. Unser Beruf wird dadurch nicht erschüttert werden. Wir bleiben so vielmehr in der Übung der Armut und Demut, und der kann sicher sein, sich so zu heiligen. War die erste Gemeinschaft des beginnenden Christentums nicht die hl. Familie von Nazareth, wo jeder zum Lebensunterhalt Handarbeit betrieb?
Wir müssen also alle arbeiten. Welche Art von Arbeit? Machen wir uns, wie gesagt, an die Handarbeit, wenn sich die Gelegenheit anbietet, und die Armut, der Wunsch, der Kommunität zu nützen, die Umstände, der Gehorsam und die Gesundheit es dann und wann verlangen. Die gewöhnliche und hauptsächliche Arbeit für uns Priester, die wir den Auftrag haben zu predigen, beichtzuhören, Seelen zu führen, zu lehren… Wird zwangsläufig die geistige Arbeit bilden, das Studium, das mühsamer ist als die körperliche Arbeit.
Ein Geistlicher und Ordensmann, der zur Seelsorge verpflichtet ist, muss seine Theologie kennen: Sie muss er lernen. Darum haben wir beschlossen, dass jeder Ordensmann wenigstens drei Stunden wöchentlich an der Theologie arbeiten muss. Das ist eine Entscheidung des Generalkapitels, die Gesetzeskraft hat. Jeder wird seinen Fragebogen mit einem Heft der Theologie bekommen, in das er die Antworten auf die gestellten Fragen schreibt. Wieviel, auf welche Weise? Das Prüfungskomitee, das P. Lambert leitet, wird es euch sagen. Alle drei Monate oder alle halben Jahre wird man ihm das Heft übergeben. Oder vielmehr jeder hat zwei Hefte, und während er das eine füllt, befindet sich das andere in den Händen der Prüfer.
Gehen wir also an die Arbeit! Die Kongregation lebt nur, wenn sie arbeitet. Sie erhält innere und übernatürliche Gnaden nur in dem Maß als sie schafft und nicht anders. Jeder möge gewissenhaft die angegebenen Fragen bearbeiten. Dann wird man uns nicht mehr vorwerfen, meine Freunde, dass wir unsere Theologie nicht kennen, dass wir nicht Theologie studiert haben… Ich habe nie jemand zu höheren Weihen vorgeschlagen, über den man mir nicht nachher Komplimente gemacht hätte. Ja, man hat einmal sogar gegen meinen Willen einen Postulanten zur Weihe geschickt, von dem ich glaubte, er kenne nicht genug seine Theologie. Diesen Beweggrund gab ich an, als ich ihn nicht vorschlug. „Er weiß mehr als meine Seminaristen“, sagte der Bischof von Troyes, der ihn selbst prüfen wollte. Bischof Cortet hat es mir selbst erzählt.
Diesen persönlichen Vorwurf wird man uns nicht mehr machen können, wenn wir uns vom Eintritt in den Orden bis zu unserem Tod mit Theologie befassen. Denn erst mit dem Tod werden wir unseren theologischen Kurs beendet haben. Drei Stunden pro Woche also. Wer die theologischen Vorbereitungskurse für die Weihen mitmacht, bekommt diese besonderen Fragen.
Keiner ist ausgenommen von diesem theologischen Kurs. Wir beschränken uns nicht auf die einfachen Elementartraktate, sondern gehen in die Tiefe der Themen. Man soll die angewandte Theologie in den Punkten studieren, die man in Predigt und Katechismus braucht. Desgleichen in den Punkten, denen man in der Beichte und der Seelenführung begegnet ist. Das Gebiet ist sicherlich sehr weit gespannt. Wir vernachlässigen darüber hinaus auch die Themen nicht, die gerade aktuell sind oder diskutiert werden. So soll euer theologischer Kurs so komplett und detailliert wie möglich sein, und nicht nur kurz und elementar. Studiert die großen Autoritäten, wenn die Gelegenheit sich bietet. Der theologische Kurs sollte lebensnah und praktisch sein. Ihr habt z.B. eine Frage im Katechismus oder einen Punkt der Dogmatik für den Unterricht zu behandeln, oder eine Predigt zu halten über die Frage, die ihr noch nicht tief genug studiert habt. So studiert sie gründlich bei den Meistern, in der Summa des hl. Thomas. Im Allgemeinen bieten die Katechismus- und Religionsstunden nicht viel Spannendes. Sie wurden eben nicht gründlich vorbereitet. Ihr behandelt und erklärt den anderen eine Frage, die ihr selbst vielleicht nie erfasst habt und die ihr in eurem Geist nicht ganz klar seht.
Die Predigt.
Der Oblate muss so predigen, wie man eben predigen soll, wenn man ein Oblate des hl. Franz v. Sales ist. Predigt also nicht wie die Prediger großer Städte! Nein, ich muss mich verbessern: Predigt nicht, wie jener gewisse Großstadtprediger, von dem man mir erzählte, dass er einen Teil seiner Zeit damit verbrachte, Romane zu lesen, um das weltliche Leben besser kennenzulernen, und so seine Zuhörer besser zu fesseln. Predigt vielmehr so, wie der hl. Stifter gepredigt hat. Immer wenn er die Kanzel bestieg, hörte man ihm zu und war innerlich interessiert. Sein Wort brachte Frucht, er bekehrte und er bestärkte. Um das gleiche Ziel zu erreichen, heißt es seine Methode zu übernehmen, und zu diesem Zweck müssen wir viel arbeiten.
Die gewöhnliche, alte Methode, die klassische Form der Kanzelrede, in zwei oder drei Punkten angekündigt, eingeteilt und untergeteilt, kann gut sein als Gerüst, um die Richtung anzugeben, der zu folgen ist, um seine Gedanken gut und vernunftgemäß zu entwickeln. Aber mit Verlaub, mischt etwas Intelligenz und Urteil darin. Lassen wir die veralteten Formen beiseite, die durchgekauten Einteilungen, die Gedankengänge, die wir nicht mehr gewohnt sind. Lest und studiert Bourdaloue: Ließet ihr es euch aber einfallen, irgendeinen Sermon Bourdaloue’s zu halten, würde euch heutzutage keiner mehr verstehen.
Lasst euch nach der Methode die ich euch schon oft genannt habe, heranbilden. Sprecht wirklich die Menschen an, die da vor euch sind und euch anschauen. Sagt ihnen genau die Dinge, die sie brauchen. Was ich euch da anrate, entspricht genau dem, was Bischof Mermillod mir immer wieder gesagt hat, und das war ein Meister in der Kunst der Rede. Es liegt darum an den Predigern selbst, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sich in dieser Methode auszubilden und aus der überfließenden Quelle zu schöpfen, die ihnen da zur Verfügung steht. Das erfordert natürlich intensive Arbeit, aber auch eine schöne und interessante Arbeit.
Bei der Gelegenheit erinnere ich euch an den Rat, den ich oft schon gegeben habe: Euch Notizen auf losen Blättern zu machen und in alphabetischer Ordnung in einem Karton zu sammeln. Das geht nicht ohne intensive Arbeit. Arbeit tut bei allem not, was ihr angreift. Ihr habt z.B. zu unterrichten. Jeder Professor wird es sich nicht nehmen lassen, seinen Schülern einen soliden Unterricht zu geben, der zwar nicht gelehrt sein muss, aber tief, und der eine ernsthaft erworbene Lehre und vor allem ein praktisches Wissen bezeugt. Darum geht in die Tiefe jedes Faches, das ihr zu unterrichten habt. Müsst ihr dazu für euch selbst gelehrt sein? Zweifellos, aber auch und vor allem im Interesse eurer Schüler. Bereitet darum eure Stunden gründlich vor. Fasst auch eure Schüler gut ins Auge: Seht sie an, lernt sie kennen, damit ihr sie richtig packen könnt. Da ist z.B. einer intelligenter als der andere. Er verlangt mehr als ihr dem anderen bietet. Gebt ihm also mehr und lasst ihn nicht auf seinem Hunger sitzen. Ein anderer hat viel Phantasie. Profitiert davon, um ich da zu packen. Dafür müsst ihr aber arbeiten, nachdenken, suchen, ausprobieren, und immer von Neuem beginnen. Ich glaube, dass man keinen guten Unterricht geben kann ohne gründliche Vorbereitung, ob es sich nun um die siebte, achte, neunte oder selbst die zehnte Klasse handelt. (Anm.: „10. Klasse entspricht der deutschen ersten Grundschulklasse, die 7. Klasse der vierten deutschen Grundschulklasse.“) Bereitet durch Studium euren Unterricht so vor, dass er spannend wird, mit Hilfe der täglichen und unaufhörlichen Ernte eurer Notizen, denen ihr immer wieder Neues beifügt, ein kleines packendes Vorkommnis, die Erklärung eines Wortes, etwas, was euch innerlich gerührt hat.
Ich denke da an einen Bischof von Troyes, Bischof Coeur, der ein wortgewandter und geschätzter Redner war. Ich besuchte ihn manchmal, obwohl er nicht mein besonderer Freund war, weil ich fand, ich liebe die römische Liturgie zu sehr. Eines Tages musste er eine Predigt halten und ich traf ihn aufgeregt, gequält, und krank an: „Was macht Ihnen derartiges aus, wenn Sie auf die Kanzel steigen“, fragte er plötzlich. „Ich“, fuhr er fort, ohne meine Antwort abzuwarten, „mich brennt das…“ (versengt, verzehrt das). „Nun, wir müssten auch etwas von dieser Erregung verspüren“, meine ich, „wenn wir in den Unterricht gehen. Es müsste uns auch innerlich ein bisschen verbrennen…“ Wenigstens muss man beim Betreten der Klasse vorbereitet sein und etwas zu sagen wissen, und sollte nicht einige Meter über die Köpfe der Schüler hinwegreden, sondern nach ihrem Fassungsvermögen unterrichten. Immer wenn wir uns für die Klasse interessieren, wird es für unsere Schüler interessant. Und dazu heißt es sich eben gut vorbereiten, wir müssen arbeiten.
Wir sind Seelenführer. Muss man sich hier auch anstrengen? Jawohl, meine Freunde, wir haben nicht die Sendung, Jesus allein darzustellen ohne selbst etwas beizutragen. Wir haben vielmehr einen höchst lebendigen und realen Einfluss auf die Seelen auszuüben, die Gott uns schickt, und zu diesem Zweck heißt es viel arbeiten. Wie soll das aussehen? Worin besteht die Seelenführung für den Oblaten? Ihr habt eine bestimmte Zahl Beichtkinder. Suchen wir klug festzustellen, ob sich unter ihnen keine zur Seelenführung geeignete Seele befindet, die in ihr Leben einige unserer religiösen Praktiken einbauen könnte: Gedanken der Gegenwart Gottes, gute Meinung, Treue zur Pflicht des gegenwärtigen Augenblicks, leidenschaftlich gut seine Pflicht, einfache und liebende Betrachtung… Ihr werdet welche ausfindig machen, und werdet sie allmählich darin ausbilden. Das erfordert von euch natürlich mehr Zeit und Arbeit, eben die Mühe der Seelenführung.
Ordensleute sind Ordensleute, weil sie die Seelen, die Gott ihnen schickt, ihm gleichgestalten sollen. Wir sind keine Akkordarbeiter, die das Feld nur so recht und schlecht umgraben auf Rechnung des Besitzers, für den sie arbeiten. Wir sollten eine reale Aktion auf die Seelen ausüben, die zu uns kommen. „In funiculis Adam traham eos, in vinculis caritatis.“ (Anm.: „Mit Banden Adams will ich sie an mich ziehen, mit Banden der Liebe.“). Adam wird hier zum Erneuerer, zum Familienvater, der uns diese Seelen zuführt und anvertraut. Er drängt sie zu euch hin mit den Banden eines heiligen und ganz geistlichen Vertrauens. Und sie kommen zu euch, weil ihr Ordensleute seid. Sie finden Gefallen ab euren Lehren und schreiten hurtig voran… Sie wollen denselben Gesetzen gehorchen, wie jene, denen ihr euch selber unterwerft und die euch leiten. Das ist doch sonderbar, wenn man das nicht verstehen will. Alle guten Priester und Ordensleute verstehen und wissen das. Vollbringt also euer Werk mit den Seelen, die Gott euch anvertraue und die die Vorsehung selbst euch zuteilt.
Soviel, was einzelne Seelen betrifft. Es wird aber vorkommen, dass solche Seelen in größerer Zahl klug zusammengefasst und diskret zu einer kleinen Vereinigung gruppiert werden können. Dann könnt ihr sie viel wirksamer zur Praxis des Direktoriums und zu den anderen Heiligungsmitteln des hl. Franz v. Sales bewegen. Zunächst werden wir nicht viele auswählen. Denn es kommt nicht darauf an, eine Truppe braver Leute zusammenzuraffen wie eine Menge, die man zu einem Schauspiel ruft, das ihre Neugier reizt, oder zu einem Mittagessen. Nach dem Schmaus grüßt man höflich und jeder geht wieder heim. Nein, sondern beginnt mit eins, zwei oder drei Seelen zunächst und fahrt so fort, indem ihr von dem auswählt, was Gott euch schickt, damit ihr etwas Solides aufbaut. Eilt also mit Weile. Lasst sie eine Art Noviziat durchmachen. Ohne Noviziat gibt es ja kein geistiges Leben, auch keinen Zusammenschluss auf einer ernsthaften Grundlage. Bekommen wie dann einen Drittorden? Warum nicht, und den wollen wir dann in Rom approbieren lassen, wenn er existiert. Zuerst müssen wir aber Handfestes schaffen. Denn mit Hirngespinsten und bloßen Etiketten kann man in Rom nichts approbieren lassen. Wir brauchen Unterschriften, damit Rom die Tore auftun und inspizieren, die Etiketten überprüfen kann. Findet Rom nichts hinter den Etiketten, approbiert es auch nicht.
Jeder von uns sollte sich darum für verpflichtet halten, unter seinen Beichtkindern solche zu suchen, deren Seelenführung er übernehmen kann. Unter den letzteren aber solche, die geeignet erscheinen, einem Verein hl. Franz v. Sales beigesellt zu werden. So lasst uns auch ein bisschen für uns selbst arbeiten, meine Freunde. Wir sind ja schließlich nicht dazu da, für die Benediktiner, Jesuiten und andere uns einzusetzen. Gott schickt im Allgemeinen die Seelen nicht zu uns, die nach seinem Willen auf dem Weg der Benediktiner und Jesuiten gehen sollen. Er wird schon Möglichkeiten finden, diese auf den für sie bestimmten Weg zu lenken. Die er aber zu uns schickt, sollen für gewöhnlich auch von uns geführt werden. Mühen wir uns also für die eigenen Leute und bleiben wir an der Spitze unserer „Werkstatt“.
All diesen Arbeiten wollen wir aber auch noch die materielle, die Handarbeit hinzufügen. In welchem Ausmaß? Nun, sie muss in der Abhängigkeit des Gehorsams stehen. Handarbeit ist zwar für gewöhnlich Sache der Laienbrüder, und es wäre sehr zu wünschen, dass wir eine gewisse Zahl von solchen hätten, die ihre Sendung wohl begreifen. In gewissen Kongregationen bilden Laienbrüder den treuesten und heiligsten Teil des Ordens. Um ein Bruder, ein guter Bruder, zu sein, braucht es viermal, ja zehnmal mehr Treue als um Pater zu sein… Weil es scheint, Gott schone seinen Priester und hat mehr Geduld mit ihm. Wenn die Brüder hingegen eine Gnade empfangen, und sie missachten, zieht Gott sich zurück…
Ich hätte sehr gewünscht, und das war auch der Wunsch der Guten Mutter, dass alle unsere Patres ein bisschen, mehr oder weniger, mit ihren Händen zu arbeiten, und sich mit dem Geschaffenen abzugeben hätten, wie sie es zu sagen pflegte. Die Kartäuser tun das. Für unsere Patres, die unterrichten, predigen, beichthören, Seelen zu führen, ist es schwer, sie auch noch mit positiven Handarbeiten zu bedrängen und zu bedrücken. Doch die es können, mögen ein bisschen zu arbeiten trachten. Sie holen sich die Erlaubnis ein, und dann ist es in Ordnung. Wozu arbeiten, gleichgültig wie? Zu dem Zweck, die Hilfsquellen des Ordens in der materiellen wie geistigen Ordnung zu erhalten, zu entfalten und zu vermehren. Dann wird das Gute, das unsere Arbeiter wirken, allen zugutekommen.
Insofern wir Menschen sind, müssen wir arbeiten: Das ist das Gesetz. Die einen körperlich, die anderen als Lehrer, Prediger, und Seelsorger. Jedermann muss arbeiten. Die Benediktiner tun es, die Kartäuser ebenfalls. Der Kartäuser verliert keine Minute seiner Zeit. Hat er das Offizium gesungen, rührt er die Hände und produziert. Keine Kommunität, keine Kongregation, die nicht von diesem Geist beseelt ist, entgeht dem Verfall. In der Tat, wo man einer solchen beratenen Gemeinschaft begegnet, geht sie zugrunde. Das möge sich also jeder in Herz und Geist graben: Arbeit für die Genossenschaft!
Mühen wir uns, unseren Unterricht gut zu geben, dann sehen wir die Zahl unserer Schüler sich mehren. Die Schüler werden Erfolg aufweisen. Wir gewinnen damit Freunde, erwerben Sympathien und Zuneigung für die Kongregation. Die zu uns stoßen, lernen unsere Art zu denken und zu tun, unsere Grundsätze schätzen. Sie gewinnen sie lieb, und viele Seelen lassen sich auf den Weg ein, den wir gehen. Handarbeit allein dient dem Wohlergehen einer Gemeinschaft. Dieses Interesse muss real und praktisch sein, es muss unser Denken und Fühlen und jede Einzelheit unseres Tuns beherrschen. Das schaffen wir nicht durch ein enges Korpsgeistdenken, sondern durch eine ehrliche und dankbare zur Genossenschaft, die ganz im Gegenteil unser Denken und Wollen weitmachen wird. Die Kongregation ist eine Familienmutter. Wir müssen sie wie eine Mutter lieben, und sie muss uns alles auf Erden bedeuten.
Möge jeder in diesem Sinn sich mühen, das materielle wie geistliche Wohl der Kongregation zu wirken. Durch unsere Treue und persönliche Heiligkeit wollen wir dazu beitragen, ihren religiösen Geist zu sichern und die Gnaden und Segnungen Gottes auf sie herabzuziehen. Sagen wir zu uns den ganzen Tag: „Gott ist in allem, was ich tu, mit mir.“ Pater meus usque modo operatur. (Anm.: „Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde.“), mein himmlischer Vater wirkt das Gute in der Kongregation. Er will, dass sie an ihr gelange. Et ego operor. (Anm.: „So wirke auch ich.“), und ich will ebenfalls mit Gott wirken.
Wenn wir so schaffen, stehen wir am richtigen Platz. Bleiben wir da, was auch immer über uns kommen mag… Alle Vorkommnisse werden wir begreifen, lieben und segnen. Seht nur, wie wir an unserem Arbeitsplatz dann glücklich sein werden. Gott liebt die Arbeit so sehr, dass er manchmal die Arbeit der Bösen zu segnen scheint. Oder haben die Bösen etwa keinen Erfolg, wenn sie sich redlich mühen?
Wenn wir in Wahrheit sind, werden wir angenommen. Man versteht und liebt uns. Wir stehen mitten in der Bewegung unserer Zeit, die im Übrigen immer existiert hat. Hatte Gott Adam etwa nicht ins irdische Paradies gesetzt, damit er dort arbeite und den Wonnegarten warte und kultiviere? Das war sein erstes Ziel: „Ut operatur et custodiret illum.“ (Anm.: „Damit er ihn bearbeite und pflege.“). So entsprechen wir durchaus der Berufung, in der Gott uns wünscht. Wir stehen ganz in der göttlichen Ordnung, im Willen der göttlichen Ordnung, im Willen der Vorsehung. Bittet die Gute Mutter, euch diese Liebe zur Arbeit zu erwirken, während eures ganzen Lebens und bis zum Todestag, so dass ihr nie unbeschäftigt seid, sondern jederzeit an einem nützlichen Werk schafft. Wenn die Schwestern der Heimsuchung kleine, aber unnütze Dinge anfertigen, Phantasieprodukte, nahm die Gute Mutter sie ihnen manchmal weg und warf sie ins Feuer. Der liebe Gott hat nichts Unnützes gemacht, sondern die nützlichen Dinge ausgeschmückt, um sie angenehm zu machen.
Weihen wir uns also der Arbeit, liebe Freunde! Betrachten wir uns als Menschen, die für die Arbeit bestimmt sind, und erhalten wir uns in den so zahlreichen und schwierigen Arbeiten, zu denen unser Beruf uns ruft.